Am Wochenende demonstrierten zwischen 15 000 und 30 000 – je nach Angaben der Polizei oder der Organisatoren – dem Aufruf der Gewerkschaften folgend gegen Krise und Sozialabbau. Am Montag stellte das Statistische Amt Statec in Beisein des Wirtschaftsministers die neusten Konjunkturdaten vor. Und die verheißen nichts Gutes. Die Luxemburger Wirtschaft wird nach Meinung des Statec 2009 um vier Prozent schrumpfen, nachdem es bereits vergangenes Jahr ein Negativwachstum von 0,9 Prozent gegeben hat. „Die schlimmste Krise seit 30 Jahren“, heißt es in der Konjunkturnote 1-2009 des Statec. Zwar soll bereits 2010 ein moderates Wachstum von einem Prozent einsetzen, wie Statec-Chef Serge Allegrezza am Montag erklärte. Und Jeannot Krecké hoffte, da Luxemburg – wie man nun weiß – als eines der ersten Länder in die Rezession abgerutscht sei, werde es vielleicht auch als eines der ersten wieder herausfinden. Letzlich waren sich Minister und Verwaltungschef aber einig: „Ein Prozent Wachstum, das bringt uns nichts.“ Demnach gibt es noch keinen wirklichen Silberstreifen am Horizont.
Die Wirkung des Konjunkturpakets der Regierung ist nach Einschätzung des Statec ebenso moderat, wie das zu erwartende Wirtschaftwachstum. Das Amt hat 13 neue Maßnahmen identifiziert, die nicht bereits in der Rede zur Lage der Nation 2008 oder bei der Vorstellung des Budgets für 2009 angekündigt worden waren, und deswegen in den Wirtschaftsmodellen bereits berücksichtigt wurden. Wenn man so will, den Kern der „neuen“ Konjunkturmaßnahmen“. Ihr Volumen: 244 Millionen Euro, ausschließlich der nicht quantifizierbaren Kosten der Kurzarbeit, ihr Wirkungsgrad auf die Wachstumsrate 2009: 0,4 Prozent. Aus haushaltstechnischer Sicht sei das Konjunkturpaket neutral, erklären die Statistiker in der Konjunkturnote.
Das liegt einerseits daran, dass von den 244 in Rechnung gestellten Millionen Euro, 74 Millionen nicht aus dem Staatshaushalt stammen, sondern aus dem Budget der Entreprises des Postes et Télécommunications – wodurch das Gesamtvolumen des staatlichen Konjunkturpakets auf 0,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts oder 170 Millionen Euro schrumpfen würde. Die hingegen würden einerseits durch 88 Millionen Euro zusätzliche Steuereinnahmen wettgemacht, sowie durch 76 Millionen Euro, die man über den Weg der sogenannten „automatischen Stabilisatoren“ einsparen würde. Ob die Luxemburger Wirtschaft in Zukunft überhaupt noch einmal an den Wachstumsrhythmus der vergangenen Jahre wird anknüpfen können, wissen die Statistiker derzeit nicht sagen. Nur dass man bei den Vorhersagen davon ausgeht, dass das Wachstumspotenzial von bislang über vier Prozent jährlich auf zwischen 2,5 bis drei Prozent zurückgeht. Es sei derzeit nicht geplant, weiteres Geld in die Wirtschaft zu pumpen, so Krecké am Montag. Davor müsse man erst einmal die Wirkung des ersten Pakets abwarten, sagte der Wirtschaftsminister. Nach den Wahlen müsse die neue Regierung auswerten, was sich im zweiten Quartal getan habe, denn untätiges Herumsitzen, das könne sich niemand leisten. Dass man die Wirkung der erst kürzlich im Parlament beschlossenen Unternehmensbeihilfen frühestens in der zweiten Jahreshälfte erkennen könne, musste aber auch Krecké zugeben.Große Sorgen bereitet die zunehmende Arbeitslosigkeit. Die Entwicklung am Arbeitsmarkt hinkte der Wirtschaftsentwicklung bislang immer etliche Quartale hinterher. Das, befürchten die Statistiker, sei nun vorbei. Denn im Dezember war die Arbeitslosenrate sprunghaft angestiegen, im Jahresvergleich stieg die Zahl der Arbeitsuchenden im März 2009 von 5,6 auf 6,6 Prozent. Zudem melden die Arbeitgeber seit Mitte 2008 der staatlichen Jobagentur Adem viel weniger freie Stellen. Zwischen Oktober 2008 und Januar 2009 verloren 5 000 Zeitarbeitskräfte ihre Anstellung. Überhaupt rücken die Beschäftigungsziele, die sich die EU-Länder im Rahmen der Lissabon-Strategie gegeben haben, für Luxemburg in immer weitere Ferne.
