Im Prozess um Korruption und Unterlagenfälschung zwecks Erschleichung von Handelsermächtigungen im Handwerk und dem Gaststättengewerbe (d’Land, 09/2017) stellte die Staatsanwaltschaft am Donnerstag nach erstaunlich wenigen Prozesstagen ihre Schlussanträge vor. Die zuständige Substitutin forderte sieben Jahre Haft für Joseph L. und für José Antonio S., fünf Jahre Haft für Jean B., jeweils vier Jahre Haft für Teresa S. und Adelia de C, jeweils drei Jahre Haft für Simone B. und für Raymond S. sowie zwei Jahre Haft für Rosa C.1 Sie verlangte darüber hinaus Geldstrafen und die Beschlagnahmung der bei Joseph L. gefundenen Summe von fast einer halben Million Euro.
In den Tagen zuvor hatten die Verteidiger vor allem Freisprüche verlangt und für die Angeklagten, die geständig sind – Joseph L., José Antonio S. und Teresa S. – gefordert, dass die langen Prozeduren bei der Festlegung des Strafmaßes berücksichtigt werden. Ein Zugeständnis, das laut Substitutin der Staatsanwaltschaft bereits erfolgt sei.
Es kommt eher selten vor, dass Mitarbeiter einer öffentlichen Verwaltung wegen passiver Korruption vor Gericht gestellt werden. Eine der Ursachen dafür ergab sich aus dem Verteidigungsplädoyer von Benoît Entringer für Simone B.. Sie gibt zwar zu, Joseph L. behilflich gewesen zu sein, indem sie die Genehmigungsanträge seiner Kunden bei sich zu Hause entgegennahm, sie im Ministerium ins System eingab und für ihn die Genehmigungsbestätigungen aus den Akten nahm, damit Joseph L. damit den Saldo bei seinen Kunden eintreiben konnte. Aber das Geld, das Simone B. von ihm erhalten hat, will sie als Familienmitglied von ihm bekommen haben, zur Hochzeit. Von der Unterlagenfälschung will sie nichts gewusst haben, obwohl ihr netter Onkel ausgesagt hat, ihr 1 000 Euro pro Genehmigung gegeben zu haben.
Entringer legte am Mittwoch die Gesetzeslage in punkto Korruption vor der von der Staatengruppe gegen Korruption (Greco) geforderten Reform von 2011 aus. Vor dieser Reform, also zu der Zeit, in dem der Handel mit falschen Unterlagen florierte, sei es notwendig gewesen, einen direkten Zusammenhang zwischen einer Schmiergeldzahlung und der dafür erbrachten Gegenleistung zu belegen, damit der Tatbestand der Korruption erfüllt sei. Was, als Entringer das so ausführte, in etwa so klang, als ob Bestecher und Bestochener ihren Handel in einem notariell besiegelten und bei der Einregistrierungsbehörde hinterlegten Vertrag festhalten mussten, damit ihnen vor 2011 Korruption nachgewiesen werden konnte. Me Entringer fuhr fort, seine Mandantin habe nie Geld von Joseph L. für ihre Dienste verlangt und sei sich des Zusammenhangs zwischen den Geldschenkungen von Joseph L. und den von ihr erbrachten Diensten nicht bewusst gewesen, weil sie in dem völlig „destrukturierten“ Ministerium gesehen habe, wie Dossiers gehandhabt worden seien. „Elle a fait exactement comme Monsieur [Albert F.].“ Da allerdings beißt sich die Katze in den Schwanz. Denn wie sich vergangene Woche während des Prozesses herausstellte, soll im Ministerium jeder gewusst haben, dass Albert F. korrupt gewesen sei. „Faire exactement comme Monsieur F“, hieße also genau das, was Simone B. abstreitet: bestechlich zu sein.
