Weil er schließlich auch Sprecher der Eurogruppe ist, hatte es sich Premier Jean-Claude Juncker vergangene Woche nicht verkneifen können, eine modische Vokabel aufzugreifen und zu warnen, dass das Luxemburger Sozialmodell im Herbst einem „Stresstest“ unterzogen werde. Doch leider für den Premier, wie für die meisten anderen Beteiligten, hinkt auch dieser Vergleich. Denn mit Stresstests wurde in den letzten Monaten die Belastungsfähigkeit von Banken in Krisensituationen simuliert; die für den Herbst angekündigte Belastung des Sozialmodells wird aber nicht simuliert, sondern dürfte ganz real werden.
Nachdem der Premier die Tripartite im Frühjahr abgebrochen hatte, einigten sich CSV und LSAP darauf, mangels politischer Alternativen ihre Koalition zu retten und die Koalitionskrise um eine erneute Indexmanipulation bis in den Herbst aufzuschieben. Ein LSAP-Kongress war sogar bereit, die „Warnleuchten“ im Index-Gesetz von 1984 zu ändern, ohne dass er richtig wusste, wie ihm geschah. Um das Gesicht gegenüber seinen Wählern und seiner Partei zu wahren und weil er den Unternehmern irgendwie im Wort stand, kündigte Jean-Claude Juncker dann sogar leichtfertig an, im Herbst die Tripartite erneut zusammenzurufen, inzwischen eben auch Stresstest genannt.
Doch in Wirklichkeit wird den meisten Beteiligten, und der Regierung zuerst, ziemlich mulmig bei der Vorstellung, im Herbst wieder Tripartite-Verhandlungen führen zu müssen. Denn so lange kein Mittel gefunden ist, um den Riss zwischen Unternehmern und Gewerkschaftern zu kitten, läuft die Tripartite Gefahr, das Fiasko vom Frühjahr zu wiederholen, und dann setzt sich der Riss auch wieder durch die Koalition fort. Derzeit gibt es aber keine Anzeichen dafür, dass Gewerkschaften und Unternehmer sich aufeinander zu bewegen, wieder an die Heilkraft der Tripartite glauben und diese wollen beziehungsweise brauchen. Anders als manche blauäugigen Kommentatoren sind sie sich bewusst, dass es, Stresstest hin oder her, nicht um die Zukunft des Sozialmodells, sondern der Lohnquote geht.
Die Salariatskammer und die Fonction publique versuchen weiterhin mit gemeinsamer Feuerkraft, den Nachweis zu erbringen, dass die Konjunktur genest, die Inflation kein Thema und eine Tripartite-Runde also überflüssig ist. Die Unternehmer überlegen lautstark, nach dem Wirtschafts- und Sozialrat und der Gesundheitskasse mangels Erfolg auch die Tripartite zu boykottieren. Und bei CSV und LSAP scheinen sich jene, die keinen Grund für eine Index-Debatte erkennen, und jene, die eine sofortige Indexmanipulation ohne sozialpartnerschaftlichen Klimbim verlangen, zumindest in der Einschätzung einig, dass die Herbst-Tripartite eine Schnapsidee ist.
Deshalb gibt es genug wohlmeinende Ratschläge in der Koalition, dass es am besten wäre, die versprochene Tripartite, wenn sie schon sein muss, wenigstens so weit wie möglich hinauszuzögern – schließlich dauert der Herbst bis zum 21. Dezember. Auch wenn Zweifel daran bestehen, dass dem Premier bis dahin gelingen wird, was ihm im Frühjahr misslang: in Vorgesprächen mit UEL und OGB-L Verhandlungskompromisse vorzubereiten. Nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft scheint also, wenn auch aus unterschiedlichen oder gar entgegengesetzten Gründen, keiner der Beteiligten eine erneute Tripartite-Runde so richtig zu wollen. In einem solchen Fall, so hat ein großer Wiener Arzt herausgefunden, übernimmt dann das Unterbewusste den Rest und sorgt zuverlässig für eine Fehlleistung.