Wenn Landwirte und die Vertreter ihrer Verbände öffentlich auftreten, hat das immer was. Dann geht es gewöhnlich um Politik, aber es berichten bodenständige und zugleich gewitzte Leute auch, wie sie mit den täglichen Fährnissen von Wind und Wetter umgehen, bald mit Hagelschlag, bald mit Trockenheit. Davon, dass ihr Beruf immer bürokratischer werde, von Vorschriften eingezwängt, dass das Geldverdienen nicht leicht sei und der Öffentlichkeit immer weniger bewusst, woher das Essen auf dem Teller kommt.
Doch irgendwie kommt der Bauer doch mit all dem klar. Auch mit Glyphosat etwa, laut Weltgesundheitsorganisation „wahrscheinlich krebserregend“ für den Menschen. „Ach“, sagt Aloyse Marx, „dass das kein Weihwasser ist, wissen wir. Aber solange man es nicht direkt trinkt, ist es nicht so schlimm.“ Marx ist Präsident des Fräie Lëtzebuerger Bauereverband, und als die Spitze des FLB am Dienstag eine Pressekonferenz über „Herausforderungen und Irrwege“ in der Luxemburger Landwirtschaft gab, war das eine Gelegenheit, bei der bodenständige und gewitzte Leute Maß an der Politik nahmen. Die ist dem FLB „zu ideologisch“ und zu sehr auf PR-Effekte aus. Ähnlich wie Greta Thunberg, meinte Marx, die am Dienstag noch auf dem großen Wasser Richtung New York unterwegs war.
In den nächsten Monaten dürften die Diskussionen um die Landwirtschaft zunehmen. Einerseits des Klimaschutzes wegen: Bis Jahresende muss die Regierung die Endfassung des Luxemburger Energie- und Klimaplans an die EU-Kommission schicken, in dem Sektor für Sektor aufgeschlüsselt wird, wie der jeweilige Beitrag zur Treibhausgas-Reduktion bis 2030 aussehen soll; darunter der der Landwirtschaft. Die Hitzewellen der letzten Wochen, unter denen gerade die Landwirtschaft noch immer leidet, machen die Thematik brisant. Abgesehen davon stehen im Koalitionsvertrag der zweiten DP-LSAP-Grüne-Regierung aber noch mindestens zwei andere Vorhaben, die bei den Bauernverbänden – nicht nur beim FLB – für Erregung sorgen: Ende 2020 soll der Einsatz von Glyphosat in Luxemburg verboten werden. Und ein Aktionsplan soll zeigen, wie sich bis 2025 der Anteil der Biolandbau-Fläche auf 20 Prozent steigern lassen soll. Zurzeit liegt er bei etwas über drei Prozent, und das schon seit Jahren.
Dass mit der Landwirtschaft über diese Vorhaben bisher zu wenig oder noch gar nicht gesprochen wurde, ist der Hauptvorwurf des FLB. Über das Glyphosatverbot, klagte Aloyse Marx am Dienstag, habe sein Verband im Februar um ein Treffen mit Landwirtschaftsminister Romain Schneider (LSAP) gebeten und einen Fragenkatalog beigefügt. Das Ministerium habe einen Termin im Mai vorgeschlagen, der ausgerechnet in die Zeit fiel, in der die Bauern ihre Futtersilos füllen. Die Bitte um einen Ersatztermin sei bis heute ohne Antwort geblieben. „Wir wollen uns an der Suche nach Lösungswegen beteiligen“, betonte Marx. Die Landwirtschaft sei „bereit, sich fundamental in Frage zu stellen“. Womit der Vorwurf in erster Linie an das Landwirtschaftsministerium geht, das nicht schnell genug mit Vorschlägen herausrücke, wie erreicht werden soll, was im Koalitionsvertrag steht.
