„Eigentlich lag auf der Hand, was man machen müsste“, sagt Tania Brugnoni vom Kulturdienst der Stadt Differdingen. Gemeint ist die künftige Nutzung der leerstehenden Hallen von Arcelor-Mittal hinter dem Stadtteil Foussbann. Darin entstehen über die kommenden Jahre: individuelle und gemeinschaftlich nutzbare Büros, beispielsweise für Designer, IT- und Kommunikationsfachleute, Künstlerateliers, Werkstätten für Kunstschaffende und Kunsthandwerk. Unter dem Sammelbegriff „Kreativ-Industrie“ könnte man das Zielpublikum der Stadt Differdingen zusammenfassen. Seit Jahren schon stellt die Südstadt Künstlern und Kreativen für wenig Geld Ateliers zur Verfügung. Momentan sind es ein Dutzend, die das Angebot nutzen. Andere stehen an. Daher mussten Brugnoni und ihre Mitstreiter nicht lange überlegen, als Arcelor-Mittal der Stadt die Hallen zur Nutzung anbot.
Mit dem Stahlkonzern wurde ein Pachtvertrag über 30 Jahre abgeschlossen, nun soll auf insgesamt 15 600 Quadratmetern ein neues Aktivitätszentrum aufgebaut werden. Arbeitstitel: Kreatiffabrik. Vergangenen Juli wurde das Projekt erstmals vorgestellt (d’Land, 15.07.2011). Seither ist es ruhig geworden, doch im Hintergrund läuft die Planung. Noch diesen Herbst sollen die Arbeiten zur Fertigstellung der Umgehungsstraße für Differdingen beginnen – Voraussetzung für ein Weiterkommen. Dadurch wird die Kreatiffabrik vom restlichen, noch genutzten, Industrieareal abgetrennt und kann direkt an den Stadtteil Foussbann angebunden werden.
Die Nähe zum Wohngebiet ist den Projektverantwortlichen ein Anliegen. Die Hornbrillen-Konzentration dürfte in der späteren Kreatiffabrik Spitzenwerte erreichen. Doch die Anlage soll Teil Differdingens und allen Leuten zugänglich sein, wie Brugnoni hervorhebt. Anders gesagt, es soll kein Kreativen-Ghetto entstehen, in das sich andere Leute nicht hineintrauen. Um die Differdinger später in die Kreatiffabrik zu locken, sollen deshalb auch öffentliche Veranstaltungen dort stattfinden. Das Projekt, erklärt sie, ist Puzzlestück einer größeren städteplanerischen Anstrengung und nicht zuletzt auch Teil der Bemühung der ehemaligen Industriestadt, sich eine neue Identität aufzubauen.
Von der Initiative The Hub unterscheidet sich die Kreatiffabrik in vielen Punkten. Schon weil hinter dem Projekt die Stadtverwaltung steht. Und aufgrund der schieren Projektgröße. In Planung sind 4 650 Quadratmeter Bürofläche, Platz für 400 Arbeitsposten. Dazu kommen 890 Quadratmeter Atelierfläche für ungefähr 30 Künstler. Sowie Konferenzsäle und Co-Working-Fläche, die modular verändert werden kann und Schließfächer für Laptops und Unterlagen bietet. Auf 450 Quadratmetern sollen Probe- und Aufnahmeräume für Musiker eingerichtet werden, die Werkstätten für Handwerker, Schreiner, Buchbinder, Gravur- oder Siebdruckwerkstätten rund 780 Quadratmeter belegen. Daneben soll es ein Café und ein Restaurant geben, sowie einen Multifunktionssaal.
Die Kreatiffabrik bietet, was The Hub nicht macht: individuelle Büros, abschließbare Räume. Anders als in anderen Firmeninkubatoren soll es keinen Druck geben, ausziehen zu müssen, wenn sich eine Firma entwickelt. „Eine Firma mit zehn Mitarbeitern kann dort ebenso arbeiten, wie ein Freischaffender“, sagt Brugnoni. Sie kann sich vorstellen, auch Akteure der vom Staat gepushten Videospiel-Industrie anzusiedeln.
Ihr oberstes Ziel aber ist: die Mieten niedrig halten, um „Kulturschaffen und Kreativen eine Möglichkeit zu geben, ihre Arbeit auszuüben und davon zu leben“. Und: Akteuren der Solidargemeinschaft sowie geschützten Werkstätten Raum zu bieten. „Die Mieten sollen unter zehn Euro pro Quadratmeter bleiben“, so die entschlossene Brugnoni. Die Gemeinschaftsbüros können für ähnlich günstige Tarife pro Stunde, Tag oder Monat angemietet werden. Um die vor Ort entwickelten Produkte in die Vitrine stellen zu können, soll ein Laden integriert werden. Und ein Ressourcenzentrum aufgebaut werden, das beispielsweise auch den Künstlern bei der Vermittlung ihrer Arbeit hilft. Ähnlich wie bei The Hub sollen der Austausch der Mieter, die Gemeinschaft eine Rolle spielen, Kompetenzen weitergegeben werden.
Noch steht die Projektfinanzierung nicht. Feste Zusagen für staatliche Fördermittel bleiben aus. Was auch daran liegt, dass das Budget noch nicht fertig ist, weil das Lastenheft für die Umbauarbeiten noch in der Ausarbeitung ist. Damit beauftragt ist das Architektenbüro Carvahloarchitects von Jean-Paul Carvahlo. Dabei ist wichtig: „Es wird nur zu minimalen Interventionen kommen und vor allem darum gehen, die Gebäude klimatisch in den Griff zu bekommen“, unterstreicht Brugnoni. Der industrielle Charakter des Areals, die Atmosphäre, sollen auf jeden Fall erhalten bleiben.
Zur Finanzierung will Brugnoni auch Stiftungen heranziehen, Sponsoren finden. Genaues will sie nicht verraten. Dennoch sollen bereits Anfang 2013 die ersten fünf Einheiten bezogen werden. Räume, die kaum umgebaut, lediglich geputzt werden müssen. Zu den Neuzugängen gehört neben Carvalhoarchitects und einer bereits aktiven Schreinerwerkstatt auch ein Verlag für Kinderbücher.
Auch deshalb ist Brugnoni überzeugt, dass das Projekt ein Erfolg wird. Trotz der Dimensionen des Projekts. Zwischen 40 und 50 Anfragen liegen ihr schon vor. „Von Fotografen, Künstlern, Software-Entwicklern, Architekten.“ Klingt fast ein bisschen nach Großstadt.
Michèle Sinner
Catégories: Développement durable, Politique économique
Édition: 07.09.2012