Ende vergangenen Jahres ließ die Handwerkerföderation (FDA) bei ihren Mitgliedern sondieren, wie sie zur Digitalisierung stehen. 400 Betriebe aus den Bereichen Bau, Mode und Gesundheit, Mechanik, Kommunikationsdienstleistungen und Lebensmittelhandwerk machten mit. Das Ergebnis: 67 Prozent sehen in der Digitalisierung eine Chance für ihr Unternehmen, vier Prozent eine Gefahr. 29 Prozent fühlten sich von ihr nicht betroffen.
„Handwerk 4.0“ also als Ergänzung zur „Industrie 4.0“? In Deutschland, wo „Industrie 4.0“ ersonnen wurde, spricht man tatsächlich von der Version vier des Handwerks. Zum einen, weil dort mittlerweile der generische Begriff „Wirtschaft 4.0“ im Umlauf ist. Zum anderen gibt der Sektor sich mit „Handwerk 4.0“ kämpferisch, weil er durch die digitalisierte Industrie mit vernetzter Produktion, Big Data-Nutzung und dem „Internet der Dinge“ seine Interessen bedroht sieht.
Die Luxemburger Handwerkerföderation stellt sich auch auf Konflikte ein: „Der Industrie schwimmen die Geschäftsfelder weg, jetzt versucht sie, uns die Märkte wegzunehmen“, sagt FDA-Generalsekretär Romain Schmit. Die Klage kann durchaus überraschen. Sie wird aber einsichtiger, wenn man bedenkt, was die Strategie von Jeremy Rifkin für die „dritte Industrielle Revolution“ in Luxemburg an Zukunftsthemen ausgemacht hat. Der Energieversorgung, der Mobilität und dem energieeffizienten Bauen sind in dem 500 Seiten langen Rifkin-Bericht ausführliche Kapitel gewidmet. Das sind Bereiche, in denen es in Zukunft „smart“ zugehen soll, indem Energie gespart wird oder selbstfahrende Autos im organisierten Car-sharing den Verkehrsinfarkt vermeiden helfen.
„Smart“ aber heißt, viele Daten zu nutzen. Zum Beispiel die aus den intelligenten Strom- und Gaszählern, deren Einbau landesweit läuft und bis 2020 weitgehend abgeschlossen sein soll. Romain Schmit ist froh, dass die FDA „einen Deal mit Enovos“ gefunden hat, der den Luxemburger Handwerksbetrieben den Markt der energiesparenden Installationen sichern soll. Selbstverständlich sei das nicht, sagt Schmit. Energieversorger sind gesetzlich verpflichtet, ihren Kunden beim Energiesparen zu helfen; das wird ihnen zertifiziert. Sie könnten beispielsweise zum Einbau einer neuen Heizung raten, weil der intelligente Zähler zu viel Energieverbrauch angezeigt habe. „Gehen die Energieversorger Partnerschaften mit bestimmten Heizungsherstellern und ihren Installateuren ein, könnten alle anderen Handwerker aus dem Markt gestoßen werden.“ Das Problem stelle sich sinngemäß überall, wo viele Kundendaten anfallen.
Natürlich aber will der FDA-Generalsekretär nicht etwa so verstanden werden, als sei die Digitalisierung eine einzige Bedrohung für das Handwerk. Immerhin sah das auch nur eine kleine Minderheit der vergangenes Jahr befragten Betriebe so. Doch das Internet zum Beispiel nutzen die Handwerksbetriebe in den meisten Fällen (60 Prozent) nur zur „Kundenkommunikation“. Die firmeneigene Webseite ist für 64 Prozent der Befragten lediglich eine „Vitrine“, für 18 Prozent ein „Arbeitsinstrument“ und nur für sieben Prozent gehört sie zum „Geschäftsmodell“. 49 Prozent der Firmen sind auf Facebook vertreten, aber wie Romain Schmit weiß, sind „die wenigsten dort richtig aktiv“. All das, findet er, sollte sich ändern: „Ein Frisör könnte zum Beispiel auch einen Blog über Frisuren betreiben, ein Metzger einen über Fleisch und Wurst.“ In Berlin ist dem FDA-Generalsekretär der Blog eines „überaus kreativen Metzgers“ aufgefallen. „Der macht richtig Lust aufs Essen!“
Romain Schmit weiß natürlich, dass er mit solchen Empfehlungen die Geschichte von den dank Digitalisierung aufgewerteten Geschäftsmodellen ausgerechnet in einem Land erzählt, wo einen Handwerksberuf zu ergreifen eher nicht en vogue ist. Im coolen Berlin ist das anders. In Luxemburg komme hinzu, räumt Schmit ein, dass acht von zehn Betrieben angeben, sich mit Digitalisierung nicht genug auszukennen: In der Befragung äußerten 34 Prozent, es mangele ihnen an entsprechend qualifiziertem Personal, 33 Prozent der Betriebe fühlen sich nicht gut genug informiert und 26 Prozent nicht gut genug beraten.
