Vieles spricht dafür, dass die Corona-Pandemie alte, überkommene Geschlechterklischees stärkt. Aber nicht alles

Rolle rückwärts?

d'Lëtzebuerger Land du 29.05.2020

Kinder, Küche, Kirche, kurz: die drei K dienten der Frauenbewegung einst als griffiger Slogan, um die Fesseln zu beschreiben, die Frauen an Gleichstellung hinderten. Führt die Coronakrise jetzt dazu, dass die traditionellen Geschlechterzuschreibungen eine Renaissance erleben? 

Die Europäische Kommission sagt ja. In einem 18-seitigen Papier How will the Covid-19 crisis affect existing gender divides in Europe? zeichnet der Joint Research Center for Policy Report Bereiche auf, in denen Frauen vor Covid-19 im Vergleich zu ihrem männlichen Gegenüber benachteiligt waren: Bei der Aufteilung der Erziehungs- und Hausarbeit waren Frauen schon vor Corona deutlich stärker belastet als Männer. In Luxemburg verbrachten Frauen einer Umfrage von 2016 zufolge etwas mehr als 35 Stunden die Woche damit, ihre Kinder zu versorgen und zu erziehen, Männer hingegen nur rund 23 Stunden. In der Küche standen Männer weniger als zehn Stunden, Frauen aber rund 17 Stunden die Woche.

Das war vor der Pandemie. Wie sich die Belastung durch den Corona-Lockdown verändert hat, weiß niemand genau. Ja, die sozialen Medien sind voller Berichte, in denen Mütter klagen, sie müssten wegen Covid-19 mehr schultern als ohnehin schon. Wer sich auf die Suche macht, dies mit Daten zu belegen, stellt indes fest: Das ist ein schwieriges Unterfangen. Ob nur zu diesem Zeitpunkt oder generell, wird sich zeigen. Daten zu erheben braucht Zeit, Luxemburg fällt international zudem in punkto Datenerhebungen – zumal nach Geschlecht aufgeschlüsselt – immer wieder durch Lückenhaftigkeit auf. 

Unsichere Datenlage Bisher gibt es eine Statistik im Kontext von Corona, die eine Verfestigung von Geschlechterrollen nahelegt: die zum Sonder-Elternurlaub, dem congé pour raisons familiales. Dem Centre commun de la Sécurité sociale (CCSS) zufolge haben Frauen auf dem Höhepunkt des Lockdown im März häufiger den Sonderurlaub genommen, um daheim mit den Kindern zu bleiben: 23 464 weibliche Angestellte erhielten gegenüber 16 784 männlichen Angestellten Urlaubsgeld, dies für 12 von 31 Tagen im Monat März. Die Frauen verbrachten im Durchschnitt 36,3 Prozent ihrer tâche im Sonderurlaub, die Männer 31 Prozent.

Eine branchenspezifische Aufschlüsselung belegt, dass sich der Geschlechtereffekt je nach Branche verstärkt: In der Finanz- und Versicherungsbranche liegt der Anteil der Frauen, die den Sonderurlaub genommen haben, mit 2,4 Prozent mehr als doppelt so hoch wie bei den Männern (1,1 Prozent). Ähnlich ist es im Bau, wo 6,5 Prozent der Frauen den Sonderurlaub nahmen, gegenüber 2,8 Prozent der Männer. Bei der öffentlichen Verwaltung war der Frauenanteil mit 3,9 Prozent sogar drei Mal so hoch (Männer: 1,3 Prozent). Bislang liegen nur die Zahlen vom März vor, für den Monat April haben die Arbeitgeber noch nicht alle Anträge eingereicht. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, spricht dies dafür, dass sich die ungleiche Lastenverteilung zwischen Mann und Frau während des Corona-Lockdown verschärft hat.

Aber droht deshalb der dauerhafte Backlash in der Geschlechterfrage? Um drei Jahrzehnte sei der erreichte Fortschritt zurückgeworfen, so das düstere Szenario der deutschen Soziologin Jutta Allmendinger vor kurzem in der ARD-Talkshow „Anne Will“. Frauen fänden sich in der Coronakrise in traditionellen Rollen wieder – und die Situation jetzt sei erst der Anfang. Ihr zufolge haben drei H die drei K in den vergangenen Corona-Monaten abgelöst: Homeoffice, Homeschooling und Haushalt hätten Frauen während des Lockdown besonders stark belastet.

