Am Sonntag resümierten sich einen Augenblick lang im Moutforter Kulturzentrum Jahrzehnte Sozialdemokratie in einem Wort. Dort trafen sich rund 200 Delegierte zum ordentlichen LSAP-Parteitag und scherzten darüber, dass sie fast die Umstellung zur Sommerzeit verschlafen hatten. Während die Frühlingssonne durch das schwere, dunkle Gebälk des Saals drang, hofften sie, dass die Tagesordnung bis Mittag abgehakt sei, denn am Nachmittag warteten zu Hause Kavalkaden und Sportveranstaltungen auf die Kandidaten der Gemeindewahlen.
Zur Tagesordnung gehörte die obligate „tagespolitische Resolution“, und sie stand diesmal unter dem Titel „Die digitale Entwicklung für gesellschaftlichen Fortschritt nutzen“. Im Resolutionsentwurf hieß es gleich zweimal, dass die Risiken und Gefahren der Digitalisierung „eingeschränkt“ gehörten. Daran fand niemand etwas auszusetzen, bis der ehemalige Gewerkschaftsfunktionär René Pizzaferri meinte, die Resolution könnte „ein wenig kämpferischer sein“. Weshalb es nun auf seinen Vorschlag hin heißt, dass die Gefahren nicht „eingeschränkt“, sondern „verhindert“ werden sollen.
René Pizzaferri hatte es sicher gut gemeint. Aber der Entwurf der Parteiführung war ehrlicher. Denn er spiegelte das in Fleisch und Blut übergegangene Selbstverständnis der LSAP als kleineres Übel im Vergleich zu CSV und DP wider, die anscheinend sozialpolitisch rücksichtsloser vorgehen. Die Wortwahl spielte sowieso keine Rolle. Denn man war sich einig, dass Technik eine Naturgewalt ist, der man sich anzupassen hat. Der ehemalige Wirtschaftsminister Robert Goebbels brachte das mit der ihm lieben Brutalität auf den Punkt: „Mir stoppen näischt do!“
Robert Goebbels war schon 1999 als Spitzenkandidat einer sich für den Arbeiter im Namen schämenden und zu „LS@P“ umgetauften LSAP aufgetreten und mit der New-Economy-Blase geplatzt. Sein Wiedergänger heißt nun Etienne Schneider. Mehr als alle anderen Parteien lebt die LSAP stets in der Angst, altmodisch auszusehen. Was unter Robert Goebbels „New Economy“ hieß, heißt deshalb unter Etienne Schneider „dritte Industrielle Revolution“.
Etienne Schneider hatte den Bericht des US-amerikanischen Zukunftsforschers Jeremy Rifkin The 3rd industrial revolution strategy study for the grand duchy of Luxembourg gekauft. Doch der Resolutionsentwurf der Parteileitung rief nur auf, den Report with recommendations to the Commission on civil law rules on robotic der LSAP-Europaabgeordneten Mady Delvaux zu „unterstützen“. Angesichts dieser Peinlichkeit schob die Parteileitung einen Änderungsantrag nach, um auch „die von Wirtschaftsminister Etienne Schneider angestoßene Rifkin-Studie zu begleiten und Lösungen und Wege für eine nachhaltige Gestaltung der Zukunft des Landes aufzuzeigen“.
Bei der Vorstellung des Resolutionsentwurfs polterte die Abgeordnete und Gewerkschaftsfunktionärin Taina Bofferding, es sei die „verdammte Pflicht“ der LSAP, „die Digitalisierung zu begleiten“. Der Stadtrat Tom Krieps und der Abgeordnete Franz Fayot konnten die wirtschaftliche und soziale Bedeutung der dritten Industriellen Revolution gar nicht richtig in Worte fassen, und der Resolutionsentwurf berichtete von „dem größten Umbruch seit Jahrzehnten“ auf dem Arbeitsmarkt und „riesigen Herausforderungen“ für die Politik.