Das sind nicht die besten Bedingungen, um mit neuen Geschäftsideen dank Digitalisierung die „Generation Y“ anzusprechen, „die Geld hat, anspruchsvoll ist und sich auskennt“. Die FDA plant deshalb nicht nur, Information und Beratung rund um die Digitalisierung und potenzielle Geschäftsmodelle auszubauen. „Wir denken auch darüber nach, eine Weiterbildung zu organisieren.“ Noch sei diese Idee „vage“ und noch nicht klar, was sie umfassen könnte. Denn allen Hindernissen beim Einsatz von mehr digitalen Mitteln zum Trotz, die in der Befragung der Firmen zum erwähnt wurden, arbeiten manche von ihnen schon längst mit hochmoderner Ausrüstung: „In Mechanikbetrieben stehen computergesteuerte Maschinen und Industrieroboter. Zahntechniker stellen mit 3D-Druck Prothesen auf quasi industriellem Niveau her.“ Baufirmen, die Roboter zum Verlegen von Fliesenböden oder zum Anstrich großer Wandflächen nutzen, gibt es auch. Werden Anstreicher dann überflüssig? – „So schnell nicht“, glaubt Romain Schmit. „Und falls das eines Tages doch so sein sollte, dann befasst der Anstreicher der neuen Generation sich mit der Gestaltung von Wandmustern und Farbflächen und wird eher einem Innenraum-Designer ähneln.“
Unmittelbar etwas für die Bau- und Installationsbetriebe tun will die Handwerkerföderation durch die Einrichtung einer Internet-Plattform für diese Branche. Auf der Plattform sollen nicht nur sämtliche Firmen mit ihren Gewerken vertreten sein, die Kunden sollen dort auch Aufträge einreichen können. Auf die Anfragen würden die Handwerker dann mit einem Kostenvoranschlag reagieren. Ist der Auftrag ausgeführt, sollen die Kunden ihre Handwerker bewerten können und die Handwerker ihre Kunden. „Das werden wir aber administrieren, damit niemand einen anderen niedermacht.“
„Je mehr Leben auf dieser Plattform herrscht, desto besser“, sagt Romain Schmit. Er will gar nicht ausschließen, dass Betriebe und Kunden sich über das Portal auch zu Plänen, Entwürfen und Modellen austauschen und eines Tages vielleicht die virtuelle Realität einer Baustelle gemeinsam inspizieren. Mit der lebendigen Plattform verbindet die FDA allerdings nicht nur den Wunsch nach einem Tool für eine ganze Branche, sondern auch ein sehr strategisches Interesse: Je mehr los ist auf einer Webseite, desto mehr ist sie „suchmaschinenoptimiert“ und wird vor allem bei Google an vorderer Position angezeigt. Noch lande, sagt Schmit, wer im Internet nach einem Handwerker sucht, der einen Auftrag in Luxemburg ausführen könnte, „mit hoher Wahrscheinlichkeit bei einer Firma hinter der Grenze, weil die Google für ihre Platzierung bezahlt“. Damit müsse „Schluss sein“, sagt er. Am Ende sehen die heimischen Handwerker durch die Konkurrenz in der Lorraine und östlich der Mosel ihre Märkte wahrscheinlich noch stärker bedroht als durch Big Data-Monopole der „Industrie 4.0“.