Die „Sharing Economy“ beim Strom wächst. In Beckerich wird ermittelt, wie sie sich mit Batterien und KI perfektionieren lässt

Strom à la Rifkin

Baustelle für eine Windkraftanlage
Photo: Olivier Halmes
d'Lëtzebuerger Land du 02.05.2025

Um Bierg auf einer Wiese südlich der Gemeinde Ell wird ein Windrad gebaut. Sein Mast ist fast fertig, zwei Elemente müssen noch aufgesetzt werden. Die Rotorblätter liegen nicht weit vom Mast bereit zur Montage. Im September soll das Windrad eingeweiht werden, aber schon vergangenen Samstag war „Tag der offenen Tür“ an der Baustelle. Der Betreiber ist an Publicity interessiert.

Dass eine Beteiligungsgesellschaft Bürger/innen erlaubt, Anteile an einem Windkraftwerk zu erwerben, ist schon seit Jahren Praxis. Auch weil sich dadurch Opposition gegenüber solchen Projekten dämpfen lässt. Mit der Anlage Um Bierg nah der Grenze zu Belgien hat es aber noch eine andere Bewandtnis: Aktionäre des Betreibers sind neben der Windstromfirma Emca SA auch die Gemeinde Beckerich und der Stromversorger Energy Revolt SA aus Beckerich. Das ist Teil eines größeren Ansatzes. Zum einen soll die Gemeinde, die 2024 ihren Strombedarf zu 39 Prozent aus grünen Quellen deckte, noch mehr davon erhalten. Bürgermeister Thierry Lagoda, Mitglied bei den Grünen, spricht sogar von „Autarkie“ bis zum Jahr 2030. Und erinnert gerne daran, dass unter seinem Vorgänger Camille Gira schon viel an energetischer Innovation angestoßen wurde: eine kommunale Biogasanlage oder ein Wärmenetz mit Holzhackschnitzelfeuerung.

Das ist aber nicht alles. Der Strom aus dem Windrad wird an die Beckericher E-Community gehen, eine Genossenschaft mit dem Status „Energiegemeinschaft“. Was ihre Mitglieder an Windstrom nicht selber verbrauchen, können sie national teilen. Was übrig bleibt, wird national verkauft. Bleibt noch immer etwas übrig, geht das an die Strombörse für den gemeinsamen Großhandel mit Deutschland. Allerdings: „Wir wollen Resilienz gegenüber diesem ökonomischen Kosmos“, sagt Paul Kauten, der E-Community managt. „Wir wollen grünen Strom in Wert setzen, der hier produziert wird.“ Und er fügt hinzu: „So, wie wir das machen wollen, geht es nicht überall in Europa.“ In Deutschland zum Beispiel gehe es noch nicht. Für Luxemburg habe der Ansatz Pilot-Charakter.

Wieso, hat vor allem mit Technik zu tun. In Beckerich soll im Kleinen erprobt werden, wie eine „intelligente“ Stromversorgung funktionieren kann. Intelligente Stromnetze waren als „Smart Grids“ vor 15 Jahren schon ein Hype: Wenn immer mehr grüner Strom vor allem aus Solar- und Windanlagen zur Versorgung diene, müssten die Netze schlau genug werden, um zu jedem Zeitpunkt Angebot und Nachfrage so miteinander zu verknüpfen, dass es weder Blackouts gibt, noch eine Produktion abgeschaltet werden muss. Schon damals hieß es, Elektro-Autos mit ihren Batterien könnten als Speicher im Netz dienen. Solche Szenarien werden heute konkreter.

Was auch mit Energiegemeinschaften zu tun hat. Wer Strom selber produziert und ihn nicht nur zur Eigenversorgung nutzt, sondern mit anderen teilen will, muss mit ihnen eine solche Gemeinschaft gründen. So steht es in einem Gesetz, das im März 2018 LSAP-Wirtschaftsminister Etienne Schneider auf den Weg brachte. Beseelt von dem Bericht des Futurologen Jeremy Rifkin, den Schneider über eine „dritte Industrielle Revolution“ in Auftrag gegeben hatte, kündigte er an, die Energiegemeinschaften würden die erste Inkarnation einer „Sharing Economy“ laut Rifkin sein. Die des „Energy Internet“ sowieso. Das war nicht übetrieben. Energiegemeinschaften gibt es heute mehrere. Die Marktregulierungs-Behörde ILR führt eine Liste. Manche haben lustige Namen, wie „Snuphy“ in Zolwer oder „Eggs and Hopp Stroum“ in Kahler. Ihre Zahl nimmt offenbar munter zu: Ende März gab es 24, am 2. Mai schon 28. Meist wird Solarstrom geteilt, muss aber nicht. Jeglicher Strom aus erneuerbaren Quellen kommt infrage. Eine Energiegemeinschaft kann entweder „lokal“ sein, ein Zusammenschluss von Nachbarn mit Solarpanelen auf den Dächern ihrer Einfamilienhäuser etwa. Oder einer im Umkreis von 300 Metern um einen Zugangspunkt zum Stromnetz. „Virtuell“ kann eine Gemeinschaft auch sein. Dann kann beim Teilen mitmachen, wer selber keinen Strom produziert, und sich von ihr versorgen lassen und dafür zahlen. Dann agiert die Gemeinschaft landesweit. Das hat die E-Community in Beckerich vor: Durch Erwerb eines Anteils an der Genossenschaft, der 50 Euro kostet, kann jede und jeder Mitglied werden.

