Zehn Jahre nachdem der damalige LSAP-Abgeordnete Jeannot Krecké dem Finanzminister einen Bericht mit Empfehlungen zum Kampf gegen den Steuerbetrug überreicht hatte, deponierte der Finanzminister einen Gesetzentwurf, der den Informationsaustauschzwischen der Steuerverwaltung, dem Enregistrement und dem Zoll auf eine juristisch unanfechtbare Grundlage stellen und verschiedene Steuerbeamte mit den Befugnissen von Kriminalbeamten ausstatten soll. Damit soll unter anderem der bandenmäßig organisierte, internationale Pyramidenbetrug bei der Mehrwertsteuer wirksamer bekämpft werden.
Eher nebenbei soll das Gesetz aber auchmit seinem Artikel 18 das hierzulande ungewohnte Prinzip der Selbstveranlagung einführen. Das heißt, der Steuerpflichtige setzt mit seiner Steuererklärung seine Steuerschuld selbst fest und begleicht sie, ohne dass die Steuerverwaltung die Steuererklärung in jedem Fall überprüft.Dass ausgerechnet mit einem Gesetz gegen den Steuerbetrug Kontrollen abgebaut werden sollen, scheint auf den ersten Blick widersprüchlich. Aber es soll vor allem darum gehen, überlastete Steuerbeamte von Routinearbeiten zu befreien, damit sie fürandere Arbeiten und vor allem gezieltere Überprüfungen eingesetztwerden können.
Tatsächlich nimmt die Zahl der Steuerpflichtigen schneller zu als die der Steuerbeamten. Alleine zwischen 2002 und 2006 stieg die Zahl der Handelsgesellschaften um rund die Hälfte, von 43 205 auf 63 244. Beim für Beteiligungsgesellschaften zuständigen sechsten Steuerbüro hat sich in derselben Zeitspanne die Zahl dereingetragenen Gesellschaften verdoppelt, vom 13 117 auf 27 500. Die Regierung hat aber nicht vor, die Zahl der Steuerbeamten im selben Tempo zu erhöhen, heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs. Deshalb soll nun die Selbstveranlagung Abhilfe schaffen. Das Prinzip stammt eigentlich aus den USA, woder Internal Revenue Service mit rund 100 000 Beamten 130 Millionen Einkommens- und Körperschaftssteuererklärungenbearbeitet und nur ausnahmsweise überprüft. Selbstveranlagung,bei der in der Praxis ein Teil der Verwaltungsarbeit auf vonden Steuerpflichtigen bezahlte Steuerberater abgeschoben wird, gibt es aber auch in Großbritannien, Spanien und Kanada.
Das Rationalisierungspotenzial für die Steuerämter wird dadurch optimiert, dass inmanchen dieser Länder di meisten Steuererklärungen elektronisch abgewickelt werden. Diesvereinfacht auch das Aufspüren von Steuerbetrügern. Denn der automatisierte Vergleich der Steuererklärungen mit Computermodellen erlaubt es, von der NormabweichendeErklärungen herauszufiltern, die dann überprüft werden.Hierzulande soll die Abgabenordnung von 1931 um einen Paragrafen 100a ergänzt werden, der besagt: „Le bureau d’imposition peut, sous réserve d’un contrôle ultérieur, fixerl’impôt en tenant compte de la seule déclaration d’impôt, et ceci sans qu’il y ait lieu d’indiquer les motifs.“ Es steht also dem Steuerbüro frei, die Steuererklärung ungeprüft anzunehmen oder die Selbstveranlagung zu verweigern; ein Rechtsmittel des Steuerpflichtigen gegen diese Entscheidung besteht nicht. In jedemFall erhält der Steuerpflichtige einen Steuerbescheid; darauf ist ausdrücklich vermerkt, ob dieser auf der Grundlage der Selbstveranlagung ausgestellt wurde.
Doch selbst wenn das Steueramt die Selbstveranlagung akzeptiert, ist der Steuerpflichtige noch nicht endgültig über jeden Zweifel erhaben. Allzu groß wäre wohl die Versuchung, sich arm zu stellen und die eigene Steuerschuld ungerechtfertigt zu verringern.Deshalb behält das Steueramt das Recht, während fünf Jahren einenachträgliche Überprüfung durchzuführen und einen neuen Steuerbescheid zu schicken. Denn erst nach fünf Jahren wird der nach der Selbstveranlagung ausgestellte Steuerbescheid endgültig, ohne dass dann ein weiterer Bescheid nötig würde.
Für die Steuerpflichtigen soll die Selbstveranlagung eine drastischeVerkürzung der Bearbeitungsfristen erlauben. Wenn sie dann wirklich Interesse daran haben sollten, ihre Steuerschuld schneller als bisher zu begleichen. Allerdings soll die Selbstveranlagung derzeit nur für Kapitalgesellschaften eingeführt werden. Von der Selbstveranlagung für natürliche Personen geht noch keine Rede. Bis also jeder seine Steuererklärung über Internet selbst macht und mit einem Paypal-Klick gleich auch das Geld überweist, dürfte es noch etwas dauern. Der vorliegende Gesetzentwurf über den Datenaustausch zwischen Steueramt, Enregistrement,Sozialversicherung und anderen Behörden ist aber schon eine wichtige Voraussetzung dafür; möglicherweise wäre eine weitere Lockerung von Bankgeheimnis und Datenschutz nötig, um die Steuerhinterziehung und den Steuerbetrug nicht allzu sehr zu fördern.
Doch es fragt sich, ob für eine Selbstveranlagung nicht auchdas bestehende System der zahlreichen Steuerklassen, Einkommensstufen, Freibeträge und Abschläge vereinfacht werdenmüsste. Das hatte die Regierung schon bei ihrer großen Steuerreformvor sechs Jahren angekündigt, sie war aber kläglich damit gescheitert. Denn die viel kritisierte Komplexität des Systems soll der Komplexität der Lebenssituationen der Steuerpflichtigen Rechnung tragen: Leute mit unterschiedlicher steuerlicher Leistungsfähigkeitüber einen Kamm zu scheren, widerspricht der Steuergerechtigkeit.