„Ideologisch“ ist davon aber am ehesten das Glyphosatverbot. Vermutlich wäre es nicht zum Regierungsvorhaben geworden, hätten bei den Kammerwahlen vergangenen Oktober die Grünen nicht derart viel hinzugewonnen, dass sie eine weitere Runde „Gambia“ ermöglichten. Schon die vorige Regierung hatte sich damit beschäftigt, doch der damalige Landwirtschaftsminister Fernand Etgen (DP) plante nur ein Verbot glyphosathaltiger Produkte für „Amateur-Anwender“. Im professionellen Bereich sei das nicht möglich, weil die Zulassung von Glyphosat als Grundsubstanz 2017 in der EU für weitere fünf Jahre verlängert worden war (d’Land, 26.10.2018). Daran kann auch Etgens Nachfolger Schneider nicht vorbei. Der einzige Ausweg: Sämtliche glyphosathaltigen Produkte verbieten, denn die EU lässt nur den Grundstoff zu, über die Produkte entscheiden die Mitgliedstaaten. Doch in der Glyphosatdebatte, die international geführt wird, kommt auch zur Sprache, was für Folgen es hätte, wenn auf das verbreitetste Breitband-Herbizid verzichtet würde: Es gibt Studien, die sagen, entfiele Glyphosat zur Vorbereitung der Saatbetten von Wintergetreide und Raps, würden die Landwirte ihre Felder voraussichtlich nicht nur stärker pflügen und auf selektivere Herbizide umsteigen. Weil es dennoch zu Ertragsverlusten kommen dürfte, müsste im Gegenzug die Anbaufläche so stark vergrößert werden, dass das zu höheren Treibhausgasemissionen aus dem Agrarsektor führen werde.
Über solche Zusammenhänge sprach der FLB am Dienstag. Hielt der Regierung vor, Alternativ-Herbizide „kennen wir keine“, also müsse wohl mehr gepflügt werden. Dann aber nehme die Bodenerosion zu, die man eigentlich eindämmen will, und beim Pflügen werde Stickstoff im Boden „mineralisiert“, der, können die Pflanzen ihn nicht absorbieren, in die Wasserläufe geschwemmt werde. Will man das? Und stimmt es, dass der Verzicht auf Glyphosat nur durch einen Aufschlag auf die Beilhilfen pro Hektar kompensiert werden soll, weil im kleinen Land mit dem knappen Boden eine Ausweitung der Nutzfläche schwer ist? Ist das die ganze Ausstiegsstrategie?
Äußert der FLB sich zu solchen Themen, ist das insofern bemerkenswert, weil bei ihm traditionell große Milchbetriebe Mitglied sind, der hierzulande wichtigste Agrarzweig also. Innovatives Gedankengut wird im Fräie Lëtzebuerger Bauereverband ebenfalls immer wieder gewälzt; FLB-Landwirte waren zum Beispiel die ersten, die in Luxemburg Biogasanlagen installierten. Weil der FLB in den Siebzigerjahren aus einer Opposition zur damals alles dominierenden Bauernzentrale und ihren Verarbeitungskonzern Cepal entstand, und weil das viel zu tun hatte mit dem Streit um die Führung der Luxlait-Molkereigenossenschaft und die Verarbeitung der Milch, sind unter den FLB-Mitgliedern viele Milchproduzenten, die an die Molkerei des Arla-Food-Konzerns in der Eifel liefern. In ihm ist die frühere Milch-Union Hocheifel aufgegangen. Arla Food, obwohl eine Genossenschaft, ist multinational zusammengesetzt und auf dem Weltmarkt tätig. Womit gerade Milchbauern, die an sie liefern, auf Wachstum zielen und entsprechend investiert haben.
Am Dienstag kam das auch zur Sprache. Denn wenn es zum Beispiel Zusammenhänge gibt zwischen einem Glyphosateinsatz, der höhere Erträge erlaubt, und den Wirtschaftlichkeitsaussichten für Bauernbetriebe in dem kleinen Land, wo die knappen Agrarflächen vielfach der Spekulation unterliegen, dann ist, wer in diesem Kontext agieren muss, skeptisch gegenüber „mehr Bio“ und dem Ziel, die Biofläche innerhalb von sechs Jahren fast zu versiebenfachen. Mag das auch eine Idee sein, die aus der Arbeitsgruppe „Food“ zum Rifkin-Bericht stammt, die in aller Vertraulichkeit auch mit Vertretern der konventionellen Landwirtschaft diskutiert wurde und die ihr am Ende zustimmten: „Mehr Bio“ stehe und falle in Luxemburg mit dem Absatz der Produkte, betonte der FLB.
Keineswegs zu Unrecht. Denn die Rifkin-These, angesichts der im Schnitt hohen Kaufkraft hierzulande müsse Luxemburg ein Bio-Dorado sein, wird bisher vor allem durch Importware bestätigt. Auch Luxemburger Biobauern produzieren viel Milch. Doch die 2016 in Betrieb genommene Bio-Molkerei der Bio-Genossenschaft Biog exportiert mehr als die Hälfte der angelieferten Milch unverarbeitet ins Ausland, weil sie sich in Luxemburg nicht absetzen lässt (d’Land, 24.5.2019). Die Weiterverarbeitung zu höherwertigen Produkten im Land selbst existiert zwar, aber auf „artisanaler“ Ebene. Es fehlt an kritischen Massen, wie so oft, und im Preis können Luxemburger Produkte gegenüber Importen schwer mithalten.