Wenn die Beschäftigung in Luxemburg insgesamt auch im ersten Quartal 2009 weiter zugenommen hat (plus drei Prozent); das Statec rechnet mit weitreichenden Folgen der negativen Arbeitsmarktentwicklung – auch demographischer Natur. Im vergangenen Jahr hieß Luxemburg 7 000 neue Immigranten willkommen – 2010 würden es nur noch knapp 1 000 sein. Zudem drohe die Beschäftigungsquote der Frauen aufgrund der schwierigen Arbeitsmarktbedingungen in den kommenden Jahren zu stagnieren. Ein weiteres Fragezeichen steht hinter dem Verhältnis zwischen Einwohnern und Grenzgängern auf dem Arbeitsmarkt. Bislang hätten Grenzgänger zwei Drittel aller neuen Stellen besetzt und das werde wohl auch in absehbarer Zukunft so bleiben. Auch wenn die Grenzgänger durch ihre proportional höhere Präsenz in den betroffenen Branchen – so verlangsamt sich der Beschäftigungszuwachs unter den in Luxemburg angestellten Grenzgängern 2008 und 2009 und stagniert 2010 – bislang härter von der Krise getroffen wurden, werde es ihnen insgesamt besser ergehen als den in Luxemburg ansässigen Arbeitnehmern. Die müssten sich im kommenden Jahr nicht nur auf eine Stagnation der Beschäftigtenzahlen, sondern auf deren Rückgang gefasst machen. Da vor allem die Luxemburger Arbeitnehmer Schwierigkeiten haben, sich auf dem Arbeitsmarkt durchzusetzen – von den zwischen März 2007 und März 2008 neugeschaffenen 17 095 Arbeitsplätzen konnten sie nur 1 250, also 7,3 Prozent besetzen – wird die Arbeitslosigkeit auf nie dagewesene Niveaus ansteigen. Dieses Jahr und nächstes Jahr um jeweils 1,1 Prozent, sagen die Statistiker.
Das droht auch zum Problem für die Staatsfinanzen zu werden – sinkende Beschäftigungsraten bedeuten ein geringeres Steueraufkommen. Im vergangenen Jahr, das noch mit einem Haushaltsüberschuss von 2,6 Prozent oder 944 Millionen Euro abgeschlossen werden konnte, zahlten Privatleute und Haushalte 3,033 Milliarden Euro an Einkommenssteuer, im Vergleich zu Steuereinnahmen von 10,024 Milliarden Euro insgesamt. Dass das Jahr 2008 mit einem Überschuss abgeschlossen wird, der doppelt so hoch ist, als man das noch zu Anfang besagten Jahres erwartete, liegt an der positiven Entwicklung der Einkommenssteuereinnahmen. Über sechs Milliarden Euro gab der Staat vergangenes Jahr für soziale Transfers und Leistungen aus, mit über 41 Prozent der Gesamtausgaben war das der größte Ausgabenposten überhaupt. Ob das alle wussten, die am Samstag gegen den Sozialabbau auf die Straße gingen? Oder ob sie sich befürchten, angesichts der Leere, die in den kommenden Jahren in der Staatskasse breitmachen wird, könnten die Sozialausgaben gekürzt werden? „Wir müssen verhindern, dass das Land in eine soziale Krise hineinschlittert“, so der Wirtschaftsminister vorsorglich am Montag. Dass die Kassen mehr als leer sein werden, daran gibt es allerdings keine Zweifel. Beim Statec geht man fürs laufende Jahr von einem Haushaltsdefizit von 2,3 Prozent aus, für 2010 wird ein Defizit von 4,2 Prozent befürchtet. Gegenüber der Zentralbank, die es für möglich hält, dass Luxemburg schon dieses Jahr die Maastricht-Kriterien nicht mehr schafft, ist das noch optimistisch.
Angesichts der neuerlich niedrigen Inflationsrate und der im März erfolgten Indextranche stehen jene, die in Lohn und Brot sind, im Gegensatz zu denen, die ihren Job verloren haben oder kurzarbeiten müssen, umso besser da. Von Kaufkraftverlust, wie er bei der Demo am Samstag auf Plakaten angeprangert wurde, kann für sie keine Rede sein. Und das versuchte auch Krecké am Montag hervorzuheben. „Der gefühlte Kaufkraftverlust und die Wirklichkeit klaffen weit auseinander“, so Krecké. Angesichts historisch niedriger Verbrauchervertrauenswerte keine gute Situation, weil die Verbraucher riskieren, ihr gesamtes Vermögen auf die hohe Kante zu legen, anstatt es bei Handel und Handwerk auszugeben. Die Geldentwertung lag 2009 bislang bei nur 0,5 Prozent, die Arbeitnehmer haben hingegen im März die Mitte vergangenes Jahr fällig gewordene Indextranche erhalten. Die Steuergeschenke der Regierung tragen desweiteren dazu bei, die Kaufkraft der Verbraucher zu erhöhen, schreiben die Experten. Das verfügbare Einkommen steige 2009 um 2,2 Prozent, zwischen 1990 und 2007 sei es im Jahresschnitt um zwei Prozent gestiegen. Die Preisentwicklung wird schon allein aus technischen Ursachen Mitte dieses Jahres in eine Deflation umschlagen, da im Sommer 2008 der Ölpreise auf Höchstniveau stieg und Teuerungsrate nach sich zog. Auch 2010 soll sich die Preisentwicklung mit zwischen 1,5 und 2,0 Prozent, zumindest nach Definition der Europäischen Zentralbanken, noch im Bereich der Preisstabilität bewegen.
Das Luxemburger Inflationsproblem, über das sich Arbeitnehmer wegen des angeblichen oder tatsächlichen Kaufkraftverlustes einerseits, und Arbeitgeber wegen des ebenso umstrittenen Verlustes an Wettbewerbsfähigkeit ihrer Unternehmen andererseits beschweren, sei damit aber nicht gelöst, warnte der Wirtschaftsminister. Die Kerninflationsrate oder hausgemachte Inflation, aus der die Entwicklung der Energiepreise herausgerechnet ist, sei weiterhin bedrohlich hoch, so der Wirtschaftsminister. „Wenn darüber hinaus die Ölpreise wieder steigen, steigt auch die Inflation wieder an.“ Deswegen müsse die Regierung ihr Programm zur Bekämpfung der Geldentwertung fortsetzen. „Der Kampf gegen die Inflation ist noch nicht gewonnen“, fügte Krecké hinzu.