Seit einem halben Jahr ist der Prozess über die Terrorwelle der Achtzigerjahre unterbrochen, um zusätzliche Ermittlungen gegen ranghohe Gendarmerieoffiziere wegen Mittäterschaft zu ermöglichen. Doch jedes Mal, wenn die Justiz zu ruhen scheint, schlägt die Stunde der Journalisten. Gleich drei Bücher über die Bommeleeërten erschienen nun fürs Weihnachtsgeschäft.
Der junge Verlag Kremart bringt eine Neuauflage des vor zehn Jahren bei Phi veröffentlichten Romans Bommenteppech von Josy Braun auf den Markt. Der ehemalige Tageblatt-Journalist Josy Braun hatte zusammen mit Kollegen von RTL und Lëtzebuerger Journal auf eigene Faust versucht, das Geheimnis der Terrorwelle zu lösen. Die Kriminalpolizei nannte diese Konkurrenz spöttisch „Presse-Soko“. Sie überprüfte deren Spuren und kam zu dem Schluss, dass ihre „Falschinformationen“ und „falschen Schlussfolgerungen“ für die Aufklärung der Anschläge nutzlos seien, so Ermittler Marc Weis am 18. Februar dieses Jahres vor Gericht.
Josy Braun gab jedoch nicht auf und brachte die Theorie der Presse-Soko in der Tarnung eines Schlüsselromans unter die Leute. Es ist die mit bodenständigem Humor erzählte Geschichte einer Jeunesse dorée, die sich mit Unterstützung von Berufsverbrechern an ihren alten Herrschaften und den gesellschaftlichen Verhältnissen rächt, weil ihnen wegen einiger Jugendsünden der soziale Aufstieg verwehrt bleibt.
Wie bei Schlüsselromanen üblich, besteht der Unterhaltungswert des Buchs in der Entschlüsselung der Versatzstücke, aus denen die fiktiven Figuren konstruiert sind: Aus Großherzog Jean wurde Firmenpatriarch Pierre Laroche, sein in Ungnade gefallener Sohn Alex hat etwas von Prinz Jean, sein Ältester, Léon, vom heutigen Großherzog Henri und Ines de la Tolladera von Großherzogin Maria Teresa Mestre. Premier Jacques Santer (CSV) taucht als Coco Gantenbein auf, sein Vorgänger Piere Werner (CSV) als Fernand Piscatoris, Vizepremier Jacques F. Poos (LSAP) als Fernand Jacquet, Transportminister Marcel Schlechter (LSAP) als Marc Howelek und Justizminister Marc Fischbach (CSV) als Justin Strasshof. Der Immobilienhändler Antoine Feidt heißt Benn Colljon und Geheimdienstchef Charles Hoffmann heißt Harry Clappé. Der Supergendarm Ben Geiben spielt als Sicherheitschef Alfons „Schlicky“ Blau mit, die Waldbilliger Bande als Bouchet-Connection, und der ermordete Privatdetektiv Norbert Scholzen heißt dem Lokaldetektiv vom Luxemburger Wort zum Verwechseln ähnlich Jorry Laurent. Sich selbst hatte der vor zwei Jahren verstorbene Josy Braun ein Denkmal als der tapfere Moien-Reporter Vic Pitten gesetzt.
Im Gegensatz zu vielen, die über den angeblichen Jahrhundertprozess schreiben, nahm der Grafiker Pit Wagner an fast allen der über 170 Sitzungen teil. Er ist auch der einzige, der sich als zeichnender Journalist über das bei Gerichtsverhandlungen noch immer übliche Bilderverbot hinwegsetzen durfte. Dass selbst das Gericht seine Arbeit, ein historisches Kapitel der Luxemburger Justiz zu dokumentieren, anerkannte, zeigte sich am 90. Tag, als es dem Gerichtszeichner anbot, sich mit Zeichenblock, Tusche und Malkasten dorthin zu setzen, wo sonst niemand sitzen darf, zwischen Richter und Staatsanwälte, um die dem Gericht zugewandten Angeklagten, Zeugen und Anwälte von vorne porträtieren zu können.
Nun hat Pit Wagner, der tatsächlich zeichnen kann, seine lavierten Tuschebilder und Skizzen der ersten 96 Verhandlungstage zusammen mit knappen Kommentaren als illustriertes Tagebuch veröffentlicht, De Bommeleeëerprozess… eng Staatsaffär. Ohne Schaumschlägerei und überraschend kurzweilig zeigt er die Verhandlungen als das, was sie in Wirklichkeit sind: Großes Theater, wo mit merkwürdigen Röcken und Hüten verkleidete Frauen und Männer auf einer unnahbaren Bühne dem Publikum undurchsichtige Rituale vorführen, um mit größter Strenge und Ernsthaftigkeit den Redeschwall kleiner und großer, ängstlicher und forscher, ehrlicher und verschlagener Zeugen, Angeklagter, Ermittlungsbeamter und Rechtsanwälte in einer mit wachsender Spannung erwarteten Transsubstantiation in Recht oder gar Gerechtigkeit zu verwandeln.
Eine Chronik der Prozesstage steht auch im Mittelpunkt des mit Zeichungen von Pit Wagner, unscharfen Standbildern aus alten Fernsehnachrichten und vielen anderen Fotos illustrierten Bändchens Wat net däerf sinn, ass net der Revue- und Lëtzebuerger-Journal-Reporter Laurent Graaff, Claude Karger und Pierre Welter. Zufällig sieht es dem voriges Jahr zum Prozessbeginn erschienenen Et war net keen… der Luxemburger-Wort-Kollegen Steve Remesch und Eric Hamus zum Verwechseln ähnlich. Ergänzt wird die Prozesschronik durch eine Chronik der Anschläge in den Achtzigerjahren sowie knappen Überblicken der Ermittlungen und Interviews einiger Protagonisten.
Die Autoren spielen sich nicht als Detektive auf und erheben nicht den Anspruch, Neuigkeiten aufzutischen, sondern wollen eher eine fast stichwortartige „Zwischenbilanz“ des Prozesses ziehen. Am Ende lassen sie das, was sie „Staatsaffäre“ nennen, wieder auf die Scherzfrage hinauslaufen: Waren die Gendarmen Idealisten oder Stay behind?