Das Einlagensicherungssystem, das im Fall einer Bankinsolvenz einspringt, um den Kunden zumindest einen Teil ihres Geld zu erstatten, wird reformiert werden. Fragt sich nur: wie und wann. Im Juli hatte die EU-Kommission ihren Richtlinienvorschlag auf den Tisch gelegt. Die Luxemburger Zentralbank stellte Anfang September ein internes Reflexionspapier über ein reformiertes System vor. Das Finanzministerium hält sich vornehm zurück und wartet ab, wie die Verhandlungen in Brüssel verlaufen. Dass eine Reform wünschenswert ist, sieht auch die Finanzbranche so. Doch den Vorschlag aus Brüssel lehnt man ab.
Bislang werden die Einlagen der Luxemburger Banken durch die gemeinnützige Vereinigung Associa-tion pour la garantie des depots Luxembourg (AGDL) geschützt, bei der sie Mitglied sein müssen. Die AGDL funktioniert ex-post, sammelt bei ihren Mitgliedern also erst Geld ein, wenn eine Insolvenz vorkommt. Für ihre potenziellen Beiträge, die auf Basis der eigenen Kundeneinlagen berechnet werden, können die Banken Rückstellungen machen. Doch nicht alle Banken haben immer von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Und mussten sich deswegen, als die isländischen Banken Insolvenz anmeldeten, ihren Beitrag zur Auszahlung der Garantien – mitten in der Liquiditätskrise – mühsam zusammenkratzen. Seit die EU im Rahmen der Finanzkrise beschloss, den garantierten Mindestbeitrag von 20 000 auf 100 000 Euro pro Kunde zu verfünffachen, sind die Grenzen des AGDL-Systems erreicht. Zur Bearbeitung der Flut von Anträgen, die nach den isländischen Bankinsolvenzen eingingen, brauchte die AGDL, deren operative Kräfte von der ABBL gestellt werden, mehrere Monate. Insgesamt rund 300 Millionen zahlte sie aus und verteilte nach der Rettung der Kaupthing die Gelder wieder zurück an die Mitglieder.
Die Bilanz der AGDL bewertete Finanzminister Luc Frieden vor einigen Wochen rückblickend so: „Ich stelle mit Genugtuung fest, dass das System bislang immer funktioniert hat.“ Zentralbankchef Yves Mersch sieht das anders: „Der Vorteil ist, das wir jetzt wissen, dass wir ein System haben, das nicht besonders gut funktioniert.“ Der Zentralbanker sieht dringenderen Handlungsbedarf als der Minister und hat der Finanz- und Wirtschaftskommission des Parlaments seine eignen Ideen unterbreitet.
Diese inspirieren sich weitestgehend an der EU-Vorlage. Demnach sollen die Beiträge künftig ex-ante, also im Voraus in einen Fonds eingezahlt werden. Die Beiträge werden auf Basis der Kundeneinlagen berechnet. Jede Bank soll einen Beitrag von 1,5 Prozent der Einlagen ihrer Kunden an den Fonds beisteuern. Als Frist für die Auszahlung der Garantie sind sieben Tage vorgesehen. Nach Vorstellung der BCL, und in Anlehnung an der Euro-Rettungsschirm für eventuelle Staatsinsolvenzen, soll der Fonds eine privatrechtliche Gesellschaft sein. Nur dann darf die Zentralbank der Struktur Geld leihen, eine Möglichkeit, die Mersch schaffen will weil, wie er sagt, niemand so schnell Liquiditäten zur Verfügung stellen kann wie die Zentralbank. Hilfspotenzial der BCL, bedauert Mersch, auf das während der Finanzkrise in Luxemburg nicht zurückgegriffen wurde. Solche zusätzlichen Liquiditäten würden beispielsweise dann gebraucht, wenn eine „systemische“ Bank fällt, die so viele Kunden hat, dass die Mittel des Fonds nicht ausreichen, um allen ihre Garantie auszuzahlen.
