Seit Putins Krim-Annexion 2014 ist die Veränderung der militär- und geopolitischen Realität nicht mehr zu leugnen. Doch eine ganze Generation von Militärs ist geprägt durch Missionen in fernen Ländern, welche eher Gendarmerie-Aufgaben gleichkamen: Herstellung von Sicherheit in einem unsicheren Umfeld. Während es nun gilt, sich wieder auf das Kerngeschäft der Nato einzustellen – einen konventionellen symmetrischen Krieg in Europa mit hochintensiven Gefechten, die durch „Feuer und Bewegung“ geprägt sind, das heißt Artillerie, Panzer, Raketen und Kampfflieger entlang von Fronten.
Die politische Klasse Luxemburgs nahm parteiübergreifend den Wind der Geschichte wahr und ergriff die Chance, dem Großherzogtum nach dem Ende des Kalten Krieges auf internationaler Ebene zu mehr Statur zu verhelfen. Die militärische Konfliktnachsorge auf dem Balkan und weitere globale Missionen boten Gelegenheit, sich durch Übernahme militärischer Verantwortung auch für einen Sitz im UN-Sicherheitsrat ins Spiel zu bringen. Es wurde investiert. Bei der unter Minister Charles Goerens (DP) beschlossen Anschaffung des Transportflugzeugs A400M wurde die humanitäre Nothilfe in den Fokus gestellt. Unter Jean-Marie Halsdorf (CSV) wurden 48 Dingo2-Fahrzeuge angeschafft, um für in Auslandseinsätzen anstehenden Patrouillen gewappnet zu sein. Minister Etienne Schneider (LSAP) verfolgte eine merkantilistische Maxime: Militär als Instrument zum Schaffen von Frieden, Ordnung und Stabilität in fernen Ländern sollte für Luxemburg auch wirtschaftlich einträglich sein. Das Desaster um den Luxeosys-Satelliten dürfte diesen Ansatz zunichtegemacht haben. Niemand verlangt von der Feuerwehr, dass sie Gewinn erwirtschaftet. Die aktuellen Anschaffungen von 80 neuen gepanzerten Fahrzeugen für die Armee sind im Lichte der Realitäten des Ukraine-Krieges zu betrachten.
Fehlentscheidungen bei der Beschaffung führten in der Vergangenheit zum bösen Wort von den „rollenden Särgen“. Der Standard-Panzer der USA im Zweiten Weltkrieg zum Beispiel wurde von den Besatzungen als „armored coffin“ (gepanzerter Sarg) bezeichnet, womit die Soldaten darauf anspielten, dass die Sherman-Panzer bei Beschuss sehr schnell zu einem flammenden Inferno wurden. Konstruktive Schwächen sowjetischer, beziehungsweise russischer Panzer führen derzeit in der Ukraine zur totalen Zerstörung bei Beschuss durch Panzerabwehr-Lenkraketen: Turm und Waffe werden durch die Explosion der Bordmunition abgesprengt und zig Meter weit weggeschleudert. Das Überleben der Panzerinsassen wird zu einer homöopathischen Wahrscheinlichkeit.
Die Nato hat bei einer Revision der Verteidigungsanstrengungen von der Luxemburger Armee mehr „Robustheit“ im Rahmen ihrer Spezialität Aufklärung verlangt. Bisher wurde lediglich die Light-Variante von Aufklärung betrieben, mit leichtgepanzerten Radfahrzeugen oder abgesessen. Das Vermeiden von Feindkontakt und das Beobachten, ohne selbst aufgeklärt zu werden, waren die Einsatzgrundsätze. Die robustere Medium-Variante sieht auch offensive Kampfhandlungen vor. Der Gegner soll gezwungen werden, seine Stellungen, Stärke und Bewaffnung zu offenbaren, beziehungsweise zu einer „Entfaltung“ im Angriff veranlasst werden, damit sich seine Stärke, Aufstellung und Stoßrichtung aufklären lassen. Es ist klar, dass dies wesentlich intensivere Gefechte bedeutet.
Die Nato-Forderung nach mehr Robustheit war eigentlich nur die notarielle Beglaubigung dessen, was seit dem Beschluss des Warschauer Nato-Gipfels vom Juli 2016 zur Nato Enhanced Forward Presence offensichtlich war. Es ging nicht mehr darum, in Afrika Gebiete durch Patrouillen zu sichern und zu stabilisieren. Sondern es war klar, dass konventioneller Landkrieg zur Bündnisverteidigung wieder eine wahrscheinliche Option ist. Für diesen konventionellen symmetrischen Krieg waren und sind die Dingo- und Hummer-Fahrzeuge der Armee völlig unzureichend im Hinblick auf ihr Alter, ihre Schutzklasse sowie ihre Aufklärungs- und Führungsmittel.
