An einem kalten Januartag, ganz am Anfang des Wahljahres 2009, just nachdem erneute Schreckensmeldungen über Stellenverluste in der Automobilbranche gefallen waren, blies der damalige Arbeitsminister François Biltgen (CSV) zum Angriff gegen die steigende Arbeitslosigkeit. Die klassischen Instrumente würden angesichts der sich zunehmend verschlechternden Situation nicht mehr greifen, hieß es damals. „Wir praktizieren eine aktive Beschäftigungspolitik“, gab sich Biltgen offensiv bei der Vorstellung einer neuen Waffe im Kampf gegen die Erwerbslosigkeit, dem Projekt mit dem verheißungsvollen Namen Indura, Kürzel für insertion durable. „Wir dürfen jetzt einen Fehler nicht machen, nämlich den, von der aktiven Beschäftigungspolitik abzurücken“, zitierte ihn das Lëtzebuerger Journal damals.
Durch Indura sollten erstmals Privatunternehmen in die staatlichen Jobvermittlungsmaßnahmen eingebunden werden (d’Land, 16.01.09). Leiharbeitsfirmen sollten dazu neue, separate Firmen gründen, welche von der Arbeitsagentur Adem ausgewählte Erwerbslose wieder in den Arbeitsmarkt integrieren sollten. Damit war in diesem Fall gemeint, dass die Firmen den Kandidaten nach einer persönlichen Evaluation und Betreuung einen unbefristeten Arbeitsvertrag oder zumindest einen befristeten Vertrag von zwölf Monaten Laufzeit vermitteln sollten. Gegen entsprechende Entlohnung. Bereits damals hatte sich mancher Leiharbeitsfirmenchef skeptisch über die Erfolgsaussichten geäußert – worauf Biltgen, der im Januar nichts über die genauen Modalitäten des Pilotprojektes verraten wollte, ziemlich gereizt und ungehalten reagierte. Jetzt, neun Monate später, ist es um Indura mucksmäuschenstill geworden. Denn so lautstark wie das Projekt Anfangs des Jahres beworben wurde – angelaufen ist es bisher nicht. Zwar wurde im Februar das Lastenheft an die rund 30 in Luxemburg zugelassenen Leiharbeitsfirmen verschickt und auch die Antworten darauf gingen beim Ministerium ein. Doch dann geschah – nichts.
Mit Antworten auf die Frage warum, halten sich alle Beteiligten bedeckt. Nur widerwillig äußert sich Biltgen mit dem Argument, er wolle dem neuen Arbeitsminister Nico Schmit (LSAP) nicht ins Geschäft reden. „Die Firmen warfen eine Reihe von Fragen auf, die noch vom Ministerium bearbeitet werden mussten. Vor den Wahlen wollte ich keine Position einnehmen, die später hätte strittig werden können, und sie dann einem Nachfolger überlassen“, so Biltgen, der nach den Wahlen allerdings selbst am überraschtesten war, dass er nicht sein eigener Nachfolger im Arbeitsministerium werden würde. Ein klammheimlicher Rückzug demnach, den man vor den Wahlen – Starttermin laut Lastenheft sollte der 1. Mai sein – lieber nicht an die große Glocke hängte. Nico Schmit, der seit Amtsantritt mit Hochdruck an der neuen Gesetzesvorlage gegen die Jugendarbeitslosigkeit arbeitete, hatte noch keine Möglichkeit, sich zu Indura zu positionieren. Was heißt, dass eine Entscheidung darüber, ob das Experiment mit den Leiharbeitsfirmen je zustande kommt oder nicht, noch aussteht.
Vielleicht war das begrenzte Interesse seitens der angeschriebenen Firmen eine erste Realitätsprüfung für den damaligen Arbeitsminister und die Beamten. Lediglich 12 von rund 30 Firmen antworteten überhaupt. „So wie das Projekt ausgelegt ist, ist es nicht das richtige Mittel, um auf die aktuelle Situation zu reagieren“, sagt der Leiter einer großen Zeitarbeitsfirma. Erstes Problem: Wieso richtet es sich an Leiharbeitsfirmen, wenn diese mit ihren bestehenden Strukturen nicht mitmachen können? Zu unpräzis seien die Vorgaben vom Ministerium über Natur und Inhalt des eigentlichen Auftrags.