30 Jahre Rückschritt würden für Luxemburg zum Beispiel bedeuten: Eine Frauenerwerbsquote von unter 55 Prozent statt 68 Prozent wie heute (Stand von 2018) – nicht zuletzt, weil es Anfang der Neunziger kaum eine Betreuung für Kinder, geschweige ,für Kleinkinder gab, zudem keine Elternzeit für Väter und keine neuen Rollenmodelle.

Doch noch gibt es keine Daten, die die griffige Backlash-These untermauern: Es fehlen Studien zum Geschlechterverhältnis während der Covid-19-Krise, die analysieren, wie die Arbeit in den Familien aufgeteilt war (und ist): Wer hat mit den Kindern gelernt, wer gekocht, wer war einkaufen? Wer war während dieser Zeit erwerbstätig oder hat seine bezahlte Tätigkeit zugunsten unbezahlter Familienarbeit während des Lockdown zurückgestellt?

„Wir wissen es noch nicht“, sagt Claus Vögele, Professor für Klinische Psychologie und Gesundheitspsychologie sowie Autor einer Studie der Uni Luxemburg zu den psychologischen Auswirkungen der Coronakrise, die derzeit in die zweite Runde geht und von der erste Ergebnisse ab nächster Woche veröffentlicht werden. „Aber wir haben gesetzliche Regularien, so dass mir ein solch extremer Rückschritt nicht plausibel erscheint.“ Dass Homeoffice und Homeschooling traditionelle Rollenmodelle verstärkt haben, sei „naheliegend“. In Krisenzeiten sei der „Rückzug ins Private“ wörtlich zu nehmen. „Da kehrt man aus Unsicherheit zu alten Mustern zurück.“ Das Bild sei aber nicht eindeutig. „Es gibt Gegentendenzen“. Durch den Lockdown, wegen Kurz- und dank Telearbeit blieben verstärkt auch Männer daheim. Denkbar wäre beispielsweise, dass Partner, deren Frau im systemrelevanten, weiblich dominierten Gesundheits- und Pflegesektor beschäftigt ist, zuhause vermehrt die Haus- und Familienarbeit übernommen haben.

Claus Vögele ist außerdem an der Studie zu den sozio-ökonomischen Folgen von Covid-19 des Sozialforschungsinstituts Liser in Esch-Belval beteiligt, an der Interessierte derzeit online teilnehmen können (www.liser.lu). Es ist nur ein Detail, aber in der Befragung ist mehr als nur ein sprachlicher Lapsus enthalten: So müssen in der deutschen Version Teilnehmende zu Beginn angeben, ob sie „Resident“, also ansässig sind oder „Grenzgänger“. Unter dem Stichwort Wohnverhältnis ist entweder „private(r) Mieter(in)“ anzukreuzen oder „Eigenheimbesitzer“. Gibt es für Liser-SoziologInnen unter Frauen keine Hausbesitzerinnen? Oder geschieht inklusive Sprache nur dort, wo Platz ist?

Die Online-Umfrage, die Daten zum Einkommensverhältnis, zur Arbeitsaufteilung und zum Wohlbefinden abfragt, könnte aufschlussreiche Antworten hinsichtlich der Belastungen liefern, die Pandemie und Lockdown für Frauen und Männern gebracht haben, vorausgesetzt, sie ist repräsentativ. Wird nur Online für die Teilnahme rekrutiert, könnte das Bild verzerrt sein, je nachdem, wer mitmacht. Wenn beispielsweise Frauen keine Zeit haben, lange Fragen zu beantworten, weil sie andere Pflichten haben.

