Rindfleisch ist nicht wettbewerbsfähig. Die hiesigen Bauern sind nervös. Was sagt Agrarkommissar Christophe Hansen zum Mercosur-Abkommen?

Fleisch für Autos

Photo: Olivier Halmes
d'Lëtzebuerger Land du 04.04.2025

Im EU-Parlament kursiere das Gerücht, künftig würden Zölle auf den Import von US-Soja anfallen, führte Charles Goerens (DP) am Montagmorgen im Parlament aus. Ob das stimme, wollte er von Landwirtschaftskommissar Christophe Hansen (CSV) wissen – und ob sich Düngemittel aus Russland aufgrund neuer Sanktionen verteuern würden. Der Landwirtschaftskommissar war am Montag aus Brüssel angereist, um mit der Chamber über seine Landwirtschaftsvision zu diskutieren. „Ja, im Februar wurden erstmals Importzölle auf Düngemittel beschlossen“, antwortete Hansen. Doch vielleicht sei das eine Chance, um die eigene Industrie anzukurbeln oder organischen Dünger gezielter einzusetzen. Zu möglichen EU-Gegenzöllen könne er nichts sagen. Auch weil sich die Meinung des US-Präsidenten oft ändere. Dabei lachte Fernand Etgen (DP), der rechts neben ihm saß, und biss sich auf die Unterlippe. „Do muss een eemol Loft huelen a net op alles sprangen, wat grad getwittert gëtt“, so Hansen.

Die Verstrickungen von Landwirtschafts- und Geopolitik wurden am Montag erst nach einer Stunde deutlich. Das Mercosur-Abkommen erwähnte der Agrarkommissar während seiner Einstiegsrede nicht. „Gutt, datt d‘Joëlle nach eng Kéier nom Mercosur gefrot huet,“ antwortet er auf eine Frage der grünen Abgeordneten Joëlle Welfring. Weil eigentlich wollte Pirat Marc Goergen bereits 20 Minuten zuvor wissen, wie hoch der Druck, insbesondere auf Tierwohlstandards, durch das Abkommen ausfallen wird; Hansen aber hatte vergessen zu antworten. Er sehe in der Vereinbarung mit den südamerikanischen Ländern Brasilien, Uruguay, Paraguay und Argentinien Vorteile für Milchprodukte und Wein. „Sensibel“ hingegen seien die Auswirkungen auf den Fleischsektor und Zucker. „Wir kämpfen mit extremem geopolitischem Druck – mit China, den USA, Russland. Ländern also, mit denen wir kein Abkommen haben.“ Und versucht zu beschwichtigen: Der Vertrag führe eine Sicherheitsklausel – ein Novum bei einem Handelsabkommen. Diese Klausel erlaube einen Importstopp bei einem Preiseinbruch von Fleischwaren; und deshalb sei er zuversichtlich: „A mengen Aan wäert de Präis net impaktéiert ginn.“ Für den Fall, dass es dennoch zu Marktturbulenzen komme, habe die EU eine Milliarde Euro als Backup in einem Fond geparkt. Was die Tierwohlstandards und Pflanzenschutzmittel von Produkten aus Übersee betreffe, strebe man Reziprozität an, „eng schwéier an haart Noss“. Diesmal beißt sich Jeff Boonen links neben ihm konsterniert auf die Unterlippe. Wie genau er die Nuss knacken will, erwähnt Hansen nicht.

Derzeit erhöhen Zölle den Preis europäischer Autos für südamerikanische Käufer um 35 Prozent. Kommt es zu dem Abkommen, kann die Autoindustrie einen neuen Absatzmarkt sichern – ebenso wie die europäische Chemie-, Pharma- und Maschinenbauindustrie. Die Mercosur-Länder setzen ihrerseits auf den Export von Agrargütern: Für Rindfleisch soll ein jährliches Kontingent von 99 000 Tonnen mit einem Zollsatz von nur 7,5 Prozent nach Europa exportiert werden. Davon entfallen 55 000 Tonnen auf frisches und 44 000 Tonnen auf gefrorenes Rindfleisch. Beim Geflügelfleisch beträgt das Kontingent 180 000 Tonnen, beim Schweinefleisch 25 000 Tonnen. Deshalb wird der Vertrag häufig unter dem Motto „Fleisch für Autos“ zusammengefasst. Frankreich und Österreich, deren Landwirtschaft kleinteilig, aber ökonomisch stark ist, lehnen das Abkommen ab, während Deutschland, Spanien, Portugal und Luxemburg es unterstützen. Der CSV-Premier Luc Frieden forderte bereits im September 2024 einen raschen Abschluss der Verhandlungen. Er erhofft sich positive Auswirkungen auf die luxemburgischen Finanzdienstleistungen.

