Ausstellung

Hitlers Hehler

d'Lëtzebuerger Land vom 05.01.2018

Ungnädig rezensierte Hildebrand Gurlitt anno 1925 eine Ausstellung: „Äußerlich war sie recht geschickt aufgemacht, innerlich aber verwirrend und ohne Einheit.“ Jetzt steht er selbst im Zentrum einer Ausstellung, die Besucher mit einer Fülle von widersprüchlichen Geschichten schier erschlägt: Die Bundeskunsthalle in Bonn zeigt rund 250 Werke aus Gurlitts Nachlass, außerdem ein paar Leihgaben, die einst durch seine Hände gegangen waren. Der rote Faden der Schau ist der Lebenslauf des schillernden Kunsthistorikers – das sorgt für Einheit, aber auch Verwirrung.

Hildebrand Gurlitt wurde 1895 in Dresden in eine Familie von Künstlern und Wissenschaftlern geboren. Als Museumsdirektor in Zwickau organisierte er ab 1925 Ausstellungen von Pechstein, Heckel und anderen Avantgardisten; 1930 wurde er vom „Kampfbund für deutsche Kultur“ vertrieben. Darauf leitete er den Kunstverein Hamburg, bis Nazis ihn 1933 auch dort rauswarfen. Gurlitt machte sich als Kunsthändler selbständig. Wegen einer jüdischen Großmutter als „Mischling“ eingestuft, überschrieb er seine Galerie vorsichtshalber seiner Frau. Sein mit einer Jüdin verheirateter Bruder wurde von der Universität Freiburg entlassen.

Wieso diente Gurlitt sich dann trotzdem erfolgreich der NS-Kulturpolitik an? Das ist bis heute ein Rätsel. Ab 1937 war er jedenfalls einer von vier Kunsthändlern, die für das Nazi-Regime „entartete“ Kunst verwerteten, also „jüdische“ oder allzu moderne Werke aus deutschen Museen ins Ausland verkauften. Unter der Hand handelte er dabei auch mit deutschen Sammlern, zweigte auch schon mal etwas für sich selbst ab. Die leeren Museumssäle mussten gefälliger wieder gefüllt werden, wobei Gurlitt ebenfalls behilflich war. Ein Konkurrent war dabei übrigens sein Cousin Wolfgang, ebenfalls Kunsthändler, der bei der „Säuberungsaktion“ den Grundstock für das heutige Lentos-Museum in Linz zusammentrug.

Die bizarre Karriere ließ sich noch toppen. Hitler, der besonders Rubens, Makart und Spitzweg schätzte, plante an der Donau ein eigenes Kunstmuseum. Als Chef-Einkäufer für den „Sonderauftrag Linz“ zog Gurlitt ab 1943 durch das von den Deutschen geplünderte Europa, vor allem Frankreich, Belgien und Holland. Geld oder Reisebeschränkungen spielten bei der Schnäppchen-Jagd keine Rolle; Gurlitt hatte aber auch nichts gegen Zwangswechselkurse oder Zwangsverkäufe von NS-Opfern. Die Provisionen brachten ihm ein Vermögen ein; nebenbei erwarb er auch für sich selbst Kunst aus dubiosen Quellen.

Nach dem Krieg präsentierte sich Gurlitt als Märtyrer und Kulturgut-Retter; seine Tätigkeit im Dritten Reich sei ein nervenaufreibender „Seiltanz“ gewesen. Erben von NS-Opfern wimmelte er ab. Den Alliierten machte er weis, seine Geschäftsbücher seien verbrannt – tatsächlich waren sie allenfalls frisiert. Bald gaben ihm die Amerikaner zunächst beschlagnahmte Kunstwerke zurück. Im „Führer-Auftrag“ gewonnene Kontakte verhalfen Gurlitt ab 1948 zu einer neuen Karriere als Leiter des Kunstvereins Düsseldorf. Bis zu seinem Unfalltod im Jahr 1956 organisierte er Ausstellungen, gerne auch mit eigenen Beständen.

Später geriet Gurlitts Sammlung in Vergessenheit. Sein Sohn Cornelius lebte zurückgezogen in München; ab und zu verkaufte er ein Stück, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Vor vier Jahren skandalisierten dann Steuerfahndung und Medien die zwielichtige Kollektion zum „Nazi-Schatz“. Im Jahr 2014 erbte sie das Kunstmuseum Bern. Tatsächlich übernommen haben die Schweizer bislang nur „entartete“ Kunst: Was aufgrund eines NS-Gesetzes von 1938 „legal“ aus Museen entfernt wurde, kann heute nicht mehr zurückgefordert werden. Von diesen Werken werden gerade 220 im Kunstmuseum Bern gezeigt.

In Bonn dagegen sind vor allem Gemälde, Skulpturen und Grafiken zu sehen, deren Herkunft noch überprüft werden muss. Der Begriff „Sammlung“ passt dafür nicht recht. Es ist der Lagerbestand eines Kunsthändlers, der für jeden Geschmack bekannte Namen anbot: von Cranach bis Barlach, von Dürer bis Picasso, japanische Holzschnitte und französische Impressionisten. Das prominenteste Gemälde ist Waterloo Bridge von Monet. Am häufigsten sind Liebermann und Daumier vertreten. Ein Schwerpunkt sind auch Arbeiten der eigenen Familie: Landschaften von Louis Gurlitt, 19. Jahrhundert und von NS-Größen gerne gegen Avantgarde getauscht, aber auch expressionistische Bilder von Cornelia Gurlitt, die sich 1919 umbrachte.