Alleinerziehende mehrfach belastet Neben der Nutzung des Sonderurlaubs könnten Anträge auf Kurzarbeit, Sozialhilfe oder andere Transferleistungen Auskunft über sich vertiefende Geschlechterungleichheiten durch Covid-19 geben. Die Adem teilt auf Nachfrage mit, weil das Kurzarbeitergeld über Vorzahlung funktioniere und Arbeitgeber erst seit Mitte Mai ordentliche Abrechnungen für März und April einreichten, sei es für verlässliche Angaben noch zu früh. Frauen machen den Großteil der Alleinerziehenden aus; haben sie verstärkt Sozialhilfen und Unterstützungsgeldern beantragt, um durch den Ausfall der Erwerbsarbeit entstandene finanzielle Engpässe zu überwinden? Das Wohnungsbauministerium erhöhte zu Beginn des Lockdown das Wohngeld. Wer hat es in Anspruch genommen?

Die Nachfrage nach psychologischer Hilfe kann ein weiterer Hinweis für ungleiche Belastungen durch Corona sein: Haben Frauen die für Corona eigens eingerichtete Hotline 8002 8080, SOS Détresse, Familljenzenter häufiger angerufen als Männer? Die grünen Abgeordneten Josée Lorsché und Marc Hansen möchten wissen, wie stark die Notruftelefone frequentiert wurden, insbesondere im Hinblick auf Risikogruppen, wie Senioren. Frauen erwähnt die parlamentarische Anfrage nicht ausdrücklich. Eine ähnlich gelagerte Anfrage der Grünen im hauptstädtischen Gemeinderat aber sehr wohl.

Diese Woche stellte LSAP-Gleichstellungsministerin Taina Bofferding Zahlen zu häuslicher Gewalt vor, aber nur von 2019. Laut der Vorsitzenden von Femmes en détresse seien die Zahlen während dem Confinement „ziemlich stabil“ geblieben. Andrée Birnbaum rechnet von jetzt an sowie in den kommenden Wochen mit einem Anstieg. Mit den Lockerungen bekämen Gewaltopfer möglicherweise bessere Gelegenheiten, unbeobachtet Hilfe zu rufen.

Die Plattform zum Internationalen Frauentag, Jif, aus Frauenorganisationen wie dem Cid femmes & genre, Gewerkschaften und Individualpersonen, hat diese Leerstellen kommen sehen und am 24. April in einem offenen Brief die Regierung dazu aufgefordert, durch das Coronavirus verursachte Schieflagen genau unter die Lupe zu nehmen – und dafür benötigte Daten zu erheben. Zum Beispiel fragt die Jif, wie viel Personal bei mobilen Pflegedienstleistern oder im Gesundheits- und Putzsektor arbeiten, und dies aufgeschlüsselt nach Geschlecht, Alter, Familienstand oder nach der Situation von Alleinerziehenden. Bisher habe sie „leider“ keine Antwort erhalten, so Isabelle Schmoetten, politische Sprecherin des Cid. Die Piratenpartei hat die Initiative in einer parlamentarischen Anfrage aufgegriffen.

Unterstützt wird die Jif vom OGBL, dessen Abteilung Gleichstellung die Forderung diese Woche per Kommunikee erneuert hat. „Wir stellen fest, dass viele Putzfrauen, obwohl systemrelevant, nicht bezahlt oder sogar entlassen wurden. Aber wir wissen nicht, ob dies Einzelfälle sind“, bedauert Michelle Cloos. Die Leiterin der Abteilung Gleichstellung verweist auf eine Online-Umfrage zum Confinement aus Frankreich. Die dortige Staatssekretärin für Gleichstellung, Marlène Schiappa, hat sie in Auftrag gegeben. Die Befragung stellt nicht nur eine stärkere Belastung von Frauen fest, sondern bei Paaren mit Kindern auch mehr Streit um die Aufgabenverteilung im Haushalt und in der Familie (www.harris-interactive.fr/covid-19/).

Den Kampf gegen die ungerechte Aufteilung von bezahlter Erwerbsarbeit und unbezahlter oder schlechter Fürsorge- und Putzarbeit hatte sich die Jif im Rahmen des Fraestreik zum 8. März auf die Fahnen geschrieben und hätte mit der Aktion zeitlich nicht besser liegen können: Ihre Forderung, Fürsorge- und Putzarbeit sichtbar zu machen und gemäß ihr ergesellschaftlichen Bedeutung höher zu entlohnen, hat mit der Coronakrise an Relevanz gewonnen.

