Es sei das erste Mal in vielen Jahren, dass er einen Lebenslauf geschrieben habe, sagt Serge de Cilia, Jahrgang 61, und das sei keine leichte Übung gewesen. Seit vergangener Woche ist gewusst: Er wird die Nachfolge von CEO Jean-Jacques Rommes an der Spitze der ABBL antreten, wenn dieser im kommenden Mai zur UEL wechselt (d’Land 27.09.2013). Dass die Entscheidung jetzt fiel, mag ein wenig überraschen, weil noch nicht bekannt ist, wer ABBL- Präsident Ernst-Willhelm Contzen beerbt, wenn sein Mandat im kommenden Jahr ausläuft. Doch in der Zwischenzeit will der Wechsel auf Management-Ebene vorbereitet werden. Über die Reorganisation, die Ausrichtung der ABBL unter seiner Leitung, will Serge de Cilia derzeit noch nichts sagen, um dem neuen Präsidenten nicht vorzugreifen. Ob es bei der aktuellen Zahl von fünf Mitgliedern im Management Board bleibt? Wer welche Aufgabenfelder übernimmt? Ob sich die ABBL auch in Zukunft politisch so stark äußern will, wie sie das unter Jean-Jacques Rommes gemacht hat, oder sich ihre Arbeit eher auf die technischen Dossiers konzentrieren wird? Das hängt nicht zuletzt auch davon ab, wie Rommes sein Amt als geschäftsführendes Verwaltungsratsmitglied bei der UEL gestalten wird.
Von den beiden Kandidaten, die für Rommes’ Nachfolge in Frage kamen, als Anwärter galt auch Fernand Grulms, der bis Anfang des Jahres CEO von Luxembourg for finance war, ist de Cilia der Techniker, der bisher wenig im Rampenlicht stand und eher diskret im Hintergrund agiert hat. Von Kapitalregeln über finanzielle Berichterstattungsregeln bis hin zur Aufsichtsarchitektur – wenn es um Regulierungsfragen geht, ist de Cilia der Mann, der die Paragrafen herauf und herunter beten kann. Dass er als Ökonom über die Jahre zum Monsieur régulation der ABBL geworden ist, deren Vorstand er seit 2011 angehört, war eher den Umständen geschuldet als einem Plan. Als ihn der ehemalige ABBL-Direktor und CSV-Abgeordnete Lucien Thiel und Jean-Jacques Rommes 2000 bei einem Mittagessen im Breedewee für den Bankenverband rekrutierten, hatten die EU-Staats- und Regierungschefs sich gerade im portugiesischen Feira darauf geeinigt, die Einnahmen aus der Zinsbesteuerung miteinander zu teilen. In den folgenden Monaten wurden die Details verhandelt. Gleichzeitig wurde bei der Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) über neue Kapitalregeln für die Banken – das Basel-II-Paket – diskutiert. Wichtige Themen für den Bankenstandort Luxemburg, die über dem neuen ABBL-Mitarbeiter de Cilia zusammenkrachten.
Dass die intensive Beschäftigung mit der Regulierung ihn von seinem ursprünglichen Interessenfeld, der Volkswirtschaftslehre, entfernt, findet er nicht unbedingt. Für ihn geht es auch darum zu ermitteln, welche „Konsequenzen die Regulierungsinitiativen auf die Wirtschaft haben“. Wenn die Kreditvergabe-Bestimmungen für die Banken ändern, haben die Unternehmen dann noch ausreichend Zugang zu finanziellen Mitteln, nennt er ein Beispiel.
XBRL, IAS, IFRS, Finrep, Corep, Icaap, Sifis, SSM, SRM, T2S, Emir, Mifid, AIFMD, Prips, Ucits und Emir – um allein die Akronyme und Kürzel auf der Liste der Dossiers zu verstehen, die de Cilia in seinen 14 Jahren bei der ABBL betreut hat, müssen Nicht-Eingeweihte das Finanz-Lexikon zur Hand nehmen. Oder de Cilia fragen, denn er erklärt gerne, mit leiser Stimme, klar und präzise; sehr pädagoisch und ohne Fachjargon entschlüsselt er komplizierte Sachverhalte. Die Bildung, beziehungsweise die Weiterbildung, zieht sich wie ein roter Faden durch sein Leben, sagt der designierte CEO.
Nach dem Studium in Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Nancy absolviert er Mitte der Achtziger im Lycée Michel Lucius den stage pédagogique, entscheidet sich dann trotzdem für die Karriere im Bankwesen. „Der Finanzplatz hat damals eine Dynamik ausgestrahlt, die mich angezogen hat.“ Als Zuständiger für die Aus- und Weiterbildung bei der BGL von 1990 bis 1996 baute er das Fortbildungsprogramm für die 2 000 Mitarbeiter der Bank auf, von Bank- und Finanzkursen über IT-Kenntnisse, die damals immer notwendiger wurden, bis hin zu Sprachkursen. Sogar seine Chefs schickte er zu ausländischen Business-Schools in Management-Kurse. Seit 2004 ist er geschäftsführendes Aufsichtsratmitglied des Institut de formation bancaire (IFBL), das er in zehn Jahre vollkommen umgekrempelt hat, wie ihm auch Außenstehende bescheinigen. Als er 2014 anfing, so de Cilia, „waren die Einschreibungsraten im freien Fall“. Die ABBL bezuschusste das IFBL mit 1,2 Millionen Euro im Jahr. Das Institut stand vor dem Aus. Nächstes Jahr, sagt de Cilia stolz, wird das IFBL im ABBL-Budget genau null Euro betragen. Dass de Cilia trotz seiner sanften, manierlichen Art hart durchgreifen kann, hat er beim IFBL gezeigt. „Ich musste ein Drittel des Personals entlassen, um zwei Drittel des Personals zu retten“, erzählt er. Das war „böse“ und gefiel auch dem Aufsichtsrat nicht. Heute sieht sich de Cilia durch den Erfolg bestätigt. „Wir haben ein neues IFBL aufgebaut.“ Das Mandat als IFBL-Chef will er auch als ABBL-CEO nicht aufgeben.
