Mit viel Pathos wurde am Wochenende der Regentschaft von Großherzog Henri gedacht. Nicht alle Politiker und Journalisten waren in Feierlaune

Eine Familie wie jede andere

Ein Porträt des großherzoglichen Paares aus dem Jahr 2020
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 27.06.2025

„Mir si gespaant“, sagt RTL-Journalistin Mariette Zenners an Nationalfeiertag. Denn nun soll ein von der großherzoglichen Familie in Auftrag gegebener Film über die 25-jährige Regentschaft gezeigt werden. In der Philharmonie wird am Montagmorgen eine Leinwand heruntergelassen und das Licht gedimmt: Henri schüttelt die Hände von Botschaftern aus aller Welt, wälzt Dossiers in seinem Büro – „la réflexion est importante“; staunt über die erste Euromünze mit seinem Konterfei; Rückblicke zeigen seine Weihnachtsansprachen und seinen Vater Jean. In vielen Szenen ist auch die Großherzogin zu sehen – in Burundi im Rahmen eines Unicef-Mandats, bei Konferenzen ihrer Organisation Stand Speak Rise Up oder in Luxemburger Kinderheimen. Henri lobt sie: Sie habe eine „unglaubliche Energie“, sie „arbeite viel“ und unterstütze ihn. Guillaume pflichtet bei: „Meine Mutter ist eine Inspirationsquelle.“

Anders der DP-Vizepremier. Xavier Bettel reagiert verhalten auf das großherzogliche Paar. Im Anschluss an die offizielle Zeremonie freut er sich ins RTL-Mikrofon über den bevorstehenden Thronwechsel. Prinz Guillaume sei ein umgänglicher und sympathischer Mensch. Um das zu veranschaulichen, erzählt er eine Anekdote: Der Erbgroßherzog habe während einer Auslandsreise nach Davos spontan „Spaghetti Grand-Ducal“, wie Bettel sie nennt, für die Delegation gekocht. Die Großherzogin, die zuvor von CSV-Premier Luc Frieden für ihr soziales Engagement gelobt wurde, erwähnt Bettel mit keinem Wort. Stattdessen spricht er über die Reformen, die während seiner Zeit als Premier notwendig gewesen seien – „wegen Selbstmord und Depressionen“, wie er sagt.

Wovon spricht der Vizepremier? Anfang 2019 trat der Direktor der Großherzoglichen Stiftung nach nur einem Jahr im Amt zurück. Es folgte der Suizid eines ehemaligen Mitarbeiters, der laut Angaben seiner Familie im Zusammenhang mit seiner fristlosen Entlassung stand. Schon in den Jahren zuvor hatten mehrere ranghohe Mitarbeiter das Handtuch geworfen: Vorzeitige Abgänge sind etwa von Véronique Poujol, Guy Schmit, Isabelle Faber und Simone Beck bekannt. Bereits 2006 beklagte sich der damalige Hofmarschall Jean-Jacques Kasel in einem Interview mit Le Jeudi über „das Klima, das den großherzoglichen Palast in letzter Zeit heimsucht“. Er sprach von Desillusionierung und Amtsmüdigkeit. Kurz darauf wurde er vom Großherzog beurlaubt. Im Sommer 2019 ernannte Premierminister Bettel schließlich Jeannot Waringo zum Sonderbeauftragten, um die dunklen Seiten des Personalkarussells am Hof zu beleuchten. Der ehemalige Direktor der Generalinspektion der Finanzen erhielt zudem den Auftrag, den Hof administrativ und finanziell neu zu strukturieren – so entstand die Maison du Grand-Duc, die keine Befugnisse für die Großherzogin vorsieht.

In seinem Bericht hielt Waringo fest, dass zwischen Januar 2014 und Juni 2019 insgesamt 51 Personen den großherzoglichen Hof verlassen haben – Ruhestände nicht eingeschlossen – bei einer durchschnittlichen Mitarbeiterzahl von rund 110 Personen. „Schon in den ersten Tagen meiner Anwesenheit im Palast habe ich eine gewisse Angst bei den Mitarbeitern gespürt“, schrieb Waringo (d’Land 2022). Mit diesem Schatten wurde vor fünf Jahren auf die 20-jährige Regentschaft zurückgeblickt – eine Feier fand wegen der Corona-Pandemie nicht statt. Doch die Kritik riss nicht ab. Ein Angestellter berichtete dem Land 2022 erneut von „Druck und Missachtung“, die die Arbeit „unerträglich bis hin zu unmöglich“ gemacht hätten.

Für ein Staatsoberhaut, das keine demokratische Legitimität hat, sind Ansehen und Beliebtheit ein unabdingbares Gut. Deshalb öffnet sich die großherzogliche Familie seit den Nullerjahren vor allem der (Boulevard-)Presse, um sich „volksnah“ zu geben. Es sind Bilder, die sie vor möglicher Kritik, wie dem Waringo-Bericht, wappnen sollten. 2005 wird es in einer RTL-Reportage intim: „Dat hei ass keng Fata Morgana, am Schlass steet ee Kicker“, kommentiert eine Off-Stimme. Man sieht, wie der Großherzog Hähnchen brät, wie er und seine Frau mit dem Motorrad durch Colmar-Berg fahren oder in einem portugiesischen Restaurant essen. Die Aufnahme schließt mit den Worten: „In Colmar-Berg wohnt eine junge, moderne, lustige und aktive Familie, die – wenn sie keine offiziellen Aufgaben zu erfüllen hat – ist wie jede andere luxemburgische Familie.“

Vor einem Jahr sinnierte das großherzogliche Paar im Télécran darüber, wie oft sie ihre Enkel sehen und welche Kosenamen diese für das Staatsoberhaupt haben. Letzten Sommer ging Großherzog Henri auf Wunsch von L’Essentiel vor den Olympischen Spielen mit dem Olympiateilnehmer Nicolas Wagner-Ehlinger reiten und erzählte der Tageszeitung von seinem Pony Rusty. In diesem Frühjahr erfuhr man im Wort in einer Zusammenfassung eines Schüler-Podcast, dass „sowohl Großherzog Henri als auch Großherzogin Maria Teresa herzhaft lachen“ mussten, als sie gefragt wurden „warum es wichtig sei, dass Luxemburg das einzige Großherzogtum der Welt ist“. Schließlich antwortet Henri: „Ich finde es großartig, einen solchen Titel zu haben.“ Dass Maria Teresa nicht beabsichtige, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen, las man dieses Frühjahr aus der spanischen Zeitschrift ¡Hola! und der niederländische Libelle.

Dass die Tageszeitungen kein besseres Material liefern, liegt allerdings nicht an ihren Politikredaktionen – denn diese meidet das großherzogliche Paar. „Was sich in den 25 Jahren hinter dieser Fassade abspielte, wird man nicht in den Zeitungen des Landes lesen können“, schrieb Armand Back am Samstag im Tageblatt. Die offiziellen Reden zum Nationalfeiertag in der Philharmonie wurden von einem „royalen Schweigen“ begleitet: Ein ursprünglich zugesagtes Interview wurde kurzfristig abgesagt. Man fühle sich nicht „à l’aise“ mit dem Themenspektrum, das die Journalisten im Vorfeld vorgeschlagen hatten, teilte die Hofmarschallin mit. Chefredakteur Back blickte deshalb mit einem „Hengover“ auf die bevorstehenden Feierlichkeiten. Am Montag nahm Pierre Jans in einem RTL-Kommentar Henri indirekt in Schutz: Nicht immer sei er es, der über das Protokoll entscheide – „andere Leute entscheiden für ihn“. Jans erinnerte sich an eine Auslandsreise nach Senegal. Ein Mitarbeiter des Großherzogs habe dem Journalisten dort die Anweisung gegeben: Haltet eure Mikrofone hin, lasst den Großherzog ein Statement abgeben – aber stellt keine Fragen. Als Jans tatsächlich keine Rückfrage stellte, fragte Henri enttäuscht: „Stellen Sie keine Fragen?“

Er habe zuweilen unter seiner Sonderstellung gelitten, erzählte Großherzog im vergangenen Sommer der belgischen La Libre. Seine Kindheit sei von Einsamkeit geprägt gewesen. Erst mit etwa zehn Jahren kam er in Kontakt mit Gleichaltrigen: „Ich wurde in eine Pfadfindergruppe aufgenommen, die eigens für mich zusammengestellt worden war.“ Aber eine besondere Uniform sollte seinen Status unterstreichen: „Eine blaue säkulare Hose und ein khakifarbenes katholisches Hemd. Ich war anders als alle anderen, jeder wusste, wer ich war.“ Wenn er sich heute ungestört unter Menschen mischen wolle, steige er aufs Motorrad, verstecke sich in seinem Helm und fahre durch Luxemburg, wie er dem Wort vor einem Jahr verriet. Dann fahre er durch Dörfer und Städte, betrachte den Zustand der Häuser – „ich kann nur mit niemandem sprechen, sonst würde man mich sofort erkennen.“

Dass Henri nicht nur ein zurückhaltender, freundlicher Herr ist, sondern zugleich Konfliktpotenzial birgt, machte er bereits nach dem Thronwechsel im Jahr 2000 im Wort deutlich: „Nichts hindert mich daran, meine persönlichen Visionen und die großen Linien für die Entwicklung des Landes und der Gesellschaft darzulegen.“ 2008 löste er damit eine Verfassungskrise aus, als er sich aus Gewissensgründen weigerte, das vom Parlament verabschiedete Gesetz zur aktiven Sterbehilfe zu unterzeichnen. Der dem charismatischen Flügel zuzurechnende Katholik Henri reiste eigens nach Rom, um sich in einer Privataudienz von Papst Benedikt beraten zu lassen – ein Schritt, den der damalige CSV-Premier Jean-Claude Juncker als „unannehmbar“ bezeichnete, obwohl seine Partei traditionell hinter der Monarchie steht (d’Land 2012). Laut dem Politikwissenschaftler Kemal Rijken, der ein Buch über europäische Monarchien verfasst hat, war es vor allem der CSV-Abgeordnete und Verfassungsexperte Paul-Henri Meyers, der eine Lösung herbeiführte: Er schlug vor, die Verfassung zu ändern und dem Großherzog nur noch die „Promulgation“ von Gesetzen zuzugestehen – und nicht mehr die „Ratifizierung“.

Die Vermischung von Politik und Religion wirkte bei Henri insofern widersprüchlich, weil er Religion eigentlich zur Privatsache machen wollte. 1961 hatte sein Vater Jean bei seiner Vereidigung als Lieutenant-Représentant noch den Zusatz „So wahr mir Gott helfe“ ausgesprochen – auf diesen verzichtete Henri 1998 ebenso wie sein Sohn Prinz Guillaume im vergangenen Jahr. Noch bemerkenswerter ist seine retrospektive Beurteilung der Episode in einem Wort-Interview im Herbst 2020. Er habe in erster Linie eine Debatte anstoßen wollen: „Ich konnte es nicht akzeptieren, dass eine für die Gesellschaft derart wichtige Entscheidung ohne eine breite öffentliche Debatte getroffen werden sollte.“ Er habe diese „provozieren“ wolle und deshalb gesagt, dass er „das Gesetz so nicht unterzeichnen kann“.

Die im Laufe seiner Regentschaft durchgesetzten Einschränkungen seiner Machtbefugnisse begrüßte Henri zunächst ausdrücklich. Weiterhin wolle er aber „ein Mitspracherecht im Regierungsbildungsprozess“ behalten, sagte er im Wort. „Einen Formateur oder einen Informateur zu benennen und mit den Parteien zu sprechen, gehört für mich zu den interessantesten Aspekten meiner Arbeit.“ Als Henri im Oktober 2000 als sechstes Staatsoberhaupt aus der Dynastie Nassau-Weilburg den Thron bestieg, verfügte er über eine erstaunliche Machtfülle. Unter anderem übte er Exekutivgewalt aus, billigte und verkündete Gesetze, konnte Kriege erklären, Gesetzesvorschläge einbringen, Strafen mildern und internationale Verträge abschließen (d’Land 2000).

Aber der fairy dust wird weiterhin mehr oder weniger offensichtlich als politische Strategie eingesetzt. Für den Politikwissenschaftler Kemal Rijken gilt dies insbesondere bei der Annäherung an China seit den 2000er-Jahren. „Alle neun Monarchen reisten nach China, und mir wurde von Sinologen bestätigt, dass Staatspräsidenten der Volksrepublik China ein Faible dafür haben, sich mit Monarchen auf Augenhöhe zu sehen – nicht aber mit gewählten Vertretern“, so Rijken. Im September 2006 brach Henri mit einer 150-köpfigen Begleitgruppe nach Peking auf. Er sei „die beste Werbung für Luxemburg in China, das eine alte Kaisertradition kennt“, verriet ein mitreisender Manager der Revue. Durch ihn lasse „sich manchmal in drei Stunden erledigen, was sonst drei Tage in Anspruch“ nehme. LSAP-Außenminister Jean Asselborn und LSAP-Wirtschaftsminister Jeannot Krecké unterstrichen im Anschluss, dass die großherzogliche Charme-Offensive geglückt sei.

Inzwischen hat sich das Blatt gewendet, Europa will eine nüchterne Distanz zu China halten. Zuletzt ist das Staatsoberhaupt als Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees 2022 zur Eröffnung der Olympischen Winterspiele nach Peking gereist, was negativ kommentiert wurde, da andere europäische Staatsoberhäupter der Zeremonie wegen der Menschrechtslage fern blieben. In der VIP-Loge traf er auf Autokraten wie Wladimir Putin, der nach den Spielen seine Offensive in der Ukraine begann. Um seine Anerkennung auszudrücken, wurde ein persönliches Treffen mit Xi Jinping organisiert. Den Berichten der chinesischen Behörden zufolge soll Xi dem Großherzog mitgeteilt haben, er solle sich für bessere Beziehungen zwischen der EU und China einsetzen. Laut den chinesischen Behörden soll Henri geantwortet haben: „China hat dem chinesischen Volk und der Welt greifbare Vorteile gebracht, indem es die absolute Armut beseitigt hat. China is a great partner.“ Luxemburg werde die Belt and Road Initiative aktiv unterstützen (d’Land 2022).

Am vergangenen Wochenende wurde Großherzog Henri mehrfach für sein wirtschaftliches Engagement gedankt. Die Regierung sieht den Großherzog vor allem als PR-Vorteil, als Nation-Branding-Logo. Aber nicht immer wirkt das Logo, das Symbol, in der ausländischen Presse als Werbung. Im Juni 2002 lud Maria Teresa Journalisten in den Palast ein. Sie erzählte, ihre Schwiegermutter Joséphine-Charlotte würde sie mobben. Le Monde griff die Klage auf der Titelseite auf: „La grande-duchesse du Luxembourg se plaint de sa belle-mère et pleure“. Aber der Hof hat zu Repräsentieren und nicht seinen Familienstreit nach draußen zu tragen. Für Aufsehen sorgte auch ein Interview, das Stéphanie Bern 2021 für Paris Match führte. Henri erklärte darin, er und die Großherzogin seien „ein Zweiergespann, das im Dienste des Landes steht“, und stellte die Aufgabenteilung innerhalb der Maison du Grand-Duc infrage – denn „la monarchie doit être portée par le couple régnant et la famille grand-ducale“. Victor Weitzel interpretierte diese Aussagen im Land als Seitenhieb auf die Autorität der Regierung, da die politischen Passagen des Interviews nicht von Hofmarschallin Yuriko Backes abgesegnet waren. Zwei Wochen nach der Publikation des Interviews twitterte der LSAP-Politiker und Jurist Alex Bodry : „Si jamais la monarchie tombe un jour, elle ne s’effondrera point à la suite d’attaques venues de ses adversaires, mais par épuisement, affaiblie et déstabilisée par ses propres faux pas et contradictions.“

Die These der voranschreitenden Implosion vertrat ebenfalls der Journalist Romain Hilgert am Freitag vor dem Nationalfeiertag im Radio 100,7. Die großherzogliche Familie nähere sich kleinbürgerlichen Gepflogenheiten an; das erbgroßherzogliche Paar baue ein Einfamilienhaus – der Traum einer jeden luxemburgischen Durchschnittsfamilie. Guillaume und Stéphanie seien weniger „gléimour, méi normal“ als Henri und Maria-Teresa. Sie verlören ihren Nimbus des Besonderen und sei bald „wéi Jenny a Menny“; möglicherweise werde sich so die Monarchie „wéi eng Aspro am Waasserglas opléisen“.

Wenngleich das großherzogliche Paar in den vergangenen 25 Jahren mitunter für Polit-Trubel sorgte, gab es auch Momente, in denen Henri mit seiner ruhigen Art und seinem Pflichtbewusstsein zur Neutralität als verbindende Kraft hervortrat. Er hieß ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger willkommen. Das wirkte republikanisch: Die Botschaft lautete, jeder könne sich am Projekt Luxemburg beteiligen, sofern man sich an die Verfassung hält. In von Syrern geführten Kebab-Restaurants und italienischen Imbissen hängt sein Porträt – sie vertrauen diesem Symbol, das über den Parteien unterschiedlicher Couleur steht. Gemeinsam mit Großherzogin Maria Teresa besuchte er fast jährlich die Organisation „Stëmm vun der Strooss“, beide zeigten sich besorgt über das Schicksal der Menschen am Rande der Gesellschaft. In Interviews warnt Henri vor der Rückkehr von Radikalismus und Populismus und engagiert sich für den Umweltschutz. In dem in der Philharmonie gezeigten dokumentarischen Rückblick kamen zum Schluss vier luxemburgische Politiker zu Wort: Premierminister Luc Frieden, der frühere Premier Jean-Claude Juncker, der DP-Europaabgeordnete Charles Goerens, und – kurioserweise – die ehemalige grüne Umweltministerin Carole Dieschbourg.

Stéphanie Majerus
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