„Wir haben im Landwirtschaftsministerium nachgefragt, wie der Absatz von Bioprodukten gefördert werden soll“, sagte Louis Boonen vom FLB am Dienstag. „Dazu gibt es bisher ganz wenig Ideen.“ Wie der FLB die Sache sieht, reicht es nicht, an Biobauern mehr Beihilfen zu verteilen. Bezuschussen könne man die Ausgabe von Bio-Essen in Schulkantinen oder Maisons relais. Abgesehen davon aber müsse „der Markt spielen, sonst machen wir uns etwas vor“. Dass so wenig Landwirte interessiert sind, auf „Bio“ überzugehen, liege nicht zuletzt daran, dass im konventionellen Bereich für Milch und Fleisch gut etablierte Verarbeitungsstrukturen existieren. Deshalb reiche die Luxemburger Produktion von Milch mit einem Äquivalent von 1,6 Millionen Verbrauchern und die von Rindfleisch mit 700 000 über die Selbstversorgung hinaus. Bei Obst und Gemüse betrage der Selbstversorgungsgrad dagegen nur rund vier Prozent, doch um ihn zu steigern, sei die Qualität der Böden nicht überall gut genug.
Was in der Endkonsequenz heißt, dass der Markt heimischen Biobauern ein Einkommen ermöglichen muss, dass nicht allein durch Beihilfen getragen ist. Weil das schwer zu haben sein wird, wäre dem FLB lieber, dass eine „Nachhaltigkeitsstrategie“ ausgearbeitet würde, die alle Problemfelder aufgreift, vom Spritzmittel-einsatz bis hin zum Klimaschutzbeitrag des Agrarsektors, und in der ein „Monitoring“ stattfände, in dem jeder Betrieb auf seine Inputs und Outputs hin analysiert und anschließend optimiert würde. Die dazu nötigen Instrumente seien da; es bleibe lediglich politisch zu entscheiden, sie zu nutzen.
Ob das mehr als eine Art Vorschlag zur Güte wäre, fragt sich aber. Politisch liefe dieser Ansatz darauf hinaus, die Idee des „Integrierten Landbaus“ wiederzubeleben, den CSV-Landwirtschaftsminister schon vor zwei Jahrzehnten gut fanden: Die „Optimierung“ würde dafür sorgen, den Chemie- und Energieeinsatz so weit wie möglich zu senken. Von Biolandwirtschaft zu sprechen, sollte sich damit erübrigen; Biobauern hätten die Optimierung lediglich besonders weit getrieben. Doch unter den Luxemburger Gegebenheiten sah das so aus, als sollte die Optimierung die Landwirte nicht übermäßig unter Druck setzen. Wie das die Absatzmöglichkeiten heimischer Produkte verbessern kann, die im Hochlohnland unter hohem Kostendruck entstehen und der Preiskonkurrenz von Importen ausgesetzt sind, wäre die spannende Frage.
Eine ganz schlüssige Antwort darauf scheint auch der FLB nicht zu haben; von ihm hieß es am Dienstag nur, vermutlich würden künftig „die Verbraucher immer mehr zertifizierte Lebensmittel nachfragen“. Woraufhin man auf den radikalen Gedanken kommen kann, die heimische Agrarbranche komplett auf „Bio“ umzustellen – nicht erst 2050, wie das im Rifkin-Bericht steht und im Koalitionsvertrag als politisches Langfristbekenntnis, sondern so schnell wie möglich. Mit vereinten Kräften aller, Verarbeitungs- und Vermarktungsstrategie inklusive. Der Agronom und frühere Generalsekretär des Herdbuchverbands, Jean Stoll, hatte vor zwei Jahren in diese Richtung argumentiert (d’Land, 1.7.2016).
Tatsächlich sind schon 20 Prozent viel verlangt. Was auch daran liegt, dass in Richtung Weltmarkt orientierte Milchproduzenten entsprechend investiert und sich damit für Jahre festgelegt haben. „So schnell umsteuern geht nicht“, hieß es vom FLB am Dienstag. Auch wenn das bedeutet, dass in der Zwischenzeit ein Großteil der guten Luxemburger Milch als Pulver nach China oder Saudi-Arabien gebracht wird.