Trotzdem kam die kurze Diskussion am Sonntag nicht über Allgemeinplätze hinaus. Von dem 2010 ebenfalls in Moutfort mit einem Index-Kongress seinen schönsten Erfolg feiernden linken Parteiflügel war in der anscheinend alles entscheidenden Zukunftsfrage nichts zu hören. Die Resolution wurde ohne Gegenstimme und ohne Enthaltung angenommen, sie beschloss die Einsetzung einer Arbeitsgruppe, um „verstärkt über die Rolle der Arbeit in einer digitalen sozialen Marktwirtschaft nachzudenken“, wozu eine „gerechtere Verteilung der Produktivitätsgewinne“ über „Lohnerhöhungen bzw. Arbeitszeitverkürzung“ sowie eine Anpassung des Arbeits-, des Steuerrechts und des Kollektivvertragswesens gehörten.
Aber ein wenig war die Resolution sowieso das übliche Füllsel in der Routine eines statutarischen Kongresses. Ein anderer Punkt waren Statutenänderungen. Unter dem Schock des Referendums und der Europawahlen hatte die Sommerakademie der Partei vor zwei Jahren wieder einmal beschlossen, die Basismilitanten besser in die Parteiarbeit einzubinden. Deshalb wird nun ein „Forum“ genanntes beratendes Gremium geschaffen, wo auch Mitglieder ohne Parteimandat über aktuelle Themen diskutieren dürfen. Die Lokalsektionen sollen sich autonomer organisieren dürfen und kleine Lokalsektionen sollen stärker auf den Landeskongressen vertreten sein. Aufgegeben wird das Sympathisantenstatut für Nicht-Mitglieder, mit dem die Partei nach einer früheren Niederlage versucht hatte, der „Politikverdrossenheit“ entgegenzuwirken.
Das Parteipräsidium soll paritätisch aus fünf Männern und fünf Frauen bestehen. Ein Antrag der Jungsozialisten, die Parteiführung von allen Mitgliedern über Briefwahl oder elektronisch zu wählen, wurde angeblich wegens des Aufwands von der Parteileitung und dann dem Kongress bei 35 Gegenstimmen und zehn Enthaltungen abgelehnt, soll aber weiter studiert werden. Mit fünf Gegenstimmen und fünf Enthaltungen wurde auch ein teilweise als Provokation empfundener Antrag der Dippacher Sektion abgelehnt, ähnlich den Femmes socialistes eine Unterorganisation „Hommes socialistes“ zu gründen. Am Ende wurden die neuen Statuten bei sieben Gegenstimmen und zwei Enthaltungen angenommen.
Nacheinander bläuten Parteivorsitzender Claude Haagen, Fraktionssprecher Alex Bodry und Wirtschaftsminister Etienne Schneider den von den Meinungsumfragen entmutigten Delegierten ein, doch anzuerkennen, was die LSAP-Minister schon alles an Reformen in der Regierung geleistet haben: Nicht nur Steuersenkungen, Indextranche und Mindestlohnerhöhung, sondern auch Gemeindefinanzreform, Reform der Rettungsdienste und schließlich die Trennung von Kirche und Staat, die Abschaffung des Religionsunterrichts und der laizistische Nationalfeiertag... alles, was einem antiklerikalen Basismitglied das Herz höher schlagen lassen müsste. Und am 8. Oktober werde die Partei wieder als stärkste aus den Gemeindewahlen hervorgehen, war man sich einig.
Zum Pep talk gehörte vor allem, dass diejenigen, die südlich von Leudelingen noch „d’Pafen“ genannt werden, ihr Fett abbekamen: Die CSV und ihr Syfel seien konservativer als die katholische Kirche, und die familienpolitischen Vorstellungen der CSV stammten aus dem 19. Jahrhundert, klagte Claude Haagen. Alex Bodry wusste, dass die ADR ihren sehr rechten Petinger Gemeinderat Joe Thein ausgeschlossen habe, um salonfähig für eine geplante Koalition mit der CSV zu werden. Und Wirtschaftsminister Etienne Schneider erinnerte daran, dass die Koalition sich anfangs mit „drastischen Maßnahmen“ unbeliebt machen musste, weil sie „im Dezember 2013 desaströse makroökonomische Daten“ vorgefunden habe. Er konnte sich aber nicht mehr erinnern, wer vor Dezember 2013 Wirtschaftsminister war.