Nachdem sie den Konjunktur-Flash des statistischen Amts Statec gelesen hatte, sprang die Führung des Luxemburger Christlichen Gewerkschaftsbunds vergangene Woche nicht gerade zimperlich mit dem sozialistischen Wirtschaftsminister Jeannot Krecké um: „Der LCGB Exekutivvorstand kommt zur Schlussfolgerung, dass die Inflationsentwicklung in Luxemburgimmer noch nicht im Griff ist.“ Dabei habe Krecké vor einem Jahr von der Tripartite den Auftrag erhalten, Programme zur Inflationsbekämpfung vorzulegen. Aber „wo bleiben dieseProgramme? Sie wurden weder ausgearbeitet, noch sieht man an derPreisentwicklung,dass irgendeine Initiative seitens des Wirtschaftsministers gekommen wäre. Es scheint hier am notwendigen Willen zu fehlen!“
Natürlich gehört der rüde Ton der christlichen Gewerkschafter zum derzeitigen Stellvertreterkrieg zwischen den beiden Koalitionsparteien. Die LSAP hatte die wirre Reaktion von CSV-Justizminister Luc Frieden auf einen Gefängnisausbruch kritisiert und beanstandet, dass CSV-WohnungsbauministerFernand Boden sich seit Jahren der Tatenlosigkeit schuldig mache. Worauf CSV-Premier Jean-Claude Juncker sozialistische und liberaleUmweltminister für die Klimakatastrophe verantwortlich machte, und nun der LCGB den LSAP-Wirtschaftsministerangreift – der im Kampf gegen die Inflation lediglich die LCGB-Konkurrenz OGB-L um Rat gefragt hatte...
Aber es ist auch wahr, dass die Tripartite im April vergangenen Jahres freiwillige Abmachungen zur Preisdämpfung in ausgewählten Branchen und Preisvergleiche in der Großregion beschlossen hatte. Doch bereits damals waren sich die meisten Tripartiteteilnehmereinig, dass es sich zuerst um politische Absichtserklärungenals Gegengewicht zu den gleichzeitig beschlossenen Indexmanipulationen handele, ihre Auswirkungen auf dasPreisniveau aber beschränkt bleiben dürften.Wirkungsvoller ist da die begonnene teilweise Desindexierung staatlicher Lieferverträge. Empfohlen worden war auch der vorsichtige Umgang mit Gebührenerhöhungen und die Umgehung des preistreibendenPrinzips der Generalvertretungen für Belgien und Luxemburg.Aber da wird die praktische Umsetzung schon schwieriger.
Ein Jahr nach dem Tripartitebeschluss ist die „hausgemachte Inflation“, die 2005 bei 1,8 Prozent lag, auf 2,1 Prozent vergangenes Jahr gestiegen und soll laut Statec dieses Jahr fast 2,5 Prozent erreichen. Der Vorgang war in der Inflationsrate teilweise vom Rückgang der Erdölpreise verdeckt worden.
Am Montag versuchte der Minister nun, sich in einer längeren Erklärung zu rechtfertigen: Seit Mai vergangenen Jahres habe er Gespräche mit dem Verbraucherschutzverband, dem Handelsverband und dem OGB-L geführt, um einen Aktionsplangegen eine übertriebene Inflation auszuarbeiten. Außerdem verfolgedie Regierung „une politique prudente en matière d’adaptationdes ‘prix administrés’“. Doch Krecké steckt in einer unbequemenLage: Er möchte gleichzeitig zeigen, wie resolut er die Inflationbekämpft, und zugeben, dass er machtlos ist, weil nicht die Regierung, sondern die Unternehmen die Preise festlegen. Seit der Abschaffung des Preisamts gibt es außer dem Erdöl, den Arzneien und Taxifahrten kaum noch privatwirtschaftlich gehandelte Waren und Dienstleistungen, deren Preise vom Staat beschränktwerden. Auch die automatischen Indexanpassungen könnenkaum noch als Preistreiber verantwortlichgemacht werden, seit die Tripartite ihre Manipulation beschloss. Hatte sich nicht schon Kreckés liberaler Vorgänger Henri Grethen gewünscht, dass die unsichtbare Hand des Marktes jeden Wirtschaftsminister überflüssig macht?
Die von der Tripartite beschlossenen Rezepte spiegeln diese Widersprüche wider und sehen deshalb eher nach Verlegenheitslösungen aus, die kaum mehr als einen Placeboeffekt haben dürften. So sollen etwa die Gebühren von Staat und Gemeinden erhöht werden, um die Staats- und Gemeindefinanzenzu sanieren, kostendeckend zu werden und die Umwelt zuschonen. Doch gleichzeitig sollen sie, auch auf Wunsch der Tripartite, niedrig bleiben, um die Inflation nicht anzuheizen. Dass sie zur Not aus dem „nationalen“ Index genommen werden,neutralisiert ihre Auswirkungen auf die Inflation nicht. Bei ihren Unterredungen mit verschiedenenWirtschaftsverbänden habensich Krecké und sein CSV-Kollege Fernand Boden vom Mittelstandsministerium bisher nur höfliches Interesseeingehandelt. Freiwillige Verzichtserklärungen auf Preiserhöhungenverlangt jedes Unternehmen aber lieber von der Konkurrenz.Angesichts des winzigen Luxemburger Marktes sind nur wenige Produzenten daran interessiert, auf die Belieferung belgisch-luxemburgischer Generalvertretungen zu verzichten.Die für die Inflationsbekämpfung ohnehin ziemlich überflüssige Preiserhebung in der Großregion zeigt, dass Lebensmittel und Hygieneartikel gerade ein Prozent teurer als in denNachbarländern sind, also kein Grund zur Panik zu bestehen scheint. Aber vielleicht kann sich Jeannot Krecké damit trösten, dass eigentlich für die Geldwertstabilität gar nicht er, sondern die Zentralbank zuständig ist.