CSV

Glaubensfragen

d'Lëtzebuerger Land vom 01.11.2007

Ein sieht ein wenig es so aus, als ob der Wahlkampf schon begonnenhätte. Das ist jene Zeit, in der sich die Parteien daran erinnern,dass sie Profil zeigen müssen, damit die Wähler sie auch bei flüchtigem Hinsehen unterscheiden und ihre Stimmen entsprechend abgeben können. Parteien, die sich für regierungsfähig halten, können es sich nicht leisten, sich in wichtigen Fragen – solche, die Geld oder diplomatische Beziehungen kosten können – nennenswert zu unterscheiden. Deshalb schärfen sie ihr Profil vorzugsweise anweichen Themen, an gesellschaftspolitischen und anderen Glaubensfragen. Auch erwarten Parteien und Wähler dies umso mehr, als die Kulturkampfrhetorik seit dem 19. Jahrhundert hierzulande mit der Sicherheit eines Pawlowschen Reflexes funktioniert.

Dieser Vorgang ist derzeit zu beobachten. Die Kulturkampffrontverläuft wieder sauber zwischen den Befürwortern von Sterbebegleitung oder Sterbehilfe, von Religionsunterricht oder Werteunterricht, wie gestern beim Schulgesetz, der Monarchie und dem Scheidungsrecht und morgen wieder bei der Abtreibung. In alter Schlachtordnung marschieren von rechts die Klerikalen, die CSV, und von links die Liberalen, DP, LSAP und Grüne, auf.

Auffallend ist, dass die Kulturkampffront auch ein wenig durch die CSV verläuft. Deutlicher als früher, wenn auch nicht zum ersten Mal – auch bei der Abschaffung der Todesstrafe vor mehr als 30 Jahren war die Partei nicht in der Lage, in dieser nicht unerheblichen Frage eineeinheitliche Position zu vertreten. Diesmal waren es sogar CSV-Abgeordnete, die aus der Reihe tanzten und mehr oder weniger unbeabsichtigt die jüngsten Debatten anfachten. Weil sie befürchteten, dass die Partei mit dem christlichen Namen die Sterbehilfe tolerieren würde, oder meinten, auf den Religionsunterricht in der öffentlichen Schule verzichten zu können.

Weil es gar nicht zum klaren Frontverkauf der Kulturkampfs passt,trägt zur Verwirrung bei, dass in manchen Fragen gar nicht so eindeutig ist, wo die Kräfte der Aufklärung und des Obskurantismus, beziehungsweise der Erleuchtung und der Verblendung und stehen. Denn Euthanasie kann sowohl ein Akt der christlichen Gnade sein, als auch ein sehr liberales Mittel, die Krankenkassenbeiträge niedrig zu halten. Und Werteunterricht kann ein liberaler Bauchladen von Weltanschauungen und Benimmregeln für die globalisierte Gesellschaft sein oder ein garantiert transzendenzfreier Religionsunterricht.Doch vor allem will die CSV zum Leidwesen ihrer Gegner, eines Teils ihrerMitglieder und der nicht ohne Gegenleistung von der Kirche gestellten befreundeten Presse um keinen Preis mehr richtig konservativ sein. Weil sie in ihrer Geschichte schmerzlich gelernt hat – zuletzt 1974 und 1989 bis 1999 –, dass sie sich an die neuen Zeiten anpassen muss, umstärkste Partei zu bleiben. Und weil die stärkste Partei zwangsläufig immer einen beachtlichen Anteil Mitglieder anzieht, denen die Förderung ihrer beruflichen Laufbahn die einzige Ideologie ist.

Deshalb bemüht sich die CSV jetzt, gerade dort weltoffen und tolerant zu erscheinen, wo die einen die größte ideologische Festigkeit und die anderen die größte ideologische Verbohrtheit von ihr erwarten. Doch die tragische Widersprüchlichkeit des Vorgangs führtdazu, dass es immer nur ein halber Erfolg wird.

Romain Hilgert
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