Es ist das erste Forschungs-Exzellenzprojekt Luxemburgs, das der nationale Forschungsfonds FNR finanziert, und weil beim FNR mit Vorliebe englische Begriffe benutzt werden, heißt es National Center for Excellence in Research: das im April aus der Taufe gehobene Parkinson-Projekt.
Das Projekt ist umfangreich und ehrgeizig, hat eine Laufdauer von acht bis zwölf Jahren, und jedes Jahr finanziert der FNR es mit zwei Millionen Euro. Angeschlossen sind ihm das Luxembourg Center for Systems-Biomedicine (LCSB), die Biobank IBBL, das Luxembourg Institute of Health und das CHL. Internationale Partner hat es auch: ein großes Krankenhaus in Kassel, die Universitätsklinik Tübingen, ein Forschungszentrum in Lille und die Universität Oxford. In acht bis zwölf Jahren, hofft LCSB-Direktor Rudi Balling, werde man es gemeinsam schaffen, für die Parkinsonsche Krankheit zum einen Früherkennungsmethoden zu finden und zum anderen alle kausalen Zusammenhänge rund um von Parkinson besser zu verstehen, so dass die Erkrankung behandelbar wird. Bisher geht das noch nicht, bisher therapiert man vor allem ihre Symptome.
Ob diese Ziele erreicht werden, muss sich zeigen. Auf jeden Fall aber ist das Exzellenzzentrum ein großangelegter Versuch, die 2008 von der damaligen Regierung eingegangene Biotech-Initiative in die Praxis zu tragen. Vor sieben Jahren hatte der damalige LSAP-Wirtschaftsminister Jeannot Krecké gehofft, um die gemeinsam mit US-amerikanischen Forschungseinrichtungen aus dem Boden gestampften LCSB und Biobank werde sich bald schon ein Ökosystem innovativer Firmen ansiedeln. Der Wunsch hat sich noch nicht erfüllt. Nun soll der Ausfallschritt in die klinische Praxis beweisen, dass die 140 Millio-nen Euro schwere Ausgabe aus der Staatskasse für die Biotech-Initiative nicht nur Infrastrukturen zu schaffen, Knowhow aus Amerika und hochklassige Wissenschaftler aus der ganzen Welt einzukaufen ermöglichte, sondern dass sie auch „nützt“.
Nützen könnte das Exzellenzzentrum Luxemburger Parkinson-Patienten selbst dann, wenn es im ungünstigsten Fall keine neuen Behandlungsansätze hervorbringt. Es soll möglichst alle der geschätzten 1 300 hierzulande von der Erkrankung Betroffenen erreichen oder wenigstens tausend von ihnen. Sie sollen jene „Patienten-Kohorte“ bilden, die in den ersten vier Jahren der Projekt-Laufdauer entstehen soll. Wer teilnimmt, erhält nicht nur regelmäßige Untersuchungen, sondern auch zusätzliche Beratungsgespräche, Informationen und Zugang zu Pa-tientenorganisationen im In- und Ausland. Im Gegenzug sind die Kohorten-Teilnehmer einverstanden, Blut-, Urin- und Speichelproben abzugeben und ihre anonymisierten Patientendaten der Forschung zur Verfügung zu stellen. Der LCSB-Direktor ist optimistisch, dass die tausend Kohorten-Teilnehmer zusammenkommen. 200 habe man schon gewinnen können. Wer mitmacht, könne nicht zuletzt das Gefühl haben, mit seiner Erkrankung nicht allein zu sein. „Parkinson ist noch immer relativ selten“, sagt Balling, „aber wenn statistisch gesehen zwei Prozent der über 65-Jährigen daran erkranken, wird die absolute Zahl mit der steigenden Lebenserwartung der Bevölkerung zunehmen“.
Tausend Teilnehmer sind für eine klinische Studie allerdings nicht unbedingt viel. Für Versuche zur Erprobung eines neuartigen Medikaments wären das genug, nicht aber für eine eher grundlegende Forschung an Ursachen und Zusammenhängen einer Krankheit, die auch molekularbiologische Vorgänge aufklären soll – von genetischen bis hin zu Stoffwechselprozessen in den Zellen. Letzteren gilt ein besonderes Augenmerk der Forschung am LCSB, das sich auf neurodegenerative Erkrankungen spezialisiert hat. Eine Hypothese laute, sagt die Systembiologin Ines Thiele, dass bei Parkinson die Stoffwechselvorgänge anders sind als in gesunden oder an etwas anderem erkrankten Menschen, „sowohl der Stoffwechsel der Zellen als auch der im gesamten Körper“. Der besondere Ansatz des Parkinson-Projekts bestehe darin, „dass wir nicht nur Statistiken auswerten, sondern aus den Daten mathematische Modelle bilden und daraus Computersimulationen herstellen“. Auf diesem Weg sollen nicht nur Biomarker zur Parkinson-Früherkennung gefunden werden. „Wir wollen auch verstehen, wie ein solcher Biomarker funktioniert und warum. Gelingt uns das, können wir daraus einen Behandlungsansatz simulieren.“
Damit das klappt, hat das LCSB sich mit den Partnern aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien zusammengetan. Ermöglicht wurde das durch die internationale Organisation Genetic Epidemiology of Parkinson, die für einen ganzen Pool aus Patientendaten sorgt. Noch während der Aufbau der Luxemburger Patienten-Kohorte andauere, beginne die Forschung an Patientendaten aus Kassel und Tübingen, sagt Thiele. „Später wird es so sein, dass wir Erkenntnisse und Hypothesen, die wir aus einer Kohorte gewonnen haben, immer an anderen überprüfen.“
Für das gerade mal sechs Jahre alte LCSB ist die Mitarbeit in dem Projekt ein Meilenstein. „Uns wird“, sagt Balling, „international nicht nur abgenommen, was wir publiziert haben, sondern auch das Design der Studie.“ Sie sei „vollelektronisch“ aufgebaut, und man habe darauf geachtet, bei Datenerfassung und -klassifizierung internationale Standards zu nutzen. Damit würden Resultate für andere leicht nachvollziehbar. „Wir können das tun, weil wir so jung und technisch super ausgestattet sind. Das ist eine Art Gnade der späten Geburt.“
Gerade was Elektronik und Datenerfassung angeht, ist das Parkinson-Großprojekt aber nicht nur als klinisches Forschungsvorhaben bemerkenswert, sondern auch als ein Schritt der jungen Luxemburger Biomedizin-Forschung hin zu Big Data. Und, wenn man so will, eine Bestätigung für den ICT-Standort durch die Biomedizin.