Damit die Finanzierung des Fonds für die Banken weniger schmerzhaft abläuft und der Fonds sofort einsatzbereit ist, hat sich die BCL Folgendes ausgedacht: Die Banken sollen dem Fonds Kredite in der Höhe ihrer Beiträge geben. Gleichzeitig sollen sie im gleichen Umfang Anleihen ausgeben, die vom Fonds gezeichnet werden. Geben die Banken in den folgenden Jahren häppchenweise ihre Beiträge ab, bis sie das Niveau von 1,5 Prozent ihrer Kundeneinlagen eingezahlt haben, werden Kredite und Anleihen jeweils ebenfalls häppchenweise zurückgefahren. Die Anleihen, die sich dann im Wertpapierportfolio des Fonds befänden, könnte dieser als Garantie für einen Zentralbankkredit einsetzen, wenn er dringend Geld zur Auszahlung von Bankkunden bräuchte.
Besonders am Vorschlag der BCL ist, dass er nicht nur einen Einlagensicherungsfonds vorsieht, sondern auch einen Bankenresolutionsfonds. Bedarf hierfür sieht Mersch, weil es am Finanzstandort manche Bank gebe, die wenig Schalterkundschaft hat – Privatkunden oder kleine und mittlere Unternehmen, nur deren Einlagen werden gesichert –, die dennoch potenzielle Risiken für die finanzielle Stabilität des Finanzsystems darstellt. Deshalb sollen für den Bankenresolutionsfond wiederum Beiträge von rund 1,5 Prozent der Bilanzsumme fällig werden, gestaffelt nach dem Risikoprofil (erkennbar beispielsweise an den Kapitaldeckungsraten) der jeweiligen Bank. Damit Banken mit viel Kundschaft nicht zweimal zur Kasse gebeten werden, soll jeweils verglichen werden, ob das Finanzinstitut einen höheren Beitrag an den Einlagensicherungs- oder den Resolutionsfonds zahlen müsste – und nur der höhere beider Beträge eingezahlt werden. Aufgabe des Resolutionsfonds soll es nicht sein, zur Rettung einer Bank neues Kapital zur Verfügung zu stellen. Er wird ebenso wie der Einlagensicherungsfonds erst dann aktiv, wenn die Insolvenz feststeht. Dann aber soll er beispielsweise den Transfer der Kundeneinlagen zu einer anderen Bank finanzieren sowie die geordnete Abwicklung des Instituts. Und zum Beispiel die Aufteilung in eine good bank und eine bad bank organisieren, so erfolgt bei Kaupthing. Die personelle Besetzung dafür könnten pensionierte Bankiers übernehmen, glaubt Mersch. „Es ist wichtig, wenig neuen bürokratischen Aufwand zu schaffen. Außerdem müssen wir die Kosten für die Finanzbranche im Auge behalten“, sagte er dem Land.
Der Kostenvoranschlag für seinen Luxemburger Fonds für finanzielle Stabilität: Bei einer Ausgangsbasis von 315,534 Milliarden Euro (Einlagen und Bilanzsumme) läge das Ziel für den Einlagensicherungsfonds bei 1,654 Milliarden Euro und für den Resolutionsfonds bei 1,937 Milliarden Euro, für den Stabilitätsfonds, wie ihn sich Mersch vorstellt, insgesamt 3,591 Milliarden Euro. Werden die Beiträge über zehn Jahre gestreckt, würde das jährliche Beiträge von 359 Millionen Euro nach sich ziehen. Nicht viel weniger als ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts 2009 und eine Summe, die man auch im Hinblick auf die von der Finanzbranche geleisteten Steuerabgaben im Gedächtnis behalten sollte.
Diese Beiträge findet die Branche zu hoch. An Lucien Thiel, ehemaliger ABBL-Direktor und CSV-Abgeordneten, der kommende Woche im Finanz- und Wirtschaftsausschuss gemeinsam mit den Kollegen den Richtlinienvorschlag der EU-Kommission untersuchen soll, um zu entscheiden, ob man dafür ist, dass bei der Einlagensicherung überhaupt ein EU-weit harmonisierter Ansatz verfolgt wird, oder die Mitgliedstaaten jeweils eine eigene Lösung finden, hat die AGDL deswegen eine Brief geschickt. Sie spricht sich für Letzteres aus.