Sichtbare Fürsorgearbeit Im Lockdown wurde die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung als Grundbedingung für die kapitalistische Wirtschaftsweise deutlich vor Augen geführt. Und die Bedeutung der Fürsorgearbeit für das gesellschaftliche Funktionieren war nicht länger zu übersehen. Plötzlich hing das (Über-)Leben davon ab, dass Supermarktkassiererinnen, Krankenschwestern, und Putzfrauen ihren Job machten, fehlten die Erzieherinnen und Lehrerinnen in Schule und Kindergärten vielen Familien schmerzlich. Über den Sonderurlaub aus familiären Gründen hat der Staat die zuhause geleistete Betreuungsarbeit mitfinanziert, um besonders systemrelevanten Beschäftigten den Rücken frei für die Arbeit im Krankenhaus oder Supermarkt zu halten, dies auf Kosten desjenigen Partners, der oder die zuhause das Gros der Fürsorgearbeit übernimmt und seine Erwerbsarbeit zurückstellt. An der Grundannahme, dass unbezahlte Betreuungsarbeit nicht vom Arbeitgeber bezahlt, sondern in die Familien hineinverlagert wird, wurde indes nicht gerüttelt.

Die Jif wollte noch etwas wissen: den Frauenanteil im Krisenstab. In Deutschland lösten die Covid-19-Empfehlung der Forschergruppe Leopoldina, die Grundschulen zu öffnen, die Betreuungsstrukturen aber geschlossen zu lassen, einen Sturm der Entrüstung. Auf Facebook und Twitter machten verärgerte und frustrierte Kommentare die Runde, die den Forscher Realitätsferne vorwarfen; dass die Baumärkte früher geöffnet wurden als die Betreuungseinrichtungen, sage etwas über den Stellenwert verschiedener Bedürfnisse in den politischen Entscheidungsprozessen aus. In der Forschergruppe saßen 24 Männer und zwei Frauen, laut Soziologin Allmendinger eine Erklärung dafür, warum das familiäre Wohl und das Wohlergehen der Frauen in den Empfehlungen nicht vorkamen.

Familienbild der 1950-er Noch etwas wurde mit Corona deutlich und bisher wenig thematisiert: Der Lockdown hat die Menschen nicht nur zurück in die Familien gebracht, sondern er hat dabei ein bestimmtes Familienbild bevorzugt behandelt. Denn mit Familie war und ist in der Krise nicht jede Familie gleichermaßen gemeint, sondern in erster Linie die traditionelle Kernfamilie. Paare, die nicht verheiratet oder gepacst sind, hatten das Nachsehen: Als die Grenzen zwischen den Ländern schlossen, wurden Beziehungen getrennt, so wie die von Fabienne, die ihren deutschen Freund, der in Berlin lebt, acht Wochen nicht gesehen hat. „Wir überlegen jetzt, ob wir uns nicht doch zumindest pacsen sollen“, sagt Fabienne (Name der Redaktion bekannt). Männer und Frauen konnten ihre/n Liebste/n nicht sehen, weil ihnen der Trauschein fehlte und sie die Beziehung nicht ordnungsgemäß bei der Aus- beziehungsweise Einreise nachweisen konnten.

„Das sind Unvollkommenheiten von Basiskonzepten, die unsere Gesellschaften prägen und auf die Politiker in Notsituationen zurückgreifen müssen“, sagt Professor Claus Vögele von der Uni Luxemburg. Wichtig sei, die Grenzfälle „als Impuls zu verstehen, daraus zu lernen und etwas zu ändern“.

Paare, von denen ein Partner im Heim lebt und der andere nicht, waren getrennt, weil selbst enge Familienmitglieder nur im Ausnahmefall zu Besuch kommen durften. Wer jenseits der Grenze wohnte, konnte gar nicht erst ins Land. Für Scheidungskinder ergaben sich ähnlich absurde Situationen: Auf einer Pressekonferenz unterstrich Premier Xavier Bettel zwar, dass das elterliche Besuchsrecht auch während des Shutdown galt, das heißt, ein Kind, dessen Mutter oder Vater nicht im selben Haushalt wohnte, konnte sie/ihn trotzdem besuchen. Das Nachsehen hatten dagegen binationale Kinder, deren Väter oder Mütter im Ausland leben.

Ines Kurschat
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