Migration und der Umgang mit Geflüchteten bieten auch in Luxemburg noch immer Stoff für Dauerdiskussionen. Unselige Debatten um Obergrenzen werden hierzulande zum Glück, wenn überhaupt, nur am rechten Rand geführt. Was die Kulturszene hervorbringt, um für das Thema zu sensibilisieren, kommt selten ohne etwas plakative Effekte aus und im besten Fall nüchterner daher, wie etwa Carole Lorangs Welcome to paradise. Die zwei choreografischen Kreationen Leave ... und Art 13 bilden einen erfrischenden Kontrapunkt zu betulichen Ansätzen.
Im Foyer der Bannanefabrik hängen die Bilder der Kampagne I am not a refugee, im Mai 2016 ins Leben gerufen von Frédérique Buck; eine digitale Plattform, die als Ausstellung mit begleitendem Buch durch Luxemburg gewandert ist, mit eindrucksvollen Porträts des Land-Fotografen Sven Becker und von Mike Zenari. Buck wirbt zu Beginn des Abends abermals für das Projekt – und hebt hervor, wie oft es schon ausgezeichnet wurde. Doch die vielen Preise seien gar nicht wichtig, denn im Mittelpunkt stünden ja die Menschen und ihre Schicksale.
Der Tanzabend zum Thema „Migration“ sorgt für ein volles Haus und enthusiastische Reaktionen. Die Sorge, dass einem mit den beiden tänzerischen Kreationen zwei Wohlfühlspektakel geboten werden, ist zum Glück unbegründet.
In Leave ..., dem ersten Stück der Compagnie Corps in Situ, werden die Zuschauer explizit miteinbezogen. An die Wand projiziert, sieht man schemenhaft wandernde Menschenmassen, die an einem vorbeiziehen, auf einen zukommen, einen irgendwann umschließen ... Mit den drei Tänzern gerät man in einen Sog, wird hineingetrieben, vom Strom mitgerissen und selbst zum Getriebenen. Die rund 30-minütige Performance bezieht die Zuschauer nicht etwas gestelzt mit ein, vielmehr geraten sie wie selbstverständlich in den Menschenstrom. Die Kluft: hier die mittelosen zugewanderten Flüchtlinge, dort die Zuschauer aus dem wohlhabenden Westeuropa, wird tatsächlich ein Stück weit aufgehoben. Die drei Tänzer Piera Jovic, Georges Maikel und Julie Barthélémy bewegen sich erst mit schwerfälligen Schritten ächzend voran und ziehen vereinzelte Zuschauer mit. Im getanzten Fluchtweg werden die vielen Rückschläge widergespiegelt. Immer wieder brechen die Tänzer fast zusammen und rappeln sich wieder auf. Am Ende siegt die Freude, steht Hoffnung. In einem fröhlichen Taumel werden die Zuschauer zu orientalischen Klängen mittanzen. – Fast ein etwas kitschiges Happy End!
Dröhnend und etwas overloaded wirkt dagegen zunächst Art. 13. Die beklemmende Atmosphäre auf der dunklen Bühne wird durch aggressive Technoklänge verstärkt. Bühnenbild und Kostüme (Sandy Flinto) lassen sofort an Bilder von Küstenwachen auf Lampedusa denken. Die drei Tänzer Catarina Barbosa, Baptiste Hilbert und Giovanni Zazzera, Letzterer 2013 Preisträger des Lëtzebuerger Danzpräis und Choreograf von Art. 13, wirken mit ihren neongelb leuchtenden Westen wie Frontex-Mitarbeiter. 40 Minuten lang werden sie subtil auf Hürden und Schikanen bei der beschwerlichen Ankunft in Europa hinweisen. Wenn sie mit ihren Taschenlampen ins Publikum leuchten, so fühlt man sich als gaffende Zuschauerin kurz ertappt und der sicheren Distanz entzogen. Auch hier ein Umkehreffekt: Ins Dunkle hinein werden die Zuschauer grell angeleuchtet, wie tausende Flüchtlinge bei ihren Fluchtversuchen nach Europa. Sandy Flintos Bühnenbild ist vielfältig: Ein schlichtes Tor auf der Bühne symbolisiert die Grenze(n), kippt es um, so wird es mal zum Boot, mitunter zum Sarg. Die Lichteffekte (Petrit Jung), aber vor allem die Soundeffekte (Pierrick Grobéty) in Verbindung mit der dynamischen Choreographie Zazzeras lassen Art. 13 zu einem eindrucksvollen Spektakel werden, das beklemmend wirkt. Leave ... und Art. 13 wirken komplementär, fügen Facetten von Migration aneinander, ohne das Publikum ganz in einer selbstgefälligen Zuschauerrolle zu belassen. Zwei Choreografien, die das Thema „Migration“ eindrucksvoll nahe bringen und die eigene Perzeption hinterfragen.