Myanmar

„Die nutzlosen Militärs loswerden“

d'Lëtzebuerger Land du 08.01.2016

Mit Lärm und viel Metall rammt sich die westliche Moderne in Myanmars verschlafene Hauptstadt Yangon. Bagger reißen den Asphalt der Hauptstraßen auf, hinter ihnen zwingen Vorschlaghammer Stahlträger in die Erde. Es werden Straßenüberführungen gebaut, ein neuer Flughafen, Hafenanlagen und zahlreiche Wolkenkratzer. Yangon scheint vor lauter Tatendrang seiner Einwohner aus allen Nähten zu platzen. Junge Myanmaren lesen gierig Zeitung, texten mit ihren Handys und drängeln dabei in die überfüllten Stadtbusse, immer in Bewegung, immer alles gleichzeitig. Das Land hat es eilig, die fünf Jahrzehnte Stillstand unter einer unfähigen, aber brutalen Militärjunta aufzuholen. Und aufzuholen gibt es viel.

Während die Welt ratlos und mit Entsetzen auf die Krisen des Nahen Ostens blickt, scheint Myanmar eine einzige Erfolgsstory zu sein. Kein Wunder, dass ab 2011 unter westlichen Diplomaten eine regelrechte Myanmar-Euphorie grassierte: Eine Militärdiktatur löst überraschend und ohne viel Federlesens den eisernen Griff. Wahlen werden angekündigt und werden auch noch problemlos gemanagt. Diese gewinnt haushoch eine der weltweit bekanntesten Politikonen, die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi.

Myanmar oder Burma, Rangoon oder Yanon? Der Rest der Welt sucht das rund 51 Millionen Einwohner zählende Land zwar noch auf der Weltkarte, doch eröffnete dort vor wenigen Wochen unbeirrt die erste internationale Börse. Und während Aung San Suu Kyi erste Gespräche mit den Generälen über die bevorstehende Machtübergabe führt, katapultiert sich Myanmar als Hoffnungsträger einer ganzen Staatengemeinschaft auf die Weltbühne.

Die Rede ist vom zu Sylvester kreierten Wirtschaftsraum der zehn Länder der südostasiatischen Staatengemeinschaft (Asean). Die neu geschmiedete Asian Economic Community (AEC) stellt mit insgesamt 620 Millionen Einwohnern einen Verbrauchermarkt dar, der die USA oder die EU in den Schatten stellen könnte. Vom „EU-Moment“ Asiens war die Rede. Von einem „riesigen liberalisierten Wirtschaftsraum nach europäischem Vorbild“ wurde geschwärmt, obwohl diesem Gebilde noch alles fehlt, was die EU ausmacht.

Dabei kommt vor allem dem verarmten, noch vollständig mit sich selbst beschäftigten Myanmar, das sich nach den erfolgreichen demokratischen Wahlen im vergangenen November wie ein Phoenix aus der Asche erhebt, nun die absurde Rolle des Schrittmachers der Asean zu. Experten beteuern, dass das Land mit seiner geopolitisch markanten Lage zwischen China und Indien Impulse in die anderen Asean-Länder und darüber hinaus senden wird. Im „Aktionsplan 2025“ der Asean Community Vision wird Myanmar bereits heute als Vorzeigeland mit funktionierenden demokratischen Institutionen, guter Regierungsführung und Rechtstaatlichkeit dargestellt. Und damit als Image-Retter der übrigen, nicht ganz so demokratischen, in Korruptionsskandalen versinkenden Regierungen der Region.

Ohne Frage ist das Land der tausend Pagoden mit erwarteten sechs bis sieben Prozent Wachstumsraten in den kommenden Jahren eines der dynamischsten der Region. Dies jedoch nur, weil andere Hoffnungsträger, darunter Malaysia und Indonesien, unter hausgemachten Problemen und unter Chinas nachlassendem Rohstoffhunger leiden.

Während also von Washington über Brüssel bis Jakarta hoffnungsvolle Blicke nach Yangon gehen, bleibt Myanmars eigener Blick in die Zukunft so verstellt, wie der auf Aung San Suu Kyis Haus am Ufer des idyllischen Inya-Sees mitten in Yangon. Hohe Mauern lassen von der alten Kolonialvilla, in der die Generalstochter insgesamt über 15 Jahre Hausarrest absaß, nichts erkennen. Nicht viel mehr Erkenntnis bringt unterdessen ein Besuch in der Zentrale ihrer siegreichen Partei, der National League for Democracy, kurz NLD.

Wer in die Kommandozentrale von Myanmars mächtigster Frau vordingen will, muss nur um ein paar Verkaufsstände mit T-Shirts mit Suu Kyis Konterfei oder dem Aufdruck „Mother Suu“ herumlaufen. In der Zentrale, die eher einer Garage gleicht, sitzen auf engstem Raum gedrängt junge Wahlkampfhelferinnen und betagte Berater in ihrem Longyi, dem traditionellen burmesischen Männerrock. „Die Transitionsphase muss gut gemanagt werden“, sagt leise einer der kahlköpfigen Sprecher „der Lady“, Win Htein. Er habe jetzt manchmal morgens, wenn er aufwache, Angst, bekennt er. „So viel Verantwortung“, meint auch sein Parteikollege, der NLD-Wirtschaftsberater Hantha Myint.

Wie wird die künftige Regierung aufgestellt sein, da die Lady selbst aufgrund einer Verfassungseinschränkung nicht Präsidentin werden darf? Wer werden die Minister sein? Wie wird die Macht von den autokratischen Generälen abgegeben werden? Welche Prioritäten hat Aung San Suu Kyi? Erst Frieden mit den bewaffneten ethnischen Gruppen schaffen, oder erst die Wirtschaft ankurbeln? Auf keine dieser Fragen gibt es Antworten. Nicht beim Besuch in der NLD-Zentrale, nicht in den zahlreichen, aufgeweckten neuen Zeitungen des Landes, nicht in den schicken Villen der Büros der zahllosen Nichtregierungsorganisationen, die mit ausländischem Hilfsgeld dem Land auf die Beine helfen wollen.

Während ihrer langen Jahre in der Opposition und während des lebhaften Wahlkampfes hat Aung San Suu Kyi selten viele Worte über detaillierte Inhalte verloren. „Mother Suu“, wie es die angebotenen T-Shirts propagieren, ist schlicht das Programm. Oder „Time for Change“, wie Suu Kyis Wahlkampfslogan lautete.

Genau das wollen die meisten Myanmarer. „Wir wollen diese nutzlosen Militärs endlich loswerden,“ sagt auch Menschenrechtsaktivist Kin Za Win. Er saß unter der Militärdiktator neun Jahre im Gefängnis, weil er sich kritisch über die Menschenrechtsverletzungen in seinem Land geäußert hatte. Er selbst ist kein Fan der Lady und hält es sogar für denkbar, dass sie, übermächtig, alle Entscheidungen künftig alleine treffen könnte. Doch er sieht in dieser Phase, in der die NLD auch das Regieren in Myanmar neu erfinden muss, auch große Chancen. „In den Teilstaaten und bei den ethnischen Gruppen ist die NLD viel zu schwach, das bietet eine reale Chance, ein föderales System einzuführen“, hofft Kin.

Ein gutes Zeichen für die Zukunft des Landes ist, dass der unbedingte Wille zum Wandel auch die Eliten erfasst hat. In seiner komfortablen Villa, ebenfalls am Inya-See gelegen, dort, wo zahlreiche hochrangige Militärs mit ihren Familien residieren, sitzt einer der Präsidentenberater, wie landesüblich barfuß, in seinem Empfangszimmer unter Deckenventilatoren. Auch er hat bei der Wahl für die Lady gestimmt. Und das, obwohl er seinen privilegierten Job als Regierungsberater der Militärs damit verlieren wird. „Ja, sie sind in einem Schockzustand“, sagt er lächelnd über die Militärs. An ein Erdbeben glaubt er nicht. Die Lady werde sich mit den Militärs arrangieren müssen, glaubt er. Auch mit deren Kostgängern, den „Cronies“, also der Wirtschaftselite des Landes, die alle großen Unternehmen des Landes und das dringend benötigte Kapital besitzt. Selbst die, glaubt er, habe die Nase voll von den selbstherrlichen Militärs.

Beim Spaziergang durch die Straßen Yangons, beim Reisen durch das Land fällt schnell auf, wie jung die meisten Bewohner sind. Und wie arm. In dem einst reichsten Land der Region leben heute rund zwei Drittel der Bevölkerung vom kargen Ertrag ihrer Äcker. Die UN listen Myanmar im Human Development Index auf Platz 149 von insgesamt 187 Ländern, noch hinter Angola und Bangladesh. Das Bruttoinlandsprodukt liegt bei 535 US-Dollar pro Kopf und damit noch weit hinter dem Kambodschas. Fabriken, Manufakturen und das Bildungssystem wurden durch die politische Kontrolle der Militärs ruiniert, die Infrastruktur ist hoffnungslos veraltet. Zwar gibt es Fortschritte bei den langwierigen Friedensverhandlungen der Noch-Regierung mit den aufständischen Gruppen und Armeen unterschiedlicher Ethnien. Doch wird trotz Aufbruchstimmung in Yangon in vielen Teilen Myanmars brutal weiter gekämpft.

Die Liste der sozialen, ökonomischen und politischen Herausforderungen für Aung San Suu Kyi und ihre NLD ist bei genauerem Hinsehen erschreckend lang. Und dennoch stehen die Signale am Irawadi, Myanmars längstem Fluss, auf Optimismus. „Wir wissen, dass das alles nicht über Nacht bewältigt werden kann“, sagt Kin. „Aber es ist ein Anfang – und eine Chance“.

Andrea Walter
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