In seinen zwölf Jahren bei der BGL hatte er die verschiedensten Posten inne, hat sich um das Filialnetz gekümmert, an der Neugestaltung des Private Banking mitgewirkt, deswegen auch zeitweise die Zweigstelle in Frankfurt betreut und später bei der Integration in die Private-Banking-Struktur der Fortis-Gruppe mitgeholfen. Er war Vize-Chef der internen Audit-Abteilung, deren Prinzipien im Zuge neuer Bestimmungen in der ganzen Firma implementiert werden mussten. Und war unter anderem auch Projektleiter für den Umzug ins neue Hauptquartier in Kirchberg. „Da gab es außer Auchan damals nichts.“ Also verhandelte er über Busverbindungen, beschäftgte sich mit der Ergonomie von Bürostühlen und suchte mit den Personaldelegierten in einem intensiven Testverfahren den Betreiber der Firmenkantine aus. „Das ist heute noch eines der besten Firmenrestaurants im Land.“
Apropos Umbau: Seinen Altbau in Clausen – dort ist er auch aufgewachsen, hat die gleiche Grundschule besucht, wie Robert Schuman, und 24 Jahre das Flügelhorn in der Clausener Stadtteilkapelle gespielt – hat er größtenteils selbst renoviert. „Ich stamme aus einer alten Handwerkerfamilie, ich lege meine Fliesen selbst“, lacht de Cilia. Lachen tut er deutlich mehr als andere Anzugträger aus der Finanzbranche. „Man soll sich nicht immer ganz so ernst nehmen“, findet er. Um zu kompensieren, dass er unter der Woche selbst in Anzug und Krawatte steckt, trage er am Wochenende bewusst farbenfrohe Kleidung – „sonst fällt man ja in die Depression“. Seinen beiden erwachsenen Töchtern werde das manchmal zu bunt.
Ob ihm als ABBL-CEO noch viel Zeit für Erholungsreisen bleibt, bezweifelt er beim Blick in den Terminkalender. Dort hat er schon einmal die Termine eingetragen, die er aus Jean-Jacques Rommes’ Agenda übernommen hat. Es sind sehr viele. Dabei reist de Cilia gern. Jedes Jahr macht er die „Pilgerreise“ nach Verona, zum Opernfestival. „Das ist Pflicht“, sagt er, Musik spielt in seinem Leben eine wichtige Rolle, auch weil er dadurch entspannt. Das kann er auch gut in der Türkei, wo er seit 25 Jahren immer wieder hinfährt. „Die Türkei hat viel zu bieten, landschaftlich, kulinarisch.“ Ihn interessieren die Leute, „die Bevölkerung ist jung“ und „sehr nett“.
Als ABBL-Vertreter bei der Europäischen Bankenföderation (EBF) ist de Cilia auch beruflich viel unterwegs. Die Bankenlobby folgt dem Karussell des wechselnden EU-Ratsvorsitzes durch die EU-Hauptstädte. Die gemeinsame Vertretung von ABBL und Alfi – dem Luxemburger Fondsverband – in Brüssel hat er zwischen 2005 und 2007 mit aufgebaut, „da haben wir erstmals angefangen, Lobbying zu machen, das diesen Namen wirklich verdient“. Heute zählt das Lobby-Team des Luxemburger Finanzplatzes in Brüssel zwei feste Mitarbeiter und eine Praktikantin. Die Brüsseler Präsenz und die Arbeit, die dort geleistet wird, hält de Cilia für „unabdingbar“. „Ohne die wüssten wir überhaupt nicht, wie wir funktionieren sollten.“
Hielt Jean-Jacques Rommes immer mit seinen persönlichen politischen Einstellungen hinter dem Berg, wurde Serge de Cilia 2011 von der Lokalsektion Luxemburg Mansfeld für 30 Jahre CSV-Mitgliedschaft geehrt. Für seine Partei war er lange Jahre Mitglied in der Finanzkommission der Gemeinde Luxemburg. Auch dort war er „der Techniker“, erzählt er, habe der CSV, auch seit sie in der Opposition ist, oft geraten, den blau-grünen Haushalt mitzutragen, weil die hauptstädtischen Finanzen „gut geführt“ seien. „Ich bin Stadter und will gerne etwas für meine Stadt tun“, erklärt er sein Engagement. Aber mit der Politik „ist es jetzt vorbei“, am Tag nach seiner Nominierung zum ABBL-CEO habe er sein Mandat in der Finanzkommission abgeben und für ein politisches Mandat habe er noch nie kandidiert. Als CEO von ABBL werde er nun mit der rot-blau-grünen Regierung zurechtkommen müssen, den neuen Premier Xavier Bettel kenne er ja schon als Bürgermeister. De Cilia sieht das pragmatisch. So positioniert er sich auch, wenn man ihn fragt, welcher Schule der Volkswirtschaftslehre er anhängt: „Gar keiner. Ich bin Pragmatiker.“