Ein weiteres starkes Argument bei der Beschaffung war die Einheitlichkeit des Fahrzeugbestands: Ausbildung, Logistik und Instandhaltung sollten dadurch weniger komplex, die Interoperabilität innerhalb der Nato sollte verbessert werden. Das wurde von allen Rednern im Parlament, sowie am 2. Juni 2021 auch von der Armee-Spitze in der Sitzung des parlamentarischen Verteidigungsausschusses betont. Der Auswahl- und Beschaffungsprozess wurde an die Nato Service and Procurement Agency ausgelagert, weil diese „spezifische Kompetenzen“ habe. Die Leistungsanforderungen („key user requirements“) in Form eines Lastenhefts erstellte die Armee 2019 jedoch ausdrücklich selbst. Im Pressedossier der Direction de la Défense vom 2. Juni 2021 zum Gesetzentwurf zur Finanzierung des Fahrzeugkaufs sowie bei der Pressekonferenz zur Vorstellung des neuen Fahrzeugtyps am 15. September 2022 wurde ausdrücklich auf die besondere Eignung der Fahrzeuge für Einsätze wie in Mali oder Afghanistan hingewiesen. Die 80 Fahrzeuge vom Typ Eagle 5 böten Schutz gegen Kleinwaffenfeuer, Sprengfallen und Minen.
Der Eagle 5, ein leicht gepanzertes Radfahrzeug der Nato-Schutzklasse STANAG 4569 Level 3, schützt seine Insassen vor Beschuss mit panzerbrechender Gewehrmunition, Splitterwirkung von 155 Millimeter-Granaten sowie gegen Minen und Sprengfallen mit bis zu acht Kilogramm TNT-Äquivalent. Die Eagle 5 sind jedoch technisch grundverschieden von den französischen Fahrzeugen, die Belgien anschafft. Damit dürfte es mit der „Einheitlichkeit“ im geplanten belgisch-luxemburgischen Aufklärungsbataillon schon wieder vorbei sein.
Was absehbar war, bewahrheitet sich im Ukraine-Krieg: Für Gefechte, wie sie dort ausgetragen werden, sind Fahrzeugen der Klasse Eagle 5 nicht geeignet. Die Fachzeitschrift Soldat & Technik schreibt über ein neuentwickeltes russisches Fahrzeug vergleichbarer Schutzklasse: „Zweifelsohne verfügt der Tayfun K-4386 über eine wirkungsvolle Bewaffnung, ist aber mit einem etwa STANAG 4569 Level 3 entsprechenden Schutz für Stabilisierungsoperationen entwickelt worden und wird in einem Gefecht mit hoher Intensität nur eine eingeschränkte Überlebenswahrscheinlichkeit haben.“ Weiter heißt es: „Bei Militärbeobachtern wird es sicherlich großes Interesse erzeugen zu sehen, inwieweit sich ein solches Fahrzeugdesign in intensiven Gefechten, wie sie derzeit in der Ukraine vorherrschen, bewährt.“
Es waren wohl diese Erkenntnisse, die dazu führten, dass man sich in Luxemburg noch ein Hintertürchen offenhielt und am Rande erwähnte, es könne nötig werden, „später“ schwerere Fahrzeuge anzuschaffen. Derzeit sieht es so aus, als würden die falschen Fahrzeuge für den falschen Krieg angeschafft. Regierung und Armeeführung waren sich nach der Krim-Annexion 2014 und der Umsetzung der Enhanced Forward Presence der Zeitenwende bewusst. Nach Jahrzehnten der globalen Stabilisierungsmissionen müsse die luxemburgische „Défense“ sich wieder auf konventionelle symmetrische Landkriegsführung zur Bündnisverteidigung fokussieren, meinte der Generalstabschef Romain Mancinelli im Beisein der damaligen Staatssekretärin Francine Closener (LSAP) bei der Weihnachtsfeier der Armee 2016. Warum die Armee trotzdem noch 2019 empfahl, Fahrzeuge anzuschaffen, die lediglich für Stabilisierungsoperationen konzipiert wurden, bleibt ein Rätsel.