Vielleicht hatte Hansen tatsächlich vergessen auf Mercosur einzugehen. Vielleicht wollte er die Diskussion über das Abkommen hinauszögern, da es im Sektor rumort. Vor allem in Frankreich gehen Landwirte immer wieder demonstrieren – kippen Mist auf die Straßen, sperren Straßen mit ihren Traktoren, oder halten Schilder mit Stop Mercusor in die Luft. Sie befürchten einen Preissturz, weil die Lohn- und Produktionsstandards in den Mercosur-Staaten niedriger sind. In Luxemburg blieben die Bäuerinnen und Bauern diskret. Wer bei ihnen anruft, stellt jedoch fest, dass auch sie nervös sind: „Ich kenne keinen, der das Mercusor-Abkommen gut findet“, sagt ein Fleischproduzent aus dem Ösling. Das Abkommen sei über den Kopf der Bauern hinweg beschlossen worden. „Es wird versprochen, dass die Preise vom Fleisch nicht fallen werden, aber wir sind uns sicher, dass es Druck geben wird“, heißt es von einer Limousinhalterin aus Ospern. Ein Bauer aus Useldingen sagt: „Mir sinn net frou.“ Mittlerweile erhalte er 500 Euro pro Jahr auf 5 Jahre verteilt, wenn er um eine Großvieheinheit – Fachjargon für ein erwachsenes Rind – runtergeht; und gleichzeitig soll billig produziertes Fleisch importiert werden; das sei nicht logisch.

Christoph Hansen ist 2025 wieder bei Geopolitik gelandet. Nun muss er im Interesse der europäischen Autoindustrie und für die CSV unter Luc Frieden interkontinentale Handelspolitik mitgestalten. Geopolitik war während seines Geografiestudiums an der Universität Straßburg sein Schwerpunkt. Als er sich einschrieb, wollte er noch Gymnasiallehrer werden. Nach dem Masterabschluss versuchte er ein Dissertationsprojekt in Geophysik aufzugleisen – es sollte sich um Satellitenbilder-Analysen über Vulkane und Erdrisse im Kongo und Tibet drehen. Als er jedoch keine Finanzierung für das Projekt auftreiben konnte, bewarb er sich 2007 für ein Sommerpraktikum bei der Europaabgeordneten Astrid Lulling. Schließlich blieb er sieben Jahre unter den Fittichen der Schifflinger Politstrategin. Als Agrarkommissar betont Hansen oft seine Nähe zur Landwirtschaft. Er wuchs als jüngstes von sieben Geschwistern auf einem kleinen Bauernhof in Doncols auf – mit rund 20 Rindern. Später übernahm sein Bruder den Hof (d’Land 07.06.2024).

Eigentlich wirkt Hansen wie ein Technokrat, jemand, der seine Dossiers gründlich studiert und die Inhalte für das jeweilige Publikum politisch schmackhaft aufbereitet. Er ist weder als Ankedotenerzähler bekannt noch dafür, viel aus seinem Privatleben preiszugeben. Doch während seiner Anhörung für das Amt des EU-Agrarkommissars im November des vergangenen Jahres überraschte er in dieser Hinsicht: Als die irische EVP-Abgeordnete Maria Walsh ihn fragte, welche Maßnahmen er ergreifen wolle, um die mentale und körperliche Gesundheit von Landwirten zu schützen – schließlich liege die Selbstmordrate in der Landwirtschaft um 20 Prozent höher als der nationale Durchschnitt –, stockte Hansen. „I have a little problem to reply to this question“, sagte er. Dann erzählte er, dass sein 55-jähriger Bruder, ein Milchbauer, im vergangenen Jahr bei einem Sturz ums Leben gekommen sei. Indirekt führte Hansen dessen Tod auf mentalen Stress und die hohe Arbeitsbelastung zurück. „Landwirte arbeiten ständig. Als mein Bruder einmal eine dreitägige Hochzeitsreise machte, war ich auf seinem Hof. Aber er hat mich dreimal am Tag angerufen, um zu fragen, ob es seinen Kühen gut geht. Und trotzdem verdienen sie wenig Geld. It’s killing me“, sagte ein sichtlich aufgewühlter Hansen.