Das ist auch nicht ganz unwichtig, wenn es darum geht, was Raymond S. gewusst oder nicht gewusst haben kann. Sein Anwalt Frank Wies führte ins Feld, sein Mandat sei es schließlich gewesen, der mehrfach gewarnt habe, mit denen von der Buchhaltungsfirma von Adelia de C. eingereichten Anträgen stimme etwas nicht. Es wäre ja dumm von seinem Mandanten gewesen, darauf hinzuweisen, wenn er selbst mit Joseph L. in einem Boot gesessen hätte. Andersherum lautet die Frage, wie dumm Raymond S. hätte sein müssen, um nicht zu bemerken, dass die Dossiers seines Bekannten Joseph L. nicht in Ordnung waren. Erstens kannte Raymond S. Joseph L. nicht nur von der Hochzeit von Simone B., sondern auch als Bekannten des als korrupt berüchtigten Albert F.. Zweitens reichte Joseph L. deutlich mehr Anträge ein, als die Buchhaltungsfirma von Adelia C. Auf letztere konnten die Ermittler rund 20 „falsche“ Handelsermächtigungen zurückführen. Vom Netzwerk Joseph L. sind 65 bekannt, also rund dreimal so viele, die darüber hinaus immer perfekt vorbereitet und komplett waren. Das war für Anträge im Handwerksbereich höchst außergewöhnlich und deshalb verdächtig. Dennoch will es Raymond S., anders als bei den Anträgen aus der „portugiesischen“ Buchhaltungsfirma, nicht aufgefallen sein.
Die Verteidigung von Simone B. und Raymond S. versuchte in ihren Anträgen geltend zu machen, dass beide keine Entscheidungskraft zur Genehmigung eines Antrags für eine Handelsermächtigung hatten, also kleine Rädchen im System und deshalb von beschränktem Nutzen für Joseph L. gewesen seien.
Weder Simone B. noch Raymond S. hatten ein Stimmrecht in der konsultativen Genehmigungskommission und wenn insgesamt 300 „falsche“ Genehmigungen ausgestellt wurden, Joseph L. davon aber nur 65 eingereicht haben soll, kamen davon viele ohne sein Zutun und das seiner Bekannten im Ministerium zustande.
Dass sie Joseph L. dennoch wertvolle Dienste erbringen konnten, ergibt sich aus der Betrachtung anderer Fälle. So wie der Fall eines Berufsfahrers, der sich als Transporteur selbstständig machen wollte und falsche Unterlagen von der portugiesischen Industriekammer (CIP) über ein anderes Netzwerk bestellte. Er zahlte dafür 3 000 Euro und erhielt daraufhin eine Handelsermächtigung für ein Taxiunternehmen, die er nicht gebrauchen konnte. Für den Mittelsmann drohte das, ungemütlich zu werden, denn der unzufriedene Fahrer wollte sein Geld zurück. In den Dossiers von Joseph L. sollen Qualifikationen und Berufserfahrung immer perfekt auf die beantragten Handelsermächtigungen abgestimmt gewesen sein, um solchen Missgeschicken vorzubeugen.
Bereits im November 2013 erging das Urteil gegen den findigen Mittelsmann, der Unternehmergeist und ein Gespür für Marketing bewies, indem er in der Wochenzeitung Contacto eine Anzeige mit Telefonnummer unter dem Stichwort „Handelsermächtigungen“ geschaltet hatte, und wie José Antonio S. Kontakt zu CIP-Mitarbeiter Manuel P. pflegte. Er soll einem Bekannten, wie es im Urteil heißt, „en un laps très bref“ zu einer Handelsermächtigung verholfen haben, vier Monate vergingen zwischen Antrag und Ausstellungen. Das konnte Joseph L. mithilfe seiner Kontakte im Ministerium schneller erledigen.
Aus diesem Urteil geht auch hervor, welch wichtige Rolle Manuel P. in der ganzen Sache spielte. Er war es, der den Mittelsmann mit der Anzeige im Contacto aufforderte, Kunden in seine Richtung zu schicken. Wie sich aus seiner Anhörung sowie der des Präsidenten der portugiesischen Industriekammer ergab, ging Manuel P. dort 2006 in Rente, arbeitete aber ein paar Stunden monatlich dort weiter. Zeit genug, die Formulare vorzubereiten, die er den ihm vertrauenden Zeichnungsberechtigten vorlegte. Ob Manuel P., 2006 im Rentenalter, je vor Gericht gestellt wurde, obgleich die portugiesische Polizei bei ihm ein komplettes Register der Kunden fand, für die er Unterlagen gefälscht hatte, weiß in Luxemburg weder die Polizei noch die Staatsanwaltschaft. Genauso verhält es sich mit dem Mittelsmann, der für das Netzwerk von Joseph L. und José Antonio S. irgendwann Blanko-Zertifikate bei der zentralen Druckerei kaufte und mit der Fälschung der Luxemburger Sozialversicherungszertifikate geholfen haben soll.