Das deutet an, dass Energiegemeinschaften noch Randerscheinungen sein mögen, aber in ihrer Bedeutung zunehmen dürften. Eine Ahnung davon vermitteln die Statistiken des ILR zum Solarstrom. Der „boomt“, freute sich DP-Wirtschaftsminister Lex Delles vor vier Wochen im RTL-Radio. In der Tat: Ende 2023 zählte das ILR 13 622 Solarstrom-Zentralen. Mit „Zentralen“ sind Stromproduzenten gleich welcher Größe gemeint. Bis Ende April dieses Jahres hatte ihre Zahl sich fast verdoppelt, auf 25 374.

Wie viele davon in einer Gemeinschaft Strom teilen, ist unbekannt. Auf jeden Fall können in Gemeinschaften nicht nur Privatpersonen Mitglied werden, sondern auch Gemeinden. Und Firmen, sofern sie höchstens 250 Beschäftigte haben, ihr Jahresumsatz unter 50 Millionen Euro bleibt und ihre Bilanzsumme unter 43 Millionen. Artikel 7bis im Strommarktgesetz sieht noch vor, „plutôt que de générer des profits financiers“, müssten die Statuten von Energiegemeinschaften als Hauptzweck ökologische, ökonomische und soziale Vorteile für die Mitglieder, die Aktionäre oder das Territorium, in dem sie agieren, festschreiben. Was Energiegemeinschaften zu ernstzunehmenden Akteuren erklärt, nicht bloß zu irgendwelchen grünen Projekten. Zumal so eine Gemeinschaft als juristische Person auch Privatleute, Gemeinden und Betriebe repräsentieren kann, die Strom teilen möchten, aber dazu keine Gemeinschaft gründen wollen. E-Community macht das und versteht sich als „Plattform“. Im Moment repräsentiert sie eine Solarstromleistung von 553 Kilowatt. Mehr ist in der Prozedur, davon drei Vorhaben in Gewerbegebieten. Das Windrad Um Bierg wird 4 200 Kilowatt Windstrom beisteuern.

Offenbar geht man in Beckerich ganz methodisch vor. Was Paul Kauten mit „Strom in Wert setzen“ meint. Immer mehr grüner Strom soll produziert werden und seine Abnehmer finden. Zu welchen Bedingungen das geschieht, müssen die an einer Energiegemeinschaft Beteiligten unter sich ausmachen. So steht es im Gesetz. Müssen entscheiden, wieviel Strom sie teilen und was hinzugekauft werden soll. Wer selber nichts produziert und sich nur beliefern lassen will, bekommt von der Gemeinschaft einen Tarif. Wird E-Community richtig aktiv, wenn das Windrad Um Bierg sich dreht, soll es einen festen Tarif geben, der fair sei für die Konsumenten wie für den Produzenten. Wie das diskutiert wird, mache Energiegemeinschaften auch zu einer sozialen Aktivität, sagt Paul Kauten. „In den Gemeinschaften geschieht etwas.“ Schon jetzt: „Früher kamen zu Energie-Informationsveranstaltungen nur ältere Männer. Frauen und Jüngere generell fehlten. Heute kommen alle. Vielleicht sollten wir mal untersuchen lassen, wieso.“

Doch es ist nicht das, was E-Community „Pilot-Charakter“ gibt. Sondern, dass getestet werden soll, wie Produktion und Verbrauch von Strom sich so koordinieren lassen, dass im Angebot wie in der Nachfrage möglichst wenige Spitzen entstehen.Wird das Angebot zu groß, kommen auf die Stromproduzenten entweder zeitweilig negative Preise zu. Dann müssen sie dafür bezahlen, dass ihr Strom über das große Netz irgendwo einen Abnehmer findet. Oder eine Anlage muss für eine Weile abgeschaltet werden. Wird dagegen die Nachfrage zu groß, muss Strom zugekauft werden, wahrscheinlich im Großhandel über die für Luxemburg und Deutschland gemeinsam zuständige Strombörse. Das kann teuer werden. Dass die E-Community mit dem Beckericher Versorger Energy Revolt in Verbindung steht, der die Anliegen der Gemeinschaft teilt und am Windrad Um Bierg beteiligt ist, ändert daran nichts. Marktpreis ist Marktpreis.