Um dem entgegenzuwirken, will Hansen mehr Preissicherheit erreichen. Deshalb hat er gleich zu Beginn seiner Amtszeit einen Gesetzesvorschlag eingereicht, der schriftliche Verträge zwischen Produzenten und Abnehmern vorsieht. Neben klar festgelegten Verträgen sollen auch Produzentenvereinigungen etwa in Form von Genossenschaften, die Verhandlungsstärke der Bauern erhöhen. Überhaupt scheint Hansen Klein- und Mittelbetriebe unterstützen zu wollen; im L’Echo sagte er: „Es macht keinen Sinn, einem Betrieb mit 5 000 Hektar die gleiche Unterstützung pro Hektar zu geben wie einem anderen mit 5 Hektar.“ Er wolle die GAP-Umverteilungsvorgaben umgestalten. Die Ambition Kleinbetriebe zu unterstützen, könnte ihm jedoch madig gemacht werden, wenn die Voraussage von dem Ökonom Maxime Combes stimmt: „Die Logik des Mercosurs besteht darin, die Wettbewerbsfähigsten zu begünstigen, also das hochindustrialisierte Agrobusiness.“ Nur große Käse-, Wein- und Schokoladenmarken könnten auf dem interkontinentalen Markt wettbewerbsfähig sein.

In Luxemburg haben sich Fleischbauern 1996 in Zusammenarbeit mit der Bauerngenossenschaft Convis und der Supermarktkette Cactus organisiert, um Kleinbetrieben mehr Planungssicherheit zu verschaffen und vergleichsweise hohe Abnahmepreise zu garantieren. Rund 150 (von insgesamt 402) der hiesigen Mutterkuhhalter liefern an das damals ins Leben gerufene Lëtzebuerger Rëndfleesch-Label. „Der Fleischpreis liegt derzeit bei 6,65 Euro pro Kilo“, erläutert Pol Reuter, Berater von Convis. „Zumeist kann der Bauer durch das Label 15 – 20 Cents teurer verkaufen als der Marktpreis vorsieht; aber derzeit schwanken die Preise, so dass wir manchmal nur knapp über dem Marktpreis liegen.“ Der Grund hierfür ist der europaweite Rückgang von Rindern bei gleichzeitig hoher Nachfrage. Jahrelang konnte Luxemburg seine Nachfrage ohne Zukauf aus dem Ausland decken, mittlerweile wird 18 Prozent importiert. Der Anteil an Mutterkühen etwa ging von 1990 von etwa 30 000 Mutterkühen, die älter als zwei Jahre sind, auf heute 22 000 zurück. Dabei geht der Import vor allem auf das Bevölkerungswachstum zurück, denn der Pro-Kopf-Konsum ist gefallen.
Das Label geht jedoch über die Preissicherheit hinaus und legt Praxisnormen fest: So schreibt das Lastenheft Weidegang sowie Laufställe mit ausreichend Platz für Rinder vor, ebenso wie regelmäßige Gesundheitskontrollen. Das Futter der Tiere soll möglichst aus eigener Produktion stammen, und Convis soll anhand von Energiebilanzen – etwa bei Düngemitteln – ermitteln, wie die Umweltbelastung möglichst gering gehalten werden kann.Der Limousinhalter Claude Kraus aus Reckingen ist derzeit zufrieden: „Die Preise sind hoch und steigen wohl weiter.“ Welche Auswirkungen die Konkurrenz aus Übersee haben wird, sei für die Label-Produzenten jedoch noch nicht absehbar.
Angespannt wirkte der Agrarkommissar am Montag in der Chamber auch beim