Besonders ungewiss der Auftrag: „Accompagnement et suivi des participants pendant la durée du projet“. Den Firmen sei es überlassen, welche Mittel sie einsetzen wollen, um die Kandidaten „einstellbarer“ zu machen. Die Begleitmaßnahmen müssten von geeignetem Personal durchgeführt werden, heißt es im Lastenheft; was allerdings qualifiziertes Personal ist, müssen die Firmen selbst entscheiden – obwohl sie dessen Qualifikation belegen müssen. Zwar soll ein detailliertes Profil der Teilnehmer aufgestellt werden, fordert das Lastenheft, in dem Stärken und Schwächen aufgeführt werden, sowie ein individualisierter Entwicklungsplan, allerdings: Das Pilotprojekt soll sich nur auf die berufliche Ebene konzentrieren. Gibt es Probleme familiärer oder sozialer Natur, sollen die Betroffenen an die „zuständigen Behörden verwiesen werden“. Wie also sollen die Firmen mit Kandidaten umgehen, die beispielsweise Verhaltensschwierigkeiten oder Motivationsdefizite aufweisen? Sollen sie dafür Psychologen und Sozialarbeiter einstellen, die, wenn es sein muss, dafür sorgen, dass die Kandidaten morgens rechtzeitig und sauber zur Arbeit antreten? Gehört das zur Steigerung der „Einstellbarkeit“? Oder sind dafür die „zuständigen Behörden“ zuständig? „Man muss sich fragen, ob Leiharbeitsfirmen geeignet und in der Lage sind, die soziale Reintegration von Kandidaten in die Hand zu nehmen,“ sagt ein Firmenleiter. „Kollegen in Frankreich haben das im Rahmen eines ähnlichen Projektes versucht und es ist beileibe nicht einfach.“
Damit sie geeignet wären, müssten sie, so gibt einer zu, erheblich investieren: Die neue Firma gründen, dort Kapital binden, teilweise neues Personal einstellen, mit anderen Qualifikationen als das, was sie bereits haben. Damit würden dann für das Pilotprojekt 15 Leute betreut über maximal ein Jahr. Denn nur so lange hat ein Erwerbsloser Anspruch auf Arbeitslosengeld und nur so lange ist er oder sie Kandidat im Projekt. Ob das Projekt dann weitergeführt würde, oder Ministerium und Adem zur Schlussfolgerung kämen, das Projekt habe sich als Misserfolg entpuppt? Dann müssten die Firmen möglicherweise wieder desinvestieren. „Reich wird man mit dem Projekt ohnehin nicht“, sagt sogar ein ferventer Indura-Befürworter, kein Wunder demnach, dass die Kritiker abwinken.
Die 15 Kandidaten würden dem population mix der Erwerbslosen entsprechen, die bei der Adem vorstellig werden, hatte Biltgen im Januar angekündigt. Von der Mischung aus von der Adem in die Arbeitsmarktfähigkeitskategorien A (sehr arbeitsmarktfähig) bis D (wenig arbeitsmarktfähig) eingestuften Erwerbssuchenden würde auch die Bezahlung abhängen. Die Basispauschale für einen Kandidaten vom Typ A hatte das Ministerium mit 2 000 Euro veranschlagt, für Teilnehmer der Kategorie D waren 5 000 Euro Basispauschale vorgesehen. Zudem würden die Firmen, abhängig davon, nach wie vielen Monaten Erwerbslosigkeit sie die Jobsuchenden zurück in den Arbeitsmarkt führen würden, eine Integrationsprämie von zwischen 500 und 5 500 Euro erhalten. Eine zusätzliche Erfolgsprämie von 2 000 Euro sollte gezahlt werden, wenn der unbefristete Arbeitsvertrag nach mindestens sieben Monaten immer noch Bestand habe, das heißt, der Projektteilnehmer den ihm vermittelten Job immer noch hätte oder der Zwölfmonatsvertrag nicht vorzeitig aufgelöst würde. Die Bezahlung würde also zwischen 2 000 Euro (für einen A-Kandidaten, für den keine Anstellung gefunden wurde) bis 12 500 (für einen D-Kandidaten der nach zwei Monaten wieder dauerhaft in Arbeit wäre) variieren. Dafür will manche Leiharbeitsfirma nach gründlichem Rechnen nicht investieren. Ein Defizitgeschäft können sie sich, im Gegensatz zu den staatlichen Trägern, nicht erlauben.„Wir machen nicht mit“, sagt der Chef einer großen Firma mit Nachdruck. War also das Projekt nicht ausreichend durchdacht oder einfach nur zeitlich schlecht geplant, wie mancher Beteiligter andeuten will? Wahrscheinlich beides. Denn den Leiharbeitsfirmen geht es derzeit selbst nicht gut. Durch die Finanz- und Wirtschaftskrise sind ihnen 38 bis 40 Prozent des Geschäftes weggebrochen. Die Folge: Sparmaßnahmen und Stellenabbau beim eigenen Personal.