Die nachgeschobene Begründung, dass die zusätzliche Robustheit erst 2020 explizit von der Nato gefordert wurde, kann nicht überzeugen. Schon 2015 wurde Gefechtsaufklärung im Rahmen der Nato-Übung „Baltic Piranha“ betrieben. Wobei auch ein Angriff der beteiligten luxemburgischen Dingo-Aufklärungseinheit auf eine gegnerische Infanteriestellung durchgeführt wurde. Nach Einschätzung Beteiligter endete er in einem Desaster. Die Armee ist derzeit lediglich mit Transportfahrzeugen in Litauen präsent. Es ist davon auszugehen, dass sich 2015 dort zumindest perspektivisch abzeichnete, was auch die schon erwähnte Fachzeitschrift hinsichtlich der eingeschränkten Überlebenswahrscheinlichkeit geschrieben hat.
Interessant ist aber auch, was Rick Edert, ein Mitarbeiter der Abteilung Planung und Nachhaltige Entwicklung der Armee, auf dem Facebook-Auftritt der Armee gepostet hat, als es dort um die Anschaffung der Eagle 5-Fahrzeuge ging: „…richteg, mee wann dir de Suivi vum Planning am Medium an am Long Term gifft genau kennen, gifft dir dës Acquisitioun parallell zu eventuell mi schwéiere Gefiirer besser verstoen. Är Aussoo ass an der aktueller Situatioun ganz richteg, wëssend dass dir de Planning 2030 an au-delà nët kënnt kennen (waat jo och politesch wärt fiir d‘éischt mattgedroe gin iir ët zu Décisiounen a Commanden kéint kommen).“
Man ist sich also durchaus im Klaren darüber, dass die Eagle 5 nicht das Ende der Fahnenstange darstellen und die Anschaffung schwererer Fahrzeuge wohl spätestens mit dem Aufbau des binationalen Aufklärungs-Bataillons ansteht. Die Frage muss gestellt werden, warum diese Beschaffung derart zerfahren abläuft.
Dass es dafür einen diffusen und langfristigen strukturellen Hintergrund gibt, deutet die Master-Arbeit eines Luxemburger Armeeangehörigen im Fach Militärgeschichte an der Universität Birmingham an. Historisch gesehen, scheine es klar, dass die moderne Luxemburger Armee „will remain a politicised structure that will have to adapt to changes in the orientation of the institutions to which it is loyal, more to satisfy the will of the government than to meet a real need in terms of national armed forces or to follow a hypothetical will of the population“.1 Innerhalb der Armee seien internationale Ambitionen nicht immer sofort wahrgenommen worden, „which sometimes led to a cleavage between the functioning of the army and that of the Directorate of Defence and the Ministry of Foreign Affairs“. Die Militärs seien sich „oft“ als am Ende der Befehlskette stehend und ohne viel Mitsprachemöglichkeit bei Entscheidungen vorgekommen, denn die seien „fast nie“ auf militärischer Ebene getroffen worden, sondern wurden unmittelbar von der politischen Ebene angewiesen. Der Autor fällt das trockene Fazit, „the disadvantage of this way of working was that guidelines could change according to the will of the minister in place“.
Auch in dem kürzlich vom Institut für Zeitgeschichte der Universität Luxemburg herausgegebenen Band über die Militärgeschichte des Landes ist von diesen Widersprüchen die Rede: „It’s the international level and Luxembourg politics engagements which influenced the army’s development and frequent change of structure, not the national needs of territorial defence. There was a permanent tension between the demands of the allies on Luxembourg, the commitments that the country had to assume to assert its legitimacy, and the national political class, focused on current affairs…“.2
Die seit Beginn der Neunzigerjahre bestehende Ambition, außenpolitisch an Statur zu gewinnen und dazu auch das Militär zu nutzen, ist von einigem Gewicht. Manifestes Desinteresse der Öffentlichkeit und militärisches Laientum der politischen Klasse quer durch alle Parteien stehen dieser Ambition allerdings entgegen und unterstreichen den Mangel an Militärkultur eines Staates und einer Gesellschaft, deren Entstehen und Bestand nie von eigener militärischer Leistung abhing. Diese Randbedingungen mögen es Luxemburg erlaubt haben, seine Armee in der vergangenen Ära der globalen Konfliktnachsorge und Stabilisierung einzubringen. Für die aktuelle militärpolitische Realität Europas ist dies jedoch zu wenig.