Am Ende waren sie sich doch fast alle einig. Mit 498 Ja-Stimmen hat das Europaparlament Mitte Dezember für die Anerkennung eines unabhängigen Staates Palästina gestimmt. Die Resolution sieht vor, die Anerkennung „grundsätzlich“ zu unterstützen, allerdings nur in Verbindung mit Friedensgesprächen. Die Parlamentarier streben die Koexistenz von zwei Staaten auf Grundlage der Grenzen von 1967 an, mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt.
Was zunächst nach einer einheitlichen europäischen Linie aussieht, ist nicht viel mehr als eine symbolische Geste. Denn die endgültige Entscheidung über die Anerkennung bleibt jedem der 28 Mitgliedsstaaten selbst überlassen. Die israelische Regierung reagierte harsch: Premierminister Benjamin Netanjahu hatte die Europa-Parlamentarier schon vor der Abstimmung ermahnt, die Resolution zu verwerfen. Israel mische sich auch nicht ein, wenn eine Region in Spanien unabhängig werden wolle, erklärte er. Außenminister Avigdor Lieberman sagte, die Entscheidung trage nicht zur Verbesserung der Situation in Nahost bei.
Die Intellektuellen des Landes sind sich uneins darüber, wie viel die Entscheidung den Palästinensern nützt. Vor der Debatte hatten über 900 Künstler, darunter ehemalige Politiker, Schriftsteller, Popsternchen und Armeeoffiziere die EU-Parlamentarier mit einer Petition aufgefordert, Palästina anzuerkennen. Alon Liel, ehemaliger israelischer Diplomat und Mitunterzeichner argumentierte in internationalen Medien, dass im Fall der Apartheid in Südafrika der Druck auch zuerst von Europa ausgegangen sei. Wenige Wochen später hätten sich die USA angeschlossen.
Konservative Publizisten sahen den Schritt der EU kritisch: Eine Zwei-Staaten-Lösung könne nur erreicht werden, wenn sie von israelischer und palästinensischer Seite angeschoben würde. Der Druck der EU sei zwecklos, so lange es keine ernstzunehmenden Friedensgespräche gäbe. Ein Abzug der israelischen Armee aus dem Westjordanland und Ostjerusalem würde Terrororganisationen wie die Hamas bestärken.
Die Reaktionen waren zu erwarten, und doch klang die Aufregung überraschend schnell wieder ab. Israelische Medien berichteten nur am Rande über die Debatte. Viel wichtiger nimmt das Land den derzeitigen Versuch der Palästinenser, eine Resolution in den UN-Sicherheitsrat einzubringen. Kurz nach der EU-Entscheidung legte Jordanien im Auftrag der palästinensischen Autonomiebehörde dem Sicherheitsrat einen entsprechenden Entwurf vor. Darin setzen die Palästinenser der israelischen Regierung die Frist, bis Ende 2017 ihre Truppen aus den besetzten palästinensischen Gebieten abzuziehen. Ein Antrag von Jordanien im UN-Sicherheitsrat, Israel zur Räumung des Westjordanlands aufzufordern und einen palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 vorzusehen, scheiterte am Dienstag am Veto der US-Amerikaner und Australien. Außenminister John Kerry warnte davor, die Resolution der Palästinenser vor den israelischen Parlamentswahlen am 17. März durchzudrücken. Das könnte Hardliner auf beiden Seiten beflügeln und den Wahlkampf aufheizen.
Das zeigt, welches Gewicht die EU auf der einen und die USA auf der anderen Seite in Nahost haben: So lange die US-Amerikaner Palästina nicht als Staat anerkennen, ist jede andere Geste nutzlos. Die EU möchte künftig eine größere Rolle im Friedensprozess spielen. Das hatte die Außenbeauftragte der EU, Federica Mogherini, schon zu ihrem Amtsantritt angekündigt. Der Resolution des EU-Parlaments fehlt es dafür allerdings an Entschiedenheit. Deswegen arbeiten Frankreich, Großbritannien und Deutschland gerade an einer eigenen Resolution für den UN-Sicherheitsrat. Frankreichs Außenminister Laurent Fabius kündigte an, dass auch hier eine Zweijahresfrist für die Aushandlung eines Friedensabkommens enthalten sei. Deutschland ist zwar kein ständiges Mitglied im Sicherheitsrat, gilt aber wegen seiner guten Beziehungen zu Israel als wichtiger Partner für den Resolutionsentwurf. Gelingt den drei EU-Staaten ein gemeinsames Papier, dürfte es den US-Amerikanern schwer fallen, dagegen ein Veto einzulegen.
Die Palästinenserfrage ist in den letzten Wochen ins Zentrum der politischen Debatte in Europa gerückt. Weltweit erkennen mittlerweile 135 Staaten Palästina an. Unter ihnen sind auch Bulgarien, Malta, Polen, Rumänien, die Slowakei, Tschechien und Ungarn, die die Anerkennung schon vor ihrem EU-Beitritt im Mai 2004 vollzogen hatten. Als erstes und bisher einziges westliches EU-Land hat Schweden Ende Oktober beschlossen, Palästina bedingungslos anzuerkennen. Daraufhin forderten ebenfalls das britische Unterhaus, sowie das spanische, irische und französische Parlament ihre jeweiligen Regierungen auf, Palästina anzuerkennen. Kurz vor Weihnachten verabschiedete schließlich auch das luxemburgische Parlament einen entsprechenden Antrag an die Regierung.