Auf der anderen Seite steigen aber die Einschreibungen, sagt ein Beobachter, was Kosten verursacht. Hinzu kommt, dass die Zahlungsmoral bei den Kunden zu wünschen übrig lässt. Ein zu dickes Portemonnaie drückt derzeit keine der Firmen. In guten Jahren hätten 18 000 Leiharbeiter den Gegenwert von 5 300 und 5 600 Vollzeitjobs besetzt. Bei einem Aktivitätsrückgang von 40 Prozent wären es also jetzt noch 3 300 Jobs. „Es ist paradox“, erklärt ein Firmenleiter, „zwar schreiben sich mehr Leute ein, doch sie sind weniger gewillt, kurze Aufträge anzunehmen, als wenn es gut läuft.“ Der Grund: Wegen vier oder acht Stunden Arbeit will niemand seine Ansprüche auf Arbeitslosengeld aufs Spiel setzen. „So haben wir eigentlich mehr Arbeit damit, die wenigen Missionen, die wir zu vergeben haben, zur Zufriedenheit unserer Kunden zu erfüllen.“
Ob das Geschäft bald wieder anläuft oder nicht, sehen die Branchenkenner unterschiedlich. Ein Experte sieht leichte Anzeichen auf Besserung in der Industrie – weil die Stahlbranche, anders als im vergangenen Herbst angekündigt, doch gelegentlich wieder Arbeitskräfte ausleihe –, meint auch in der Dienstleistungsbranche würden wieder einzelne Firmen Personal anfragen. Er glaubt allerdings, dass ein Einbruch im Bauwesen noch ausstehe. Ein anderer ist vom Gegenteil überzeugt, sieht die Baubranche jetzt schon am Tiefpunkt angekommen. Deswegen lautet die Devise bei einigen: „Erst einmal wollen wir den Leuten Arbeit verschaffen, die sich ohnehin bei uns eingetragen haben. Das ist in der aktuellen Lage unsere Priorität.“ „Weshalb“, fragt ein Kenner, „sollten die Unternehmen ausgerechnet jetzt Kandidaten einstellen, die wir ihnen über dieses Projekt schicken?
Derzeit sind dermaßen viele auf Jobsuche, dass, wer eine Stelle ausschreibt, sich ohnehin die Besten aussuchen kann, und das sind nicht unbedingt die Indura-Kandidaten.“ Damit beschreibt er die Zwickmühle, in welche die Firmen durch Indura ohnehin hineinzurutschen drohen. „Wenn ich auf Leiharbeiter zurückgreife, dann gehe ich davon aus, dass mir die Firma, der ich den Auftrag gebe, mir Arbeitskräfte schickt, die für die Arbeit, die erledigt werden muss, qualifiziert und geeignet sind“, sagt ein Leihfirmenkunde. „Wenn die aber nun Kandidaten hat, die sie für Indura vorrangig platzieren will, schickt sie mir dann noch die Besten?“ Denn über die Möglichkeit, die Kandidaten auf Leiharbeitsmissionen zu schicken, sagt das Lastenheft etwas anderes als der damalige Arbeitsminister François Biltgen.
„Wir machen keine Leiharbeit“, so Biltgen sorgfältig im Januar, damit man ihm aus Gewerkschaftskreisen nicht vorwerfen würde, er dränge Arbeitnehmer in ungewisse Arbeitsverhältnisse. Aus dem Lastenheft geht allerdings hervor, dass die Kandidaten sehr wohl auf Leiharbeitsmissionen geschickt werden können oder Praktika absolvieren sollen, wenn dies der „Steigerung der Arbeitsmarktfähigkeit“ dient.
Obwohl dies eine Forderung der Branche war, bedauert nur einer der vom Land kontaktierten Firmenchefs ausdrücklich, dass Indura bislang auf Eis liegt. „Es ist ein gutes Projekt“, sagt er. „Die, die es nicht gut finden, sind einfach nicht dafür ausgerüstet. Es wäre schade, wenn das Projekt nicht durchgeführt würde, denn wir könnten dadurch einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag leisten.“ Den leisten sie, finden dagegen andere, auch jetzt schon dadurch, dass sie 3 300 Leute in Lohn und Brot halten. „Wir brauchen Indura sowieso nicht, um Leute, die bei der Adem eingeschrieben sind, zu vermitteln. Viele kommen ohnehin zu uns, weil sie alle Möglichkeiten nutzen wollen.“
Viel interessanter findet er, wie sich die Leiharbeitsbranche in der Nachkrisenzeit entwickeln wird. „Finden wir überhaupt zum vorherigen Aktivitätsniveau zurück? Und wird vor allem wenig qualifizierte Massenarbeit gefragt oder eher wenig, dafür aber qualifiziertes Personal?“ Er glaubt eher an das zweite Szenario. Das würde bedeuten, dass es für wenig Qualifizierte noch schwieriger werden dürfte, eine Anstellung oder gar zeitlich begrenzte Beschäftigung zu finden. Kurios wäre allerdings, wenn man die schlechte Lage in der Branche als Ursache für das Aussetzen des Projektes im Frühling ausgeben wollte. Denn war es nicht auch der Arbeitsminister, der vergangenen Winter nach den Sitzungen des Konjunkturkomitees mitteilen musste, die Leiharbeiter seien die ersten Opfer der Krise?