Denn wie es aussieht, ist Luxemburg drauf und dran, zur internationalen Drehscheibe für Forschungsdaten über neurodegenerative Erkrankungen generell zu werden. Nachdem das LCSB mit der Michael J. Fox Foundation eine Forschungspartnerschaft über Parkinson eingegangen war und außerdem eine Reihe von Genom-Komplettsequenzierungen über Epilepsie ausgewertet hatte, wurden die US-amerikanischen National Institutes of Health (NIH) auf das Belvaler Zentrum aufmerksam und fragten an, ob es als „trusted party“ die Daten für ein anderes internationales Parkinson-Projekt lagern wolle. Dabei spiele auch Luxemburgs Ruf als Finanzplatz und sicherer Daten-Hub für Banken eine Rolle, sagt Balling.
Beim NIH-Projekt sind die USA und Großbritannien federführend. Partner der Studie aus kleineren Ländern hielten aber darauf, dass die Projektdaten nicht nur in den Vereinigten Staaten und dem Vereinigten Königreich gelagert werden. Dass Luxemburg als politisch relativ neutral gilt, prädestiniert es als Standort für einen zweiten Daten-Hub, seine Reputation für den Umgang mit Daten aus Banken kommt hinzu. Der LCSB-Chef kann schon von weiteren Daten-Projekten berichten: Die Internationale Liga für Multiple Sklerose sei ebenfalls interessiert, einen trusted hub in Luxemburg anzulegen, einer zu Epilepsie-Daten könnte eventuell folgen. „Wir entwickeln uns damit sehr stark in Richtung ICT, dass es so schnell gehen würde, hätte ich nicht gedacht.“
Beim Forschungsfonds FNR ist man der Meinung, dass die Daten-Hub-Aussichten ganz hervorragend zu den Ambitionen Luxemburgs in Biomedizin und ICT passen; potenzielle Felder für neue Dienstleistungen könnten entstehen, und vielleicht wird das „Ökosystem“ innovativer Firmen, auf das die damalige Regierung vor acht Jahren hoffte, ja über diesen Weg Wirklichkeit.
Würde Luxemburg zum Standort für Biomedizin-Daten, hätte das aber auch Auswirkungen auf das heimische Gesundheitswesen. Von Erkenntnissen aus dem Parkinson-Projekt des LCSB würde es unmittelbar profitieren. Aus dem Trusted-Party-Service, den das LCSB den NIH und deren Partnern leistet, wird Luxemburg aber ebenfalls Vorteil schlagen können: Die Daten werden nicht nur in Luxemburg gelagert, sagt der Bioinformatiker Patrick May vom LCSB, sondern auch aufbereitet. Teil davon würden allen interessierten Wissenschaftlern zur Verfügung stehen. Geplant ist auch die Einrichtung einer Datenbank typischer Gen-Varianten, die für Parkinson charakteristisch sind. Sie könnten allgemein zugänglich werden, auch für Leute, die sich beispielsweise einem präventiven Gentest unterzogen haben, um ein individuelles Risikoprofil zu ermitteln.
Das weist in eine Entwicklungsrichtung, auf die Luxemburg bisher kaum vorbereitet ist: Eines Tages könnten Patienten ihren Arzt mit Gen- Daten konfrontieren und erwarten, dass er damit etwas anzufangen weiß. Nach wie vor aber ist der gesamte Komplex „Gentests“ hierzulande völlig ungeregelt. Ein Gesetz zu erlassen, hat die Regierung sich im Koalitionsabkommen vorgenommen, seitdem war davon aber nicht mehr viel zu hören.
Sollten Biomedizin-Forschung und ICT tatsächlich so rasch aufeinander zustreben, wie LCSB-Direktor Rudi Balling das andeutet, dann wird klar, wie Recht der zweite OECD-Innovationsbericht über Luxemburg hat: Werde die Biomedizin nicht bald klareren Regeln unterworfen, werde das zum Entwicklungshindernis für die Biotech-Branche, die man gerne aufbauen will.