Reform der Éducation différenciée

Mehr Einfluss für die Sonderpädagogik

d'Lëtzebuerger Land vom 14.10.2011

Eigentlich hatte LSAP-Unterrichtsministerin Mady Delvaux-Stehres bereits für die Rentrée 2011 versprochen, die geplante Reform der Éducation différenciée (Édiff) vorzustellen. Bisher ist das nicht geschehen. Dabei kursiert das Reflexionspapier über eine Reorganisation seit einiger Zeit nicht nur im Ministerium. Wichtigster Änderungsvorschlag: Die Éducation différenciée würde durch ein dezentral organisiertes Système de compétences en pédgagogie spéciale (Sycops) abgelöst. Mittels regionaler Kompetenzzentren (Cecops) soll die Versorgung des Landes mit sonderpädagogischem Fachwissen und Personal sichergestellt werden, ähnlich wie das jetzt bereits mit den Équipes multi-professionnelles (EMP) versucht wird.

Weil aber die Abstimmung zwischen den EMP, den Schulen und den Inspektoraten nicht überall so reibungslos verläuft wie erhofft und vor allem, weil mit der UN-Behindertenrechtskonvention das Recht für Behinderte auf eine inklusive Bildung festgeschrieben wurde, muss die bislang außerhalb der Regelschule organisierte Édiff neu aufgestellt werden. 

Das 75-seitige Reflexionspapier klingt beim oberflächlichen Lesen viel versprechend: Künftig würden Interventionen durch Équipes psycho-pédagogiques nur noch subsidiär erfolgen, also wenn eine Förderung eines Kindes innerhalb der Regelschule nicht (mehr) möglich ist. Kinder mit besonderen Förderbedarf würden weiterhin der Commission d’inclusion scolaire gemeldet. Diese entschiede dann gemeinsam mit dem Inspektorat, welchen Förderbedarf das Kind hat und welche Hilfen ihm zuteil würden. Das könnte ein stärker individualisierter Unterricht sein, aber auch eine Unterstützung durch sonderpädagogisches Fachpersonal, etwa durch Orthophonisten im Falle eines Sprachfehlers. Diese wären den regionalen Kompetenzzentren zugeordnet. Ein dem Sycops zugeordneter Koordinator soll die Abstimmung zwischen Lehrern und sonderpädagogisch-medizinischem Personal erleichtern.

Ein Einstellungsplan sowie ein Aktionsplan für Kinder mit besonderen Bedürfnissen, der in den Schulentwicklungsplan integriert würde, sollen sicherstellen, dass Schulen ihrer Verpflichtung zur Förderung auch nachkommen können und nicht an fehlenden Ressourcen scheitern. Allerdings beschränkt sich der Aktionsplan nicht nur auf Kinder mit ausgewiesenem sonderpädagogischen Förderbedarf, „mais prend également en compte les besoins des autres élèves des classes concernées“, wie es im Papier heißt. Dieser weit gefasste Auftrag, und Passagen, wonach in der CIS offenbar die Vertreter der Édiff respektive des Sycops (plus Inspektorat, plus Sekretär/in) dominieren (sollen), sorgen bei Inspektoren und Behindertenorganisationen für Aufregung.

Sollte der Vorschlag Wirklichkeit werden, würde der Aktionsplan, geradeso wie der Schulentwicklungsplan, evaluiert, die Kontrolle darüber soll der CIS obliegen. Was aber heißt das für die Rolle des Inspektorats? Pädagogische Projekte wie in Sanem hätten künftig unter der Ägide der Sycops zu laufen, angeblich um die „Kohärenz“ zu wahren. Der Sycops würde zudem einer nationalen Steuerungsgruppe vorsitzen, die gemeinsam mit der Agence pour le développement de la qualité scolaire einen nationalen Schulentwicklungsplan erstellen würde. Für die Ermittlung des Personalbedarfs würde sich das Ministerium auf Analysen des Sycops beziehungsweise seiner Kompetenzzentren stützen, die übrigens auch über die Einstellung entscheiden würden. Dient das Papier dazu, den Einflussbereich der Édiff weiter auszudehnen, wie einige Inspektoren argwöhnen? 

Seit der Grundschulreform hat die Zahl der Schüler, die von der Édiff betreut werden, rasant zugenommen – trotz insgesamt stagnierender Grundschülerzahlen und nachdem der Trend jahrelang in die andere Richtung wies. Sie scheinen die Verlierer der Reformen zu sein. Zudem mutet an dem Vorschlag merkwürdig an, dass eigentlich nur von der Öffnung der Regelschule gegenüber der Sonderschulpädagogik die Rede ist – und wenig umgekehrt. Was passiert mit den Sonderschulzentren, von denen einige in der Vergangenheit für beträchtliche Negativschlagzeilen gesorgt hatten? Werden die Betreuungsplätze dort reduziert? Oder die Zahl der Arbeitsplätze in den Behindertenwerkstätten? Das Papier äußert sich auch dazu nicht weiter. Allerdings wird man bei der Lektüre des Dokuments, das aus den Reihen der Édiff kommt und offenbar ohne Rücksprache mit Vertretern der Regelschulen geschrieben wurde, den Eindruck nicht los, dass nicht die Édiff in die Regelschule integriert, sondern umgekehrt, die Regelschule rund um die Édiff gebaut werden soll.

Ines Kurschat
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