Von den Haltern der 300 falschen Handelsermächtigungen haben laut Angaben der Justiz mittlerweile 50 ihren Prozess hinter sich. Aber auch das ist eine Schätzung. Aus einem dieser Urteile geht hervor, dass Manuel P. bereits 1999 falsche Zertifikate für Luso-Luxemburger in Lissabon ausstellte. Den weiteren Drahtzieher, der Kontakt zu Manuel P. hatte und bei ihm Zertifikate für andere Bekannte bestellte, verurteilte das Gericht zu 30 Monaten Haft und einer Geldstrafe von 2 500 Euro. Wegen der langen Fristen setzten sie die Haftstrafe integral auf Bewährung aus.
Dass es bis zu den Verhandlungen so lange gedauert hat, liegt einerseits daran, dass es sowohl der Kriminalpolizei als auch der Staatsanwaltschaft an Personal fehlt, um Finanz- und Wirtschaftsdelikte zu untersuchen. Und andererseits an der hohen Zahl von Verdächtigen und Zeugen, die verhört wurden: rund 400, von denen, wie die Substitutin erklärte, viele nur vier Jahre die Schule besuchten. Wenn die Verteidigung in diesem Prozess immer wieder betonte, die Rechtssache sei nicht besonders komplex und die langen Fristen deshalb unerklärlich, gilt das nur bedingt, wenn wie Benoît Entringer verlangt, jeweils der „Bestechungspakt“ ermittelt werden musste, um den Tatbestand der Korruption festzustellen. Darüber hinaus legte José Antonio S. erst 2011 ein umfassendes Geständnis ab über die Blanko-Zertifikate und die Produktion falscher Unterlagen auch ohne Hilfe von Manuel P. von der CIP. Vier Jahre, nachdem die Sache aufflog. In der Zwischenzeit bleibt die Feststellung, dass eine Gruppe von Leuten die Situation portugiesischer Einwanderer mit wenig Schulbildung ausgenutzt haben, um sich auf ihrem Rücken zu bereichern.
Der vorsitzende Richter erklärte er, er werde „versuchen“ bis zu 4. Mai ein Urteil zu erstellen. Bis dahin gilt die Unschuldsvermutung.
Joseph L. ist Hauptangeklagter in diesem ProzessCousin der Mutter der ebenfalls angeklagten Simone B.der er via seinen Bekannten Albert F.früherer Mitarbeiter des Mittelstandsministeriumseine Stelle verschaffte.
José Antonio S.ehemaliger Kneipenbesitzer in Kaylsoll für Joseph L. Kontaktmann zwischen den portugiesischen Antragstellern für eine Handelsermächtigung einerseitsund zum CIP-Mitarbeiter Manuel P. andererseitssowie später zu einem anderen Unterlagenfälscher in Portugal gewesen sein.
Jean B.Buchhalter aus Diekirch soll seine Mitarbeiterin Teresa S. angeleitet habenfalsche Unterlagen auszufüllen und somit Teil des Netzwerkes von Joseph L. gewesen sein.
Teresa S. soll selbst „Kunden“ angeworben aber auch im Auftrag von ihrem Arbeitgeber Jean B. und José Antonio S. Unterlagen ausgefüllt haben.
Simone B. nahm die Anträge der Kunden ihres Verwandten Joseph L. in Empfanggab sie ins System ein und übergab Joseph die Bestätigungen der genehmigten Handelsermächtigungendamit er den Saldo bei den Antragstellern einkassieren konnte.
Raymond S. war im Mittelstandsministerium mit der Prüfung der Anträge beauftragtdiente als membre-expert der konsultativen Kommission für Handelsermächtigungen. Als solcher soll er Joseph L. geholfen habenindem er die von ihm eingereichten Anträge selbst und prioritär bearbeitet und ihm ebenfalls Genehmigungsbescheide übergeben haben soll.
Adelia de C. soll über ihre Buchhaltungsfirma ebenfalls Anträge mit gefälschten Unterlagen eingereicht haben. Sie hatte zur Aufdeckung beigetragennachdem ein Genehmigungsantrag mit falschen Angaben für ihren Sohn im Mittelstandsministerium einging und sie in einem Gespräch im Ministerium Joseph L. erwähnte. Ihr Sohn wohnt mittlerweile in Brasilien.
Rosa C. über eine weitere Buchhaltungsfirma ebenfalls Anträge mit falschen Unterlagen vorbereitet haben.
Albert F.vergangenes Jahr verstorbenhatte jahrelang Zeichnungsgewalt für die Handelsermächtigungen im Mittelstandsministerium. Während der Untersuchung und während des Prozesses bestätigten eine ganze Reihe seiner ehemaligen Arbeitskollegen ihren Verdachter sei bestechlich gewesen (d´Land09/2017).