Die Abhängigkeit vom großen Markt mit hohen Börsenpreisen oder Negativpreisen bei zu viel Angebot zu lindern, soll einerseits die Verbindung Windstrom mit Solarstrom helfen. Zum anderen drei Batterien von je 150 Kilowatt, die das Luxembourg Institute of Technology (List) zur Verfügung stellt. Inklusive einer Software, die eine Steuerung von Produktion und Verbrauch erlaubt. Klappen kann das, weil in Luxemburg jeder Stromverbraucher über einen digitalen „intelligenten“ Zähler verfügt, der im Viertelstundentakt misst. Und seit Kurzem gibt es leneda.lu – die Internetplattform liefert Daten über jegliches Strom-Teilen. Das List will mit den Batterien in Beckerich testen, wie je nach der Verfügbarkeit von und der Nachfrage nach Strom das Nachladen der Batterien besonders wirtschaftlich wird. „Es soll dabei kein ökonomischer Verlust entstehen“, sagt Pedro Rodrigues, Chef der Abteilung Clean Energy Systems am List. So ein „Management von Spitzen in Verbrauch und Angebot“ sei mangels Daten noch an nicht vielen Orten in Europa möglich. In Luxemburg schon.

Die Erprobung der Stromversorgung der Zukunft in Beckerich wird vom Leader-Programm der EU gefördert. Da habe jeder Teilnehmer ein Ziel, erläutert Paul Kauten. „Die Niederlande zum Beispiel wollen Staus in ihren Stromnetzen reduzieren. Wir wollen die lokale Stromproduktion maximieren und intelligent managen.“ Ein weiteres Projekt, ebenfalls im EU-Rahmen, soll Elektro-Autos mit ihren Batterien als Stabilisatoren fürs Stromnetz testen. Im Fachjargon heißt das „bidirektionales Laden“. In die eine Richtung wird die Batterie aufgetankt, in die andere Richtung gibt sie Strom ans Netz ab, während sie am Ladekabel hängt und falls das Netz Strom braucht. Wie beides am besten zusammenwirken kann, soll mit Künstlicher Intelligenz gesteuert werden.

Solche „Systemkopplungen“, sagt Paul Kauten, seien für die Stromversorgung der Zukunft von enormer Bedeutung. Eine Kopplung könne zum Beispiel auch darin bestehen, das Warmwasser in einem Boiler nicht nur über eine Wärmepumpe zu heizen, sondern zusätzlich über einen Heizwiderstand im Boiler. „Der würde aktiviert, wenn viel Strom zur Verfügung steht.“ Auch Nahwärmenetze ließen sich in so eine Kopplung einbeziehen.

All das klingt ziemlich nach Start-up und Experiment, und ist es wohl auch. Doch falls sich mit digitaler Steuerung und Künstlicher Intelligenz eine dezentrale Stromversorgung aufbauen lässt, die zuverlässig funktioniert, zu guten Preisen und ohne CO2, wäre das ein immenser Schritt. Die Produktionskapazität nimmt zu. Allein die installierte Solarstromleistung nahm in Luxemburg von 394 Megawatt Ende 2023 auf 590 Megawatt dieses Frühjahr zu (ohne Unterscheidung, was das für Produzenten waren). E-Community hat geschätzt, welcher Bedarf in Beckerich sich allein vom Windrad Um Bierg decken ließe, wehte der Wind wie 2022: Die kommunalen Gebäude würden zu 86 Prozent versorgt, die Haushalte zu 72 Prozent und eine Auswahl von Betrieben zu 52 Prozent. Alles im Jahresschnitt. Womit aber lediglich 47 Prozent der Produktion verbraucht worden wären, der Rest hätte auf dem Markt verkauft werden können. Etienne Schneider hatte 2018 kommen sehen, dass dezentrale Produktion und Energiegemeinschaften die klassischen Versorger in Bedrängnis bringen. Damals wurden noch keine Batterien zur Speicherung von Strom vom Staat bezuschusst. Das ist heute anders. Und wenn voraussichtlich noch vor den Sommerferien die Solarstrom-Vorfinanzierung durch den Staat Gesetz wird, dürfte die Produktion weiter steigen. Die Zahl der Energiegemeinschaften auch.

Peter Feist
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