Längst haben die Wahlprogramme aufgehört, sozialen Fortschritt zu versprechen. Fortschritt ist nur noch als technischer Fortschritt im Angebot. Statt des Lebens der Menschen soll er die Wettbewerbsfähigkeit des Produktionsstandorts verbessern. Er muss den Marktgesetzen, der Konkurrenz gehorchen. Entsprechend werden nicht die nützlichsten, sondern die rentabelsten Techniken eingesetzt. Den neusten muss atemlos hinterhergelaufen werden.
In der Erklärung zur Lage der Nation am 13. Mai gab sich CSV-Premier Luc Frieden visionär: „Dës Visioun baséiert op dräi neie Strategien: fir d’Daten, fir d’kënschtlech Intelligenz a fir d’Quantentechnologie.“
Künstliche Intelligenz wurde eine Haushaltsmarke. Seit ChatGPT den Schulaufsatz, das Kochrezept zusammenwürfelt, der Chatbot die Schalterbeamtin ersetzt. Schon verkaufen Startups dem Risikokapital Quantenmechanik als neues heißes Ding. Scharlatane und Werbeagenturen haben das Q-Wort entdeckt. Im Buchhandel liegen: Quanten-Yoga, Das Quanten-Nährstoffkonzept für mehr Vitalität, Le Secret Quantique – comment attirer l’argent, la santé et la prospérité dans votre vie.
Die klassische Physik entstand im Barock: Der absolutistische Fürst auf Erden verordnete Gesetze – sein Abbild im Himmel Naturgesetze. Die Quantenphysik entstand in der Massengesellschaft des 20. Jahrhunderts. In den Verbänden, Parteien, Armeen des Organisierten Kapitalismus löste sich das bürgerliche Individuum auf – samt seiner Metapher, dem Atom. Das Verhalten der Konsumentinnen, Wahlberechtigten ist schwer vorhersehbar – wie die Massengesellschaft elementarer Teilchen, Zustände, Bewegungen.
Eine Woche nach der Erklärung zur Lage der Nation veröffentlichte die Regierung: La stratégie du Luxembourg en matière de technologies quantiques. Die Broschüre verspricht tautologisch: „Cette stratégie nationale vise à préparer le Luxembourg à l’ère quantique en établissant un écosystème quantique performant et agile, permettant au pays de tirer pleinement parti du potentiel des technologies quantiques pour stimuler le progrès scientifique, technologique et économique“ (S. 16). „Progrès social“ ist der Quantenära fremd.
Die Quantenphysik soll zu Geld gemacht werden. Quantensuperposition, Quantenverschränkung sollen für Quantencomputer, Verschlüsselungstechniken genutzt werden. Die Regierung verspricht: „Atteindre un impact commercial (2030 et au-delà)“ (S. 45). Und neuerdings selbstverständlich: „Les technologies quantiques [...] devraient avoir un impact significatif sur les capacités militaires et de défense“ (S. 24).
Mit Steuergeldern will die Regierung Privatunternehmen den Weg in die Quantenära ebnen. In Bissen soll mit EU-Zuschüssen ein Quantencomputer aufgestellt werden. Kein richtiger: Quantencomputer sind Versuchsanordnungen. Er soll 17 Millionen Euro kosten. Google, IBM, Microsoft behaupten, das Hundertfache in Quantentechnik zu investieren.
Quantenmechanik gilt als fremdartig. Das Verständnis von Quantenmechanik verlangt Ambiguitätstoleranz. Sie verstößt gegen den von CSV, ADR beanspruchten gesunden Menschenverstand: Dass es nur Teilchen oder Wellen gibt, nur Männer oder Frauen, nur Luxemburger oder Ausländer. Die Nazis hassten Quantenphysik.
Quantenmechanik gilt als unverständlich. Weil ihre Elemente komplementär erscheinen. Das heißt widersprüchlich. In der Erklärung zur Lage der Nation versprach Luc Frieden mechanistische Eindeutigkeit: „Eng responsabel Politik vun der Mëtt. Mat roueger Hand a klorem Kompass.“
Werner Heisenberg formulierte ein Grundkonzept der Quantenmechanik, die Unschärferelation. Er meinte gegenüber dem Philosophen Robert Havemann: „Die Natur offenbart uns immer mehr ihren dialektischen Charakter, gerade im Bereich der Elementarteilchen. Aber die meisten Menschen können die Dialektik nicht vertragen – auch die Regierenden können das nicht. Dialektik schafft Unruhe und Unordnung“ (Dialektik ohne Dogma, Reinbek, 1964, S. 16).