Prometheus

„Because I could“ oder der Halbgott im Rollstuhl

d'Lëtzebuerger Land du 16.11.2012

„Robots aren’t supposed to dream at all“ – „But if they did, what would they be dreaming of?“ – „Electric sheep, of course. :-)“. Dieser Dialogauszug aus Anne Simons Prometheus-Inszenierung im TNL wird von David, David und von David geführt. Wer die Antwort auf die Frage weiß, ob es sich dabei um eine Figur handelt oder um insgesamt sechs, der mag den Schlüssel zu einer bis in die Archaik des Menschseins zurückreichenden, ethischen Frage gefunden haben.
Der greisenhafte Peter Rossum hat sich ein Leben lang der Frage gewidmet, ob und wie der Mensch maschinell kopierbar sei und damit jene roboterhaften Wesen ihrem Original zu Diensten stehen können. Der Mensch werde keine Arbeit mehr zu verrichten haben, könne sich ausschließlich dem Glück hingeben. Ähnlich dem griechischen Gott Prometheus vergreift er sich an der Schöpfung, an Gott oder Zeus, die über das Vorrecht der menschlichen Kreation verfügen. Rossums vorgetäuschter Ansporn klingt nicht unzweifelhaft. Er hat sich zwar dem Dienst an der Menschheit verschrieben. Ob die menschliche Existenz jedoch sinnerfüllt bleibt, sobald sie frei von Aufgabe, Herausforderung und Arbeit ist, sei dahingestellt. Doch muss Rossum am Ende gestehen, dass es weniger die Solidarität als vielmehr egoistische Wissbegier und die Angst vor der eigenen Endlichkeit waren, die ihn zu diesem von Rossum Industries eingerahmten Projekt antrieben: „I sicken as I read why you created us. – Peter (in despairing fury): Because I could. I did it for myself, d’you hear. For my own satisfaction.“
Skepsis angesichts der unbegrenzten Forschungsgier, die Zweifel an der Seele im Inneren einer menschlichen Kopie: Es sind dies Fragen, die keineswegs neu sind. Doch gerade auf sie greift die gehobene Kunst in aller Regelmäßigkeit zurück. Aischylos, Mary und Percy Bisshe Shelley, Goethe, Ridley Scott, Ted Hughes, Wilde, Stanley Kubrick: Simons Prometheus gründet auf einer Kollage kanonisierter Texte des prometheischen Mythos. Ob Frankenstein oder 2001: A Space Odyssey, die Bandbreite scheint riesig.
Alter Wein in neuen Schläuchen? Keineswegs. Es bedarf lediglich einer persönlichen Form, um das Thema wieder aufzutischen. Prometheus ist so folgerichtig weniger inhaltlich als vielmehr formal ein Gewinn. Diese kurze, einstündige Produktion ist multimedial ausgerichtet. Zum einen wird der junge, wissensdurstige Forscher Rossum (Pitt Simon) an die hintere Wand projiziert – dies teilweise mit dem Rücken zum Publikum, vermutlich in Anlehnung an den Gedanken des entindividualisierten Wissenschaftlers. Zum anderen rollt der Darsteller live auf dem Bühnenboden herum, im ständigen Bestreben, sein Schaffen zu rechtfertigen. Ein alter Greis mit langem, grauen Haar, Gehstock und gebeugter Haltung. Ein Greis im Angesicht des Todes. Ein Halbgott im Rollstuhl.
Wie aber kann die maschinelle Kopie eines Menschen, David 1, 2, 3, 4, 5, 6, auf der Bühne Gestalt annehmen? Simon gelingt hier ein technischer wie atmosphärischer Kunstgriff. Per Beamer und mit der entsprechenden Software steuert Dominique Zeltzer-Russell Pitt Simons filmische Porträt-Aufnahmen auf sechs dreidimensionale Gipsbüsten, die jeweils auf schwarzen Holzhaltern befestigt sind. In diesem kleinen, dunklen Studio des TNL wird damit das Ergebnis der prometheischen Hybris, der Roboter David, in sechsfacher Ausgabe zum Leben erweckt. Die Präzision der Projektion erlaubt sogar ein animiertes Zwiegespräch. Simons Inszenierung funktioniert dank diesem technischen Streich. So erhält das Motiv der endlosen Vervielfältigung seine formale Entsprechung.
Getragen wird er zudem von der engagierten Leistung des Darstellers Pitt Simon. Mag die Maske noch so gelungen sein, im Theater wirken Greisenmasken an jüngeren Darstellern nicht selten unfreiwillig komisch. Pitt Simon jedoch kauft man die Rolle ab. Das Publikum scheint bereit, ihn in die scheinidealistische Gedankenwelt des Forschers zu begleiten, wird unmittelbar Zeuge seines nahenden Niedergangs.
Ein Negativpunkt mag der lasche Spannungsbogen sein, der sich aus der in Teilen zu argumentativen Kollage-Struktur ergibt. So hat die Produktion gewisse Längen auf halber Strecke. Unter dem Strich ist Prometheus jedoch ein Erfolg: originelle Regie, toller Darsteller, zeitlose ästhetische Quellen.

Prometheus von Anne Simon; nach Texten von u. a. Aischylos, Shelley, Hughes, Wilde; eine Produktion des TNL; Regie von Anne Simon; Live-Projektionen von Dominique Zeltzer-Russell; Maske von Joël Seiler; Licht von Zeljko Sestak; Regie-Assistenz von Jérôme Konen. Weitere Vorstellungen am 23. November, 24. und 25. Januar 2013 sowie am 27. Februar und am 19. März im TNL, jeweils um 20 Uhr. Karten unter www.luxembourgticket.lu sowie unter Tel.: 47 07 95-1; weitere Informationen: www.tnl.lu.
Claude Reiles
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