Das Ambiente stimmt. Nora Koenig und Nickel Bösenberg schlagen ein Lokal als Treffpunkt vor, das zu ihrer Tätigkeit passt. Das Café in der Rue du Nord verändert seine Ausrichtung, je nachdem, wohin man blickt. Hier eine Leseecke mit Bücherregal, dort verschiedenste Gebäcksorten an der Konditor-Theke, seitwärts Mode zum Verkauf. Es riecht nach Kaffee. Es erschließen sich die Gesichter eines Schauplatzes, ähnlich der Vielfalt eines Darstellers mit seinen zahllosen Identitäten.
Koenig und Bösenberg leben in einer eingetragenen Partnerschaft. Der gebürtige Hamburger ist von eher hagerer Gestalt, mit Oberlippen-Kinn-Bart in einem jugendlichen Gesicht, das nicht zu seinen 39 Jahren passen will. Sie, 1979 in Luxemburg geboren, hochschwanger, äußert sich ebenso bescheiden wie vehement zu dem, was sie in den letzten Jahren als Schauspielerin an Erfahrungen gesammelt hat. Unmittelbar fällt auf, dass es nicht nur die Bühne ist, und nicht die Maske, die beiden diese besondere Ausstrahlung verleihen. Als wir ins Gespräch über Werdegang und Theater eintauchen, sind Kreativität, Präsenz und Leidenschaft auch ungeschminkt zum Greifen nah.
Auf ihre Jahre an der Trierer Waldorf-Schule blickt Koenig gern zurück. „Schüler, die sich hinter den Wänden eines konventionellen Klassenraumes kaum hervortun konnten, entdeckten in den Theatergruppen neue Talente.“ Die Jahre bis 2003 an der Schule für Schauspiel in Kiel bestärken sie in ihrer Absicht, eine Bühnenkarriere zu verfolgen, so dass ihre Motivation nicht nur das Orientierungssemester überlebt.
Nach dem Abi in Bremen, Zivildienst und einigen Jahren des Jobbens beginnt Bösenberg seinerseits 1994 mit dem Vorsprechen und besucht in den Jahren bis 1999 ebenfalls die Kieler Schule. Nach einem dortigen Festengagement ist er heute als freier Schauspieler und Dozent auch in Luxemburg tätig und hat an mehreren Schulhörbuch-Ausgaben mitgewirkt. Rollen in Peer Gynt und Lulu, im Schimmelreiter und Die Terroristen prägen seine Karriere. Die erste gemeinsame Arbeit ist das Projekt Karius und Baktus am Werfttheater Kiel im Jahre 2002, sie in der Rolle der Erzählerin, er als Regisseur. Es sollte nicht die letzte Zusammenarbeit sein.
Was in der geselligen Atmosphäre bei Kaffee wie das Herunterrasseln einer Blitzkarriere klingt, ist bei beiden je nach Projekt mit einigen typischen Schwierigkeiten einer Künstlerkarriere verbunden gewesen. Für Bösenberg haben sich die Jahre nach der Ausbildung als besondere Herausforderung erwiesen: „Nachdem man in Kiel bei jeder Produktion unterstützt wurde, musste man sich als Berufsschauspieler plötzlich stärker auf sich selbst verlassen können.“ Erst mit der Zeit, sei es in Kiel oder Luxemburg, hat er an Erfahrung und Sicherheit gewonnen. Koenig stimmt bejahend zu und unterstreicht: „Es ist immer wieder wunderbar, aber schlicht und ergreifend auch notwendig, dass man als Jungschauspielerin auf Menschen trifft, die dir eine Chance geben.“ Dazu gehört auch das Glück, bereits in den Ausbildungsjahren die Rolle der Polly aus Brechts Die Dreigroschenoper übernommen zu haben.
Mit Rollen in Der Zauberer von Oz, Hamlet oder Divan sowie weiteren Bühnen- und Filmprojekten kann sie mittlerweile ein umfangreiches Repertoire an Auftritten vorweisen. „Ich habe das große Glück, dass mir eine Vielzahl an guten Rollen angeboten worden ist. Wie in Gier von Sarah Kane erschließt sich mir der Reiz einer Rolle aber manchmal erst in den Vorführungen selbst. Das hängt dann oftmals von der Herangehensweise der Regisseure ab.“ Nickel Bösenberg deutet darauf hin, dass seine Lebensgefährtin sich gerade durch eine enorme Wandlungsfähigkeit auszeichne. Dies wirkt eher bescheiden, stellt er dieses berufliche Vermögen doch ebenfalls unter Beweis. Ihre Rollen in Kult und Der Kirschgarten waren derart konträr ausgelegt, dass man sie kaum in eine Schublade einzuordnen vermag. Vor zu brisanten Aufgaben haben sie dabei wenig Bedenken. Wichtig ist, dass Provokation nicht zum Selbstzweck wird. Jede noch so extreme Rolle bleibt eine Rolle, hinter deren Schutz sich jeder Akteur zurückstellen kann. Von zentraler Bedeutung ist, wie man sich an diese Brisanz heranwagt und versucht, ihr gerecht zu werden.
Diese Herausforderungen sind stets verbunden mit dem Bedürfnis nach Kontroverse. Mit temperamentvoller Körpersprache erinnert sich Bösenberg in diesem Sinne an das prägendste Erlebnis seiner Laufbahn, Eusterschultes Inszenierung von Heiner Müllers Hamletmaschine in Sofia: „Das politisierte, teils aber auch an Unterhaltung interessierte Publikum reagierte überaus deutlich. Einige verließen den Raum, bevor der Vorhang fiel, andere reagierten zutiefst bejahend.“ Kontroverse ist ein wichtiges Element des gesamten Theaters. Wenn – wie bei Schreie und Flüstern – das Publikum gerade deshalb in die Theaterhäuser strömt, um zu prüfen, ob die Verrisse der Presse stimmen, ist dies für beide legitime Werbung. Für das Schauspielerpaar ist Kritik ein hilfreiches Instrument, um das Geschäft zu beleben, solange sie ehrlich und nicht persönlich ist. Manchmal sind Presse und Publikum im Großherzogtum in ihren Reaktionen jedoch zu zaghaft. Schmunzelnd zupft sich Bösenberg am Bart, als er sich an ausländische Schauspieler erinnert, die nach verhältnismäßig spärlichem Applaus irritiert von der Bühne traten.
Ihre Vorbilder suchen beide nicht auf der großen Leinwand. Sie greifen vielmehr auf die Organisationsfähigkeit und die künstlerischen Fertigkeiten ihrer unmittelbaren Kollegen zurück. „Wenn ich Kolleginnen beobachte, wie sie es schaffen, Schauspielkunst und Nachwuchs unter einen Hut zu bekommen, dann sind das Vorbilder für mich.“ Auch Bösenberg schaut sich vornehmlich etwas von seinen täglichen Kollegen ab, auch wenn er Robert de Niro und die Stars des Stummfilms sehr achtet.
Trotz eines ab und an steinigen und noch heute mit so manchem Zweifel und Zögern verbundenen Schauspielerdaseins finden beide ihre Genugtuung, wenn die Scheinwerfer angefahren werden. Ob der Adrenalinschub beim ersten Besteigen der Bühne oder die Verbeugung vor dem applaudierenden Publikum: Wenn sich etwas tut auf den Brettern, die die Welt bedeuten, und sogar volles Haus verkündet werden kann, dann entschädigt dies für Proben, die zwar voller Kreativität, aber eben auch Ungewissheit stecken.