Das Problem, erklärt Jean-Jacques Rommes, Direktor der ABBL, ist, dass der Vorschlag der EU, an den sich das BCL-Reflektionspapier anlehnt, als Grundlage für die Berechnung der Beiträge alle Kundeneinlagen vorsieht, nicht nur die, die das System absichern soll. „Eine Privatbank kann wenige Kunden mit sehr hohen Einlagen haben, die weit über 100 000 Euro hinausgehen. Sie muss dann hohe Beiträge auf Basis der Einlagensumme insgesamt leisten. Ihre Kunden haben dennoch nur Anspruch auf eine Garantie von 100 000 Euro“, sagt Rommes. Dazu sagt die Privatbankbranche Njet. Sie sollte allerdings auch bedenken, dass der EU-Vorschlag die Garantie auf genau 100 000 Euro festsetzt, nicht mehr, nicht weniger. Was im Wettbewerb um die reichen und superreichen Kunden mit anderen Ländern, die eine unbegrenzte Garantie geben, gleiche Bedingungen für alle schaffen würde. Denn vollkommen abwegig ist es nicht, dass Kunden mit viel Geld es lieber dort anlegen, wo man verspricht im Notfall alles, nicht nur einen Bruchteil des angelegten Vermögens, zurückzuerstatten.
Die Zahlungsfrist von sieben Tagen findet Rommes „politisch etwas populistisch“ und eigentlich unrealistisch. Weil viele Kunden so schnell gar keinen Antrag auf Auszahlung der Garantie stellten. Und alles auch immer davon abhänge, wann die Frist offiziell zu laufen beginne. Im Vergleich zum Ausland habe sich die AGDL demnach gar nicht so schlecht geschlagen. Andere Länder hätten zwar kürzere Fristen, doch weil die später eingesetzt hätten, habe die AGDL nicht wirklich später als andere den Kunden ihr Geld überwiesen.
Luc Frieden will das eigene Vorprojekt für eine Reform der Einlagensicherung, an dem Finanzaufsicht, BCL und die Branche über die Verbände beteiligt waren, einstweilen in der Schublade lassen. „Wir müssen abwarten, wie die Verhandlungen in Brüssel ausgehen“, sagt Frieden. Er sieht „keinen dringenden Handlungsbedarf“. Das unter Führung des Ministeriums erarbeitete Papier, sieht, sagt Rommes, die Schaffung einer Einrichtung öffentlichen Rechts vor. Die ABBL befürwortet diese Verlagerung der Verantwortung für die Einlagensicherung von einer Privatinitiative weg hin in die Hände des Staats. „Weil der letztendlich auch zuständig ist für die Umsetzung der Richtlinien.“ Das würde allerdings bedeuten, das man auf das Angebot der BCL, die nur Privatgesellschaften Geld leihen darf, im Notfall einzuspringen, verzichtet.
Auch in Bezug auf die Resolutionsfonds, die im Rahmen der ziemlich konfusen Diskussion über Bankenabgaben und Transaktionssteuern auf der Tagesordnung stehen, gibt es auf EU-Ebene noch keine Einigung für eine harmonisierte Vorgehensweise. Und eine solche ist laut Mersch auch nicht in Sicht. Aber auch ohne diese, müsse man sich überlegen, was zu tun ist. „Ich sage nicht, dass wir etwas machen müssen, wenn die anderen nichts tun. Aber der politische Druck, etwas zu unternehmen, wird steigen und die Frage ist, was wir dann im Vergleich zum Ausland machen. Können wir uns erlauben, nichts zu unternehmen?“, gibt Mersch zu bedenken. Er ist für einen Resolutionsfond. Auch damit in Luxemburg die nötigen Kompetenzen zur Bankenabwicklung aufgebaut werden. Dadurch lasse sich beispielsweise verhindern, dass noch wertvolle Aktiva, zu Schrottpreisen verscherbelt, oder aber eventuell im Rahmen der Abwicklung ausländischer Mutterhäuser abgezogen würden, ohne dass in Luxemburg effizient Widerstand geleistet würde.
„Unser Vorschlag ist lediglich ein internes Reflexionspapier“, fügt Yves Mersch mit Unschuldsmiene hinzu. Nicht von ungefähr. Denn ist es seine Rolle als Zentralbanker, sich um die finanzielle Stabilität im System zu sorgen, so hat Finanzminister Luc Frieden, der das Reflexionspapier „inte-ressant“ findet, die Interessen der Finanzbranche, deren Wettbewerbsfähigkeit, immer fest Blick. Deswegen ist er dagegen, dass sich Luxemburg einen Resolutionsfonds leistet, wenn es dazu auf EU-Ebene keine Einigung gibt. „Dann“, sagt er, „gibt es auch keine solche Lösung in Luxemburg.“