Martine à l‘école

d'Lëtzebuerger Land vom 19.07.2024

Auf 82 Seiten hat das Luxembourg Centre for Educational Testing (Lucet) die ersten Daten zum Pilotprojekt Zesumme wuessen! der französischen Alphabetisierung analysiert. Der Bericht ist eine Art deep dive in die linguistische Vielfalt des Großherzogtums – lokal gemessen. Seit der Rentrée 2022/23 waren vier Klassen (113 Schüler/innen) des zweiten Zyklus (Cycle 2.1) in der Uewerkuerer Schoul in Differdingen, der Schoul Deich in Düdelingen, der Schule in Larochette und der Nelly Stein Schule in Düdelingen in zwei Gruppen aufgeteilt worden: Die einen lernen auf Deutsch Lesen und Schreiben, die anderen auf Französisch. Die zweite Fremdsprache (in diesem Fall Deutsch) kommt im zweiten Schuljahr mündlich hinzu und im Cycle 3.1 schriftlich. Dabei haben die Schulen in Düdelingen, Schifflingen und Differdingen einen ähnlichen sozioökonomischen Index; die Fielser Schule steht etwas besser da. Nur dort wurden mehr Kinder auf Französisch alphabetisiert als auf Deutsch (14:13). Für die Auswertung hat das Lucet Daten aus dem Herbst 2023 und die sogenannten Epreuves standardisées (EpStan) genutzt. Es sind standardisierte Leistungstests, die Schlüsselkompetenzen in Mathematik und Luxemburgisch-Verständnis abfragen und im gängigen Schulmonitoring eingesetzt werden. Eine ähnlich aufgestellte Schülergruppe wurde als Kontrollgruppe genutzt; auch die Eltern wurden mit Fragebögen eingebunden.

Die Resultate seien trotz gewissen methodologischen Einschränkungen – denn die Gruppe der auf Französisch alphabetisierten Kinder ist klein – positiv zu bewerten. Die auf Französisch alphabetisierten Kinder zeigen ein leicht höheres Wohlbefinden und eine stärkere schulische Motivation, wenn es um den Schriftspracherwerb in „ihrer“ Sprache geht, als die Kontrollgruppe. (Mehr Recherche sei nötig, um festzustellen weshalb die auf Französisch Alphabetisierten wesentlich mehr Angst vor Mathematik aufzeigten – obwohl sie gut abschnitten.) Keine Überraschung ist die Feststellung, dass Eltern ihren Kindern eher helfen können, wenn diese in der Familiensprache Lesen und Schreiben lernen. Diese Feststellung sei „besonders bedeutsam“ vor dem Hintergrund, dass es einen positiven Zusammenhang zwischen der Unterstützung der Eltern und den schulischen Leistungen der Kinder gibt, schreiben die Forscher/innen. Die Schüler/innen fühlten sich als Teil einer zusammenhängenden Klasse, die Befürchtung einer Spaltung zwischen den Schülern hat sich bisher also nicht bestätigt.

Die Antworten auf die linguistische Situation der Familien zeigen, dass das Sprachenumfeld zuhause mehr oder weniger einheitlich ist, was Medien angeht. Demnach kommen die auf Französisch alphabetisierten Kinder in ihren Familien kaum mit Luxemburgisch (25 Prozent) und überhaupt nicht mit Deutsch in Kontakt, etwa durch Hörspiele, Bücher oder Filme. Die Schüler mit luxemburgischem Sprachhintergrund schauen zwar auch lieber deutsche Filme, jedoch vergleichsweise mehr französische Filme als die andere Gruppe. Das Lucet erklärt sich das damit, dass einige Eltern, die Französisch oder Portugiesisch zuhause sprechen, sich dennoch für eine Alphabetisierung auf Deutsch entschieden haben. Gleichzeitig zeigt sich auch, dass diese äußerst diversen sprachlichen Hintergründe kein Kommunikationsproblem für die Kinder darstellen: Sie sprechen zum Großteil einfach Luxemburgisch miteinander.

DP-Bildungsminister Claude Meisch darf sich freuen, die französische Alphabetisierung ist eines seiner Herzensprojekte. Alle Parteien bis auf die ADR sind dem Projekt grundsätzlich offen gegenüber, viele wollten diese erste Evaluierung abwarten. Francine Closener, Ko-Parteipräsidentin der LSAP, findet das Projekt bisher vielversprechend, der Teufel stecke „in der Umsetzung im großen Stil“. Kleine Gemeinden würden mit Sicherheit Schwierigkeiten haben, beide Sprachen anzubieten, und die Akzeptanz des Lehrpersonals müsse sichergestellt werden. Auch stelle sich die Frage der Eltern – die Entscheidung der Alphabetisierungssprache liegt bei ihnen. „Was passiert mit denen, die das nicht wollen?“ Denn es müsse sichergestellt werden, dass die französische Alphabetisierung nicht als „minderwertig“ empfunden werde. Closener sieht darin einen Weg, den Bildungsungerechtigkeiten entgegenzuwirken, jedoch kein „Wundermittel“. Auch Meris Sehovic, Parteivorsitzender der Grünen, findet die Resultate „ermutigend“, erkennt jedoch den Bedarf an mehr Ressourcen für die Gemeinden. Staat und Gemeinden müssten enger zusammenarbeiten, auch müsste man mehr Kohärenz in das Schulangebot bringen. Im Hinblick darauf, dass die Alphabetisierung bis zur Rentrée 2026/2027 landesweit eingeführt werden soll, sind diese Fragen dringlich. Gestern wurden sie zum Teil im parlamentarischen Ausschuss diskutiert, ohne besonders konkrete Antworten und mit etlichen Interventionen von Fred Keup (ADR), der sich Sorgen um die luxemburgische Sprache machte. Verhindert werden sollte jedenfalls eine Überladung des Systems, wie man sie in der Sekundarschule beobachtet und die unweigerlich zu Überforderung führt. Bildungsungerechtigkeiten verstärken sich eher, wenn nicht alle Schulen beide Optionen anbieten können.

Ziel ist es, die beiden Gruppen am Ende der Grundschule zusammenzuführen. Die wenigsten Kinder haben heute im Zyklus 4 das gleiche Niveau in den zwei Fremdsprachen. Ob die französische Alphabetisierung diese Tendenz verstärkt, kann sich erst in den nächsten Jahrzehnten wirklich zeigen.

Sarah Pepin
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