Fotografie

Reflexion

d'Lëtzebuerger Land du 28.09.2018

Erst auf den zweiten Blick erkennt der Betrachter: Es sind nicht etwa die Fassaden des Boulevard Kennedy, die sich im Foyer von Arendt & Medernach im makellosen Acryl spiegeln; die Reflexionen sind Teil der Bilder des finnischen Fotografen Jorma Puranen. Unter dem Titel Of light and shadow werden, kuratiert von Paul di Felice, seit letzter Woche großformatige Landschaftsaufnahmen aus Puranens Serie Icy prospects und Porträts aus dem Projekt Shadows, reflections and all that sort of thing in den Räumen der Wirtschaftsanwaltskanzlei ausgestellt.

Der 67-Jährige ist einer der Mitbegründer der Helsinki School, einer Gruppe von Fotografen, die sich vor 30 Jahren am fotografischen Institut der Aalto Universität formierte. Im Podiumsgespräch mit Paul di Felice verweist der Fotograf auf die Schwierigkeit, Gemeinsamkeiten dieser Schule zu formulieren. Statt auf Konventionen werde Wert auf individuelle, experimentelle Herangehensweisen gelegt; man ermutige Fotoschüler, ihre eigene Stimme zu finden.

Auch Puranens Bilder sind durch ihre außergewöhnliche Methodik und die stark konzeptuelle Herangehensweise von einer solchen Individualität gekennzeichnet. Seit knapp 30 Jahren beschäftigt sich Puranen mit den Landschaften seiner Heimat, dem Norden Finnlands, etwa in einer anthropologischen Arbeit aus dem Jahr 1991 über das Volk der Samen. In den Aufnahmen aus Icy prospects sind Politik und Geschichte die bedeutenden Themenfelder. Wie Puranen erklärt, haben Landschaften im geopolitisch spannungsreich gelegenen Finnland stets eine politische Konnotation.

Die Auseinandersetzung mit der Geschichte findet bei Puranen über den Rückgriff auf die Malerei statt, deren Materialität eine große Faszination auf den Finnen ausübt. Statt die Landschaften schlicht „abzufotografieren“, wählte Puranen den Weg über die Reflexion. Wie der Assistent eines flämischen Malers sei er sich vorgekommen, als er sich Holzbretter als Maluntergrund besorgte, sie mit schwarzer Ölfarbe bestrich und schließlich damit in den Norden fuhr, wo er die Spiegelungen der Landschaft in diesen gemäldeartig texturierten Oberflächen fotografierte. Puranen merkt an, dass es starke Lichtverhältnisse wie Sonnenuntergänge brauche, um einen ausreichend kontrastreichen Widerschein zu erhalten.

Textur und Reflexion schaffen Distanz zu den Motiven und legen sich wie Schichten darüber. Verstärkt wird diese Idee der Schichten in den Bildern, die Puranen von Glasnegativen des finnischen Fotografen Daniel Nyblin anfertigte, der Ende des 18. Jahrhunderts zeitgenössische Landschaftsgemälde abfotografierte. Einerseits stehen die Schichten aus Farbtextur, Glas, Kratzern und Reflexionen für die zeitliche Distanz zum ursprünglichen Motiv, andererseits für die Interpretationsebenen, welche die bekannten und oft politisierten Landschaftsmotive über die Jahrzehnte erfahren haben.

Dieses Interesse an Geschichte brachte Puranen schließlich zu den Poträtaufnahmen. Auch hier handelt es sich nicht um abfotografierte Personen, sondern um Gemälde flämischer Maler, die Puranen in der Finnish National Gallery fotografierte. Wie er erklärt, fiel ihm während einer Auftragsarbeit im Museum auf, dass die Besucher den abgebildeten Individuen teils nur flüchtige Blicke schenkten. Dabei sei doch gerade interessant, dass hier eine „heutige Person auf jemand Totes trifft“. Deshalb, so Puranen, wollte er sich Zeit nehmen und genauer hinsehen, um die Porträts in Langzeitbelichtungen von über fünf Minuten hinter der schimmernden Farbfläche der bemalten Holzbretter zu neuem Leben zu erwecken. Natürliches Umgebungslicht, das in den schummrigen Ausstellungsräumen nicht leicht zu finden sei, sorgt für starke Spiegelungen, die zwar Teile der Gemälde ausblenden, dafür aber den Blick auf die noch sichtbaren Partien schärfen. Puranen, der Bilder weniger bekannter Maler fotografierte, erklärt, es seien vor allem die abgebildeten Personen, die ihn interessieren. „Ich wollte gewissermaßen an das Holz klopfen, um zu sagen: ‚Hey, wach auf!’“ Auch bei den Porträts ist es die Materialität, die Puranen in das fotografische Medium zu transferieren versucht.

Puranen gelingt es auf erstaunliche Weise, diese Verbindung zwischen Fotografie und Malerei herzustellen, ohne dass seine Methode passiv oder imitierend wirken würde. Stattdessen konstruiert er über die Reflexionen auf der Ölfarbe eine vielschichtige Projektionsfläche, in Form einer reichhaltigen Reflexion über Materialität und Historie. Erstaunlich, wie viele bedeutungsstarke Schichten sich hinter der perfekten Acrylglasoberfläche der cleanen Diasec-Drucke in ihren edlen Rahmen verbergen.

Of Light and Shadow. Fotografien von Jorma Puranen bei Arendt & Medernach. Samstags, sonntags und feiertags von 9-18 Uhr. Weitere Informationen: www.arendt.com

Boris Loder
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