Bei jedem Exponat ist nachzulesen, was bislang zur Provenienz herausgefunden wurde. Eindeutig als Raubkunst erkannt wurden bisher sieben Werke. Ein Beispiel ist ein Damenporträt, das Georges Mandel (geb. Rothschild) gehört hatte, dem antinazistischen ehemaligen französischen Innenminister, der 1944 ermordet wurde. Zeitleisten und Fotografien, Biografien von Künstlern, Sammlern und Kunsthändlern vermitteln den historischen Kontext. Wenn das nicht reicht, kann man sich in Entnazifizierungsakten und Briefe, Dokumente und Verzeichnisse vertiefen.

Mit der Schau in der Bundeskunsthalle will die deutsche Regierung demonstrieren, wie ernst sie das Thema Restitution nimmt und was ihr neues „Zentrum Kulturgutverluste“ leistet. Das Herumstochern in alten Geschichten gefällt aber nicht allen. Selbst abgesehen von NS-Verbrechen ist der Blick hinter die Kulissen des Kunsthandels unappetitlich: Tricksen und Fälschen, Lügen und geradezu habituelles Betrügen. Das Interesse für Provenienzfragen könnte jetzt dazu führen, dass eine breitere Öffentlichkeit auf Verjährungsfristen, Zoll-Freilager und das „gutgläubige“ Ersitzen von Diebesgut aufmerksam wird. Sollen Kunsthändler etwa wie ordinäre Metzger oder Bäcker die Herkunft ihrer Ware belegen müssen? Oder gar ihre Gewinne versteuern?

Die Ausstellung in Bonn „diffamiert die hervorragende Sammlung“, jammert in der Zeitung Welt Hannes Hartung, der ehemalige Anwalt von Cornelius Gurlitt. Er fordert: „Schließt endlich das Kapitel Gurlitt!“. Die Hoffnung, die Nazi-Zeit sei so langsam endgültig durchgekaut, wird sich jedoch kaum erfüllen. Im Begleitprogramm zur Ausstellung ist für den 14. Januar eine Präsentation des Technischen Museums Wien zum Thema „Der NS-KFZ-Raub“ angekündigt. Es geht, man ahnt es schon, um den „größten Fahrzeugraub aller Zeiten“. Eine entsprechende Datenbank wird gerade aufgebaut; als nächste können sich Oldtimer-Händler, ­Auto-Museen und Motorrad-Sammler auf lästige Fragen zur Vergangenheit gefasst machen.

Der Fall Gurlitt

– 22. September 2010: Cornelius Gurlittder Sohn des Kunsthändlers Hildebrand Gurlittgerät bei einer Zollkontrolle im Zug München-Zürich ins Visier der deutschen Steuerfahndung: Er hat zwar kein deklarierungspflichtiges Bargeld dabeigibt aber anin der Schweiz Bilder verkauft zu haben.

– 28. Februar 2012: Gurlitts Wohnung in München wird durchsuchtspäter auch sein Haus in Salzburg. Rechtlich fragwürdig werden dabei 1 566 Kunstwerke beschlagnahmtdie als NS-Raubkunst verdächtigt werden.

– 3. November 2013: Die Münchner Illustrierte Focus macht den „Schwabinger Kunstfund“ publik. Sie schätzt den Marktwert des „Nazi-Schatzes“ auf eine Milliarde Euro. [Heute werden eher bloß 30 Millionen angenommen.]

– 11. November 2013: Eine von Bundesregierung und Land Bayern berufene Taskforce beginntdie Kunstwerke zu untersuchen und im Internet (www.lostart.de) zu veröffentlichen.

– 7. April 2014: Gurlittvon Journalisten belagertstimmt der Überprüfung zu. Erwiesene Raubkunst soll gemäß der Washingtoner Erklärungdie eigentlich nicht für Privatsammlungen giltrestituiert werden.

– 6. Mai 2014: Cornelius Gurlitt stirbt mit 81 Jahren in München. Sein Testament bestimmt das Kunstmuseum Bern zum Alleinerben.

– 24. November 2014: Die Schweizer nehmen die Erbschaft and.h. rechtlich einwandfreie Werke. Um umstrittene Fälle soll sich die Bundesrepublik Deutschland kümmern und dafür auch die Kosten übernehmen.

– 14. Januar 2016: Die Taskforce legt ihren Abschlussbericht vor: Sie hat fünf Werke als Raubkunst identifiziert. Die weitere Forschung übernimmt das Projekt „Provenienzrecherche Gurlitt“ des neuen Deutschen Zentrums Kulturgutverluste in Magdeburg.

– 15. Dezember 2016: Das Oberlandesgericht München weist den Einspruch von Verwandten ab und bestätigt Gurlitts Testament.

– Seit November 2017 präsentieren Ausstellungen in Bern und Bonn erstmals ungefähr ein Drittel des Kunstfunds. Für 2018 ist eine weitere große Ausstellung in Berlin geplant.

– Bislang sind zur Affäre mehr als ein Dutzend Bücher erschienenaußerdem Sonderausgaben von Zeitschriften. Maurice Philip Remy hat über Gurlitt einen verklärenden Arte-Film gedreht; der Regisseur Dominik Graf ließ sich zu dem Thriller Am Abend aller Tage inspirieren.

Bestandsaufnahme Gurlitt. Der NS-Kunstraub und die Folgen ist in Bonn noch bis 11. März 2018 zu sehen. Der gemeinsame Katalog für diese und die Berner Ausstellung ist im Hirmer-Verlag erschienen: www.bundeskunsthalle.de

Martin Ebner
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