Der Staatshaushalt der neuen Generation

Buchhaltung gegen Umverteilung

d'Lëtzebuerger Land vom 09.01.2015

Der frisch bei der Handelskammer abgeworbene Finanzminister Pierre Gramegna war gerade einen Monat im Amt und hatte keine Angst, seine Taten in große Worte zu kleiden. Denn nach der Kabinettsitzung vom 16. Januar hatte er vor einem Jahr einen „Paradigmenwechsel“ angekündigt, der mit dem Staatshaushalt für 2015 stattfinden werde. Für 2014 müsse man sich noch mit einem Übergangshaushalt zufrieden geben, aber 2015 werde dann „eine „kopernikanische Wende“ in der staatlichen Haushaltspolitik stattfinden.

Doch selbst Nikolaus Kopernikus brauchte 30 Jahre von seiner ersten heliozentrischen These im Commentariolus bis zur Veröffentlichung von De revolutionibus orbium cœlestium. Deshab musste Pierre Gramegna bei seiner Haushaltsrede Mitte Oktober ankündigen: „Der Haushalt 2015 ist ein weiterer Schritt in Richtung eines Haushalts der neuen Generation. Unser Ziel ist es, bis 2018 einen Haushalt zu haben, der nach Zielen aufgestellt ist. Andere Länder haben fast zehn Jahre an einer solchen Umstellung gearbeitet. Wir werden das schneller machen.“

Ein Jahr nach der Ankündigung der kopernikanischen Wende zog der Finanzminister am Ende der Haushaltsdebatten Mitte Dezember eine Zwischenbilanz: „Ich bin froh über das, was wir bisher erreicht habe, dass wir jetzt eine Methode haben, die viel kritisiert wurde aus der Opposition, aber wir haben sie. Ich habe zuvor als Beispiel gegeben, dass ich für den Haushalt 2014 nicht in der Lage war, etwas anderes zu tun als Investitionen zu drosseln. Ich hatte keine Methode. Jetzt habe ich eine.“ Aber „was wir jetzt schon getan haben: 500 Artikel abschaffen, den Ministern mehr Flexibilität geben, dass sie alle verantwortlicher mit den Krediten umgehen können.“

Worin die neue Methode genau bestand, erklärte die Regierung nie so richtig. Pierre Gramegna hatte dem Parlament am 23. April berichtet, dass 15 Arbeitsgruppen nach Einsparmöglichkeiten in 15 Ministerien und fünf „horizontale Gruppen“ nach Rationalisierungsmöglichkeiten bei gemeinsamen Einkäufen, Investitionen, dem Personal, den Verwaltungsprozeduren und der elektronischen Datenverarbeitung suchten. Im Juli nannte der Minister die neue Methode eine „Budget review“, bei der „wir alle Ausgaben hinterfragt haben“. Die Einnahmeseite der Ministerien blieb tabu für die Arbeitsgruppen. Für die Betreuung der Arbeitsgruppen zahlte die Regierung der Beraterfirma McKinsey 384 000 Euro.

Welche Haushaltsposten zusammengelegt wurden, machte die Regierung nicht öffentlich. Nicht einmal die genaue Zahl dieser Haushaltsposten ist bekannt. Aber vielleicht ist sie sowieso nicht wichtig, denn laut Haushaltsgutachten des Rechnungshofs ist das sowieso keine kopernikanische Wende, sondern „une simple mesure cosmétique“.

Eine kosmetische Operation war auch, dass der Finanzminister den Haushaltsentwurf für 2015 nicht mehr in Buchform, sondern nur noch als USB-Karte im Parlament hinterlegte. Dadurch sparte der Staat angeblich 3 000 Euro Druckkosten. Doch zahlte die Regierung gleichzeitig der Werbeagentur Comed 35 040 Euro, um die Eckwerte des Haushalts als bunte Schaubilder im Internet zu veröffentlichen. Danach ließ das Parlament laut Kammerpräsident Mars Di Bartolomeo (LSAP) doch noch einige hundert Bände des Haushalts beim Staat drucken.

Die kostspieligen Schaubilder im Internet nannte der Finanzminister ein „konkretes Beispiel, wie diese Regierung ihr Verspechen im Sinn von mehr Transparenz und Demokratie hält“. Aber in Wirklichkeit bemühte sich der Finanzminister von Anfang an, die Reform der Haushaltsprozedur und der staatlichen Buchführung zu monopolisieren. Davon sollen nicht nur andere betroffene Ministerien, wie dasjenige des öffentlichen Dienstes, und andere Verwaltungen, wie die Finanzinspektion oder die Rechnungskammer, weitgehend ausgeschlossen bleiben. Vor allem soll das Parlament, das laut Verfassung alle Steuern und Ausgaben bewilligen muss, vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Anfänglich hatte der Finanzminister der Kammer versprochen, in die Vorbereitung des Haushalts der neuen Genera­tion eingebunden zu werden. Im Juli meinte er dann: „Wenn wir zum Haushalt nach Zielen, zum Haushalt nach Programmen übergehen, das ist eine Prozedur, die wir dabei sind zu studieren, da muss auch das Gesetz geändert werden und da wird natürlich die Kammer mit impliziert.“

Statt des Parlaments implizierte die Regierung lieber private Unternehmensberater. Denn für die Regierung und die auf Buchhaltung und Steuerberatung spezialisierten Unternehmensberater sind die Buchführung des Staats und der Privatunternehmen nicht zwei spezifische, an ihre jeweiligen Bedürfnisse angepasste Techniken, sondern die staatliche Buchführung wird als eine unvollkommene und rückständige dargestellt, die an die angeblich moderne und vollkommene der Privatunternehmen angepasst werden soll.

Wie weit die Regierung die staatliche Buchführung an diejenige der Privatunternehmen angleichen will, auch darüber schweigt sie sich sowohl gegenüber dem Parlament als auch der Öffentlichkeit aus. Im September hatte der für die Beziehungen zum Parlament zuständige Minister Fernand Etgen (DP) das Kammerbüro schriftlich informiert, dass Premier Xavier Bettel im Oktober vor der Kammer eine Rede über den Haushalt der neuen Generation halten wolle. Danach bekam die Kammer einen neuen Brief, dass der Premier lieber über den Zukunftspak reden wolle.

Somit weiß noch immer niemand, wie weit die Regierung mit ihrem Haushalt der neuen Generation gehen will. Will sie die schon von CSV-Finanzminister Luc Frieden bei der OECD bestellten Empfehlungen Budgeting in Luxembourg. Analysis and recommandations von 2011 übernehmenn? Oder sollen die weiter gehenden Grundlinien des Gesetzesvorschlags „visant à renforcer le pouvoir budgétaire de la Chambre des députés, à promouvoir la modernisation de la gestion publique“ übernommen werden, den der LSAP-Abgeordnete Roger Negri schon im Dezember 2009 eingebracht hatte? Negri machte sich für die Übernahme der französischen Loi organique relative aux lois de finances (Lolf) stark, für die auch der Rechnungshof regelmäßig in seinen Gutachten wirbt. Im Koalitionsabkommen geht die Rede von „zero base budgeting“, der bereits 1981 von dem damaligen CSV-Berichterstatter François Colling geforderten jährichen Infragestellung aller Ausgabenposten, und „une baisse des dépenses (hors investissements) par Ministère par un certain pourcentage que le Gouvernement fixera chaque année“.

In seiner Haushaltsrede im April erklärte Pierre Gramegna, das „Endziel“ sei, „progressiv über Jahre jedem Ministerium möglichst klare Ziele zu setzen und so den Umgang mit dem Geld der Bürger effizienter zu machen. Wir müssen von der Haltung und der Frage abkommen, wie verschiedene Ministerien ihr Geld ausgeben, und zu einer anderen Frage kommen: Wozu geben wir Geld aus, mit welchen Zielen? Das ist im Grunde die Schlüsselfrage des ganzen Haushalts der neuen Generation. Deshalb werden Haushaltsfragen und Buchführungsfragen uns in den nächsten Monaten und Jahren noch viel beschäftigen.“

Vor allem aber soll der Haushalt der neuen Generation die Umverteilungsfunktion des Staats – der mit den Steuern der Reichen den Armen Infrastrukturen, Dienstleistungen und Geldtransfers kostenlos oder unter dem Gestehungspreis zur Verfügung stellt – hemmen oder vereiteln. Der Staat soll am Ende unter dem Druck des Fiskalpakets der Europäischen Union und mit Unterstützung der Big Four, eine den Privatunternehmen entlehnte, auf eine Kosten-Nutzenrechnung und einen Betriebsgewinn geschlossener wirtschaftlicher Einheiten ausgerichtete Buchführung übernehmen. Wobei die angelsächsischen Unternehmensprüfer, die den Weltmarkt der Unternehmensprüfung kontrollieren, bei dieser Privatisierung des Rechts seit Jahren eine Buchhaltung durchsetzen, die auf die kurzfristige Information der Finanzmärkte abzielt, also im Widerspruch zur langfristigen Politik eines Staats steht.

Die Verwaltungen sollen die Illusion bekommen, dass sie wie Tochterunternehmen des Staats mit ihren Mitteln selbstständig haushalten können, um einseitig quantifizierte politische Ziele zu verfolgen. Doch in Wirklichkeit können sie nur über ihre Ausgaben, nicht über ihre Steuereinnahmen entscheiden, so dass ständige Ausgabenkürzungen das einzige Mittel sind, ihre Bilanz auszugleichen – rezentes Beispiel ist das Kunstmuseum Mudam, das aufhört, Kunst zu kaufen, um die Heizkosten zu zahlen. Mittels eines buchhalterischen Sachzwangs wird so der langfristige Umverteilungscharakter zu einem ökonomischen Widersinn und zurückgedrängt.

Gleichzeitig wird so die Staatsverschuldung aufgebläht. Mit Hilfe der Europäischen Union und der OECD geht seit Jahren die Rede von der horrenden „versteckten Staatsschuld“, die duch die Anrechte der Rentenversicherung entstanden ist. Aber niemand stellt diesen Passiva die staatlichen Aktiva gegenüber, wie das unbefristete Steuerprivileg und das gewaltige Immobilienvermögen des Staats.

Romain Hilgert
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