„Ein kleiner Totentanz in fünf Bildern.“ Mit dieser Unterzeile versah Ödön von Horváth sein Werk Glaube Liebe Hoffnung von 1932. Ein Totentanz im Zeichen der Weltwirtschaftskrise – der ökonomischen wie auch der sozialen. Das Drama zeigt den Totentanz von Elisabeth, einer in Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit getriebenen Figur, die in einer von Zwängen, Nöten und abstrakten Prinzipien beherrschten unmenschlichen Welt sich ihr kleines Stück von der großen Torte des Lebens abschneiden möchte. Die Krise der 1930-er Jahre war zwar anders als die heutige, doch damals wie heute brachte sie ähnliche Erfahrungen und Schicksale hervor.
Elisabeth hat Pläne und Ziele für ihr Leben. Doch dazu braucht sie Geld. Für einen Wandergewerbeschein, um als Handlungsreisende ihr Glück zu schmieden. Um diesen bezahlen zu können, möchte sie ihren Körper schon zu Lebzeiten an das Anatomische Institut verkaufen. Der Oberpräparator des Instituts weist sie ab, da sie keine lebendigen Toten kaufen dürfen, leiht ihr aber das Geld. Doch sie macht nicht genügend Umsatz und wird gefeuert. Der Präparator verlangt sein Geld zurück und zeigt sie an. Sie wird verurteilt. Elisabeth muss eine 14-tägige Haftstrafe absitzen. Sie verliebt sich in einen Polizisten und verbringt eine Nacht mit ihm, wird bei einer Razzia erneut verhaftet, da sie im Verdacht, steht als illegale Prostituierte zu arbeiten. Der Polizist erfährt von der Vorstrafe Elisabeths und verlässt sie. In Not und Verzweiflung sucht sie den Freitod, wird aber gerettet und zu einer Polizeistation gebracht. Hier begegnen ihr nochmals alle Mitmenschen des Totentanzes. Der Retter wird gefeiert. Elisabeth stirbt. Die Mitmenschen begeben sich zur Vaterländischen Parade.
Glaube. Der Schweizer Regisseur Christoph Marthaler hat aus dem Stück wieder eine seiner typischen Inszenierungen gemacht. Liebe. Für seine Familie und seine Freunde, für seine Bühnenbildnerin und vor allen Dingen für sich selbst. Hoffnung. Von Horváth bleibt nicht viel übrig. Dessen Sprachgewalt nutzt sich in den unzähligen Wiederholungen, die Marthaler dem Stück abringt, ab, deren Sinnhaftigkeit den Zuschauer beschäftigen soll. Horváths Szenen bleiben als bleierne Parodien auf der Bühne liegen. Dem Regisseur geht es nicht um Horváth, geht es auch nicht um „Glaube Liebe Hoffnung“ oder um den Totentanz, es geht ihm einzig um seine Regie, sein Theater, seine Familie. Das Stück wirkt an vielen Stellen beliebig, austauschbar, Bezüge verschwinden im Slapstick eines Handwerkers, der Buchstaben im Bühnenbild anbringen soll. Gleich zu Beginn. Schlüsselszenen des Stücks werden in eine Redundanz-Schleife geschickt, die sich nicht erklärt, dem Betrachter verweigert und der Inszenierung unnötige Längen gibt. So verwundert es nicht, dass die Marthaler-Fans nach den Aufführungen begeistert klatschend aufspringen, während die Horváth-Liebhaber enttäuscht den Theatersaal verlassen.
Während des Stücks verliert sich der Zuschauer in der Suche nach dem Wieso, Weshalb und Warum des Bühnenbilds, der Redundanz, einer Digitaluhr und der Doppelung. Marthaler bringt seine Intellektualität auf die Bühne und lässt den Zuschauer im Rang sitzen. Vergisst dabei die Weisheit des Orson Welles: Ein Regisseur sollte sehr intelligent sein, aber möglichst kein Intellektueller – denn der Intellektuelle ist der Todfeind aller darstellenden Künste.
Gute Szenen gibt es, etwa dann, wenn die doppelte Elisabeth – gespielt von Olivia Grigolli und Sasha Rau – so sehr in den Zwängen der Gesellschaft gefangen sind, dass sie sogar als Bühnenarbeiter rumkommandiert werden. Die Dopplung der Hauptfigur ist ein weiterer, rätselhafter Regieeinfall. Wenn es nur eine Verdreifachung wäre, dann gäbe es für den Zuschauer wenigstens einen Anknüpfungspunkt im Wirrwarr des Gezeigten. Auf der Bühne stehen die üblichen Marthaler-Verdächtigen Olivia Grigolli und Sasha Rau in der Hauptrolle, Ueli Jäggi, Bettina Stucky, Clemens Sienknecht sowie in Mehrfachbesetzungen Josef Ostendorf und Thomas Wodianka. Hinzu kommen Irm Hermann, Jean-Pierre Cornu und Ulrich Voss. Sie alle liefern solides Handwerk. Vor allem Sienknecht als Pianist und Dirigent des Lautsprecher-Orchesters zeigt Spielfreude. Kein Marthaler ohne Gesang: Er verortet mit seinen musikalischen und textlichen Einlagen zwischen Totenmarsch und Revuenummer der Dreißigerjahre das Stück als Evergreen seiner Zeit und offenbart doch den aktuellen Bezug, der dem langen Theaterabend manche Kurzweil schenkt, der sich schließlich in einer Gesangsvereinsnummer auflöst.