Ein Jahr nach der ersten Wahl der Elternvertreter herrscht bei manchen weiterhin Ratlosigkeit

Gehversuche

d'Lëtzebuerger Land vom 21.10.2010

„Wir danken den Lehrern für ihr Engagement“, stand in großen Buchstaben über den Eingang geschrieben, als die Autorin im Mai diesen Jahres die bilinguale Oyster-Adams Charter School in Washington DC besuchte. Das Lob hatten Eltern für alle sichtbar zum Schulfest angebracht. Eine solche Aktion wäre hierzulande zumindest ungewöhnlich, obwohl auch hier viele Lehrer ihr Bestes geben und sich um den guten Draht zu Kindern und Eltern bemühen.

Wer das nicht tut, sollte sich das noch einmal überlegen, denn das neue Grundschulgesetz sieht Mitspracherechte auch für Schul-Außenstehende vor: Eltern sollen sich stärker in der Schule einbringen können – über Hausaufgaben und Schulfest hinaus. Auch in der Schulorganisation und -entwicklung sind sie als fester Partner vorgesehen.

Dafür wurden im Oktober 2009 erstmals Elternvertreter gewählt, allerdings ziemlich ins Blaue hinein. „Viele Eltern wussten nicht, was Beteiligung konkret bedeutet“, bemängelte Michèle Retter, Präsidentin der Elterndachorganisation Fapel, damals. Um aufzuklären, organisierte ihr Verband im Februar eine Konferenz zum Thema Elternpartizipation. Die Fortsetzung ist für den 27. November geplant, im Rahmen der Journées des présidents können Eltern über die Zukunft und Veränderung der Elternbewegung diskutieren. Für die Fapel bringt das Gesetz nämlich eine neue Unsicherheit: Die Rolle der Elternvereine ist schwammig, außer in der nationalen Schulkommission, in der zwei Fapel-Vertreter sitzen, bleiben sie außen vor.

Dass die Rolle der Vereine nicht stärker betont wurde, ist nachvollziehbar. Denn anders als die Elternvertreter an den Schulen sind die Vereine nicht demokratisch gewählt. Wer Mitglied ist, kann mitmachen. Seit der ersten Reform des 1921-er Dinosauriers 1970, als die Vereine erstmals offiziell anerkannt wurden, haben sie sich jedoch als Partner im Schulgefüge etabliert. Dass sie die neuen Beteiligungsformen argwöhnisch beäugen, erklärt sich auch dadurch, dass sie den über Jahre mühsam aufgebauten Einfluss nicht verlieren wollen.

Wie können nun Elternvereine und gewählte Vertreter ihre Kräfte bündeln und sich sinnvoll austauschen?, fragt die Fapel, wenn „Manipulation und Machtmissbrauch (…) die häufigsten Faktoren (sind), die Misstrauen schüren, Partnerschaft erschweren und die Kinder ins Spannungsfeld der Erwachsenen manövrieren“, wie die Vereinigung in ihrem Newsletter warnt.

Denn auch demokratisch gewählte Elternvertreter sind keine Garantie dafür, dass automatisch alles besser läuft. An einigen Schulen fanden sich nur mit Mühe Erwachsene, die bereit waren, die ehrenamtliche Aufgabe zu übernehmen. Das Gesetz sieht pro Schule mindestens zwei gewählte Vertreter für zwei Jahre vor, eine Entschädigung für das Engagement erhalten sie nicht. Zudem scheinen ersten Einschätzungen zufolge nicht-luxemburgische Eltern deutlich unterrepräsentiert. „Alles Gerede von Integration und Mehrsprachigkeit zum Trotz tun sich viele Luxemburger Eltern schwer, die Treffen so zu gestalten, dass auch nicht-luxemburgische Mütter und Väter daran teilnehmen können“, so eine Elternvertreterin aus dem Süden. Die Präsidenten des von Lehrern bestrittenen Schulkomitees seien bei der Rollenfindung auch nicht immer eine Hilfe, viele zudem durch die Neuerungen überlastet.

So herrscht bei vielen Elternvertretern ein Jahr nach der Wahl Ratlosigkeit. Was darf ein Vertreter, wie soll die Kommunikation mit Schulkomitee und Gemeindeverantwortlichen sowie die Rückkopplung mit den anderen Eltern aussehen? „Wir treffen uns im November und wissen dann hoffentlich mehr“, hofft eine frisch gewählte Elternvertreterin aus der Hauptstadt, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. Auch das ist nicht geklärt: Wie mit Journalistenanfragen umgehen, wenn es noch keine klare Linie in der Elternschaft gibt?

Tonia Clement von Eis Schoul wurde diese Woche als Vertreterin für weitere zwei Jahre gewählt, zuvor war sie bereits Elternsprecherin, aber nicht gewählt. „Wenn jemand ein Anliegen hatte, haben wir das im für alle offenen Elternkomitee besprochen. Schien es uns allen wichtig, haben wir über weitere Schritte beraten.“ Klare Rollen und Prozeduren seien wichtig, denn auch den teils sehr informierten Eltern von Eis Schoul sei der Unterschied zwischen Einzel- und Allgemeininteresse nicht immer bewusst. „Wenn ich etwas als Mutter sagen will oder als Vertreterin, kündige ich das vorher an“, beschreibt Clement das Dilemma, die mit der Zusammenarbeit mit dem Schulkomitee und dem Präsidenten „sehr zufrieden“ ist.

Das Lob wurde auch nicht getrübt durch Turbulenzen in der Startphase. Die Ganztagsschule stand vergangenes Jahr im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit, als massive Disziplinprobleme bekannt wurden. Seitdem habe sich die Atmosphäre gebessert. „Die offene Kommunikation macht es möglich, Dinge konstruktiv anzugehen“, freut sich die Limpertsbergerin.

Um effizienter zu sein, haben die Elternvertreter untereinander Zuständigkeiten aufgeteilt: außerschulische Betreuung, Klassenorganisation, Finanzen. „Das hilft enorm “, findet Clement. Ein Empfang für die neuen Eltern wurde organisiert sowie Infobretter, an denen sich alle Eltern über Schulinterna informieren können. Außerdem soll es demnächst eine Elternrubrik im schuleigenen Newsletter geben. Und dann steht als nächster großer Punkt der Plan de reussite scolaire (PRS) auf der Tagesordnung. Beim Schulentwicklungsplan können sich die Eltern aktiv einbringen. Ihre Meinung ist ausdrücklich gefragt, wenn Schulen im PRS thematische Schwerpunkte für die Zukunft setzen. Zu den Rennern zählen derzeit laut Fapel Schulklima, Gewalt an der Schule, Förderung lernschwacher Schüler. Ziel ist es, mittel- bis längerfristig die Qualität der Schulen zu steigern und Schwachpunkte zu beheben.

Dafür hat die Agence pour le développement de la qualité scolaire, die die Erstellung des PRS begleitet und seine Umsetzung kontrolliert, Fragebögen an die Schulen geschickt, in denen sich Eltern zum Schulklima äußern konnten. „Das ist eine gute Sache. Ich glaube, das sehen die meisten Eltern so“, lobt Georges Weyer, Elternvertreter in der Gemeinde Heiderscheid. Auch Fapel-Präsidentin Michèle Retter findet für die Initiative gute Worte. „Die Fragebögen können ein Schritt auf dem Weg sein, mehr Qualität in die Schulen zu bringen.“

In Luxemburg-Stadt waren die Reaktionen zumindest der Lehrergewerkschaften verhaltener. Das hauptstädtische Comité de coges-tion forderte gemeinsam mit dem SEW Lehrer auf, die Fragebögen nicht weiterzuleiten. Begründung: „(...) un certain nombre de questions sont destinées à inciter les différents partenaires à se dénoncer les uns les autres.“ Das Komitee zeigte sich überzeugt, „que les écoles de la Ville connaissent pour la plupart un climat scolaire encore assez serein“ und empfahl daher: „Il faut absolument essayer de préserver les bonnes relations qui existent entre les différents partenaires et entre les membres des équipes pédagogiques, et il ne sert à rien de semer la discorde avec des questions insidieuses sur le fonctionnement de l’équipe pédagogique.“

Nach einer Aussprache mit der Agentur schien der Streit beigelegt, aber nun stößt eine weitere Befragung der Gewerkschaft sauer auf: Im Rahmen der diese Woche stattfindenden Épreuves standardisées im dritten Zyklus sollen Daten zu den sozio-ökonomischen Hintergründen der Eltern erhoben werden, um, wie es die Leiterin der Agentur, Amina Kafai, beschreibt, Lehrern „ein aussagekräftiges Feedback über die Hintergründe der Schülerleistungen“ geben zu können.

Die Tests könnten lernschwächere Schüler entmutigen, warnt dagegen der SEW und hat sogar bei der Ministerin interveniert. Dabei dienen die Tests gar nicht zur Bewertung der Schüler. Noch mehr stößt sich die Gewerkschaft an Fragen an die Eltern über deren Zufriedenheit mit Unterricht und Lernanforderungen: „Dès lors qu’ils savent que les enseignants disposent de ces données, comment ne pas les leur communiquer sans créer un climat de méfiance?“, fragt die Gewerkschaft misstrauisch.

Es gehe nicht darum, „Lehrer schwarz zu malen“, sondern eine realistische Einschätzung zu wichtigen Aspekten in der Schule zu bekommen, versucht Michèle Retter die Ängste der Lehrer zu beruhigen. Sie konstatiert nüchtern „unterschiedliche Interessen“. Dass vielen Lehrern die neue Transparenz schwer fällt, verwundert nicht, schließlich mussten sie bisher wenig Rechenschaft für ihre Arbeit geben. Ganz unbegründet ist die Sorge vor elterlichen Störenfrieden zudem nicht. In der Vergangenheit haben sich wiederholt Eltern an die Gerichte gewandt. Vor allem die verbindliche Orientierungsempfehlung am Ende der sechsten Klasse und die Benotung geben immer wieder Anlass für Streit.

Aber auch Eltern haben schlechte Erfahrungen gemacht: So bekam ein Vater, der seinen Sohn zur Einschulung begleitete, vergangenes Jahr zur Begrüßung von der Klassenlehrerin pampig mitgeteilt, wer etwas von ihr wolle, solle sich gefälligst per Email melden. Ansonsten hätten Eltern in der Schule nichts verloren. Sein Hinweis auf die neue Rechtslage beeindruckte die Lehrerin nicht. In Esch schlug vor zwei Jahren ein Streit hohe Wellen, als sich Eltern der Lallinger Grundschule Formaldyhyd-Dämpfe und Baumängel beklagten und Gesundheitsschäden für ihre Kinder befürchteten. Die Schulkommission der Gemeinde wischte die Beschwerden zunächst beiseite. Erst auf gemeinschaftlichen Druck einiger Eltern bequemte sie sich, Raumluft-analysen durchzuführen.

Wie schwierig gelebte Demokratie ist, zeigte sich auch kürzlich in Luxemburg-Stadt, als Mütter und Väter der Aloyse Kayser-Grundschule sich wunderten, dass ihre Kinder plötzlich den Klassensaal wechseln sollten. Anlass war die Beschwerde zweier Väter bei der Gemeinde über eine unfaire Raumaufteilung: Eine Klasse mit elf Schülern war im 80 Quadratmeter großen Klassenraum untergebracht, während sich 21 Kinder mit 62 Quadratmetern zufrieden geben mussten. Den irritierten Einwand der Schulschöffin, das könne doch nicht im Interesse der Kinder sein, wies das Schulkomitee zurück: „Selon l’avis des enseignants concernés et du comité d’école, la salle de classe en question permet du point de vue pédagogique d’assurer un enseignement de qualité à tous les élèves.“ Woraufhin die Gemeinde den Umzug kurzerhand von oben anordnete und nun für alle Schulen verbindliche Kriterien zur Raumbelegung herausgeben will. Eltern kritisierten anschließend die Einzelaktion der beiden Väter als Missachtung demokratischer Strukturen. Offenbar wussten sie nicht, dass die Gemeinde, nach der Reaktion des Schulkomitees, einen Elternvertreter über ihre Pläne in Kenntnis gesetzt hatte.

Ärgerliche Einzelfälle oder Beleg für das, was die Bildungsstudien Pirls und Pisa festgestellt haben: dass das Klima an Luxemburgs Schulen grundsätzlich zu wünschen lässt? Die Fapel will Licht ins Dunkle bringen und hat an ihre Mitglieder und an die ihnen bekannten Elterndelegierten Fragebögen zur Zusammenarbeit mit den Schulen und Lehrern verschickt.

Illusionen darüber, dass mit den Elternvertretern schon bald eine neue Kultur in die Schulen Einzug hält, macht sich Präsidentin Michèle Retter indes keine, auch wenn sie eine „gewisse Mobilisierung“ und „Dynamik“ in der Elternschaft festgestellt haben will: „Das Gesetz ist neu, das muss sich erst einspielen“. Eine Elternvertreterin aus dem Süden sieht das ähnlich: „In den Gemeinden, wo bereits eine demokratische Kultur an den Schulen herrscht, läuft die Zusammenarbeit besser. Das ist alles eine Frage der Zeit“, sagt sie optimistisch. Vielleicht hängen dann auch mal in Luxemburgs Schulen freundliche Dankeschön-Transparente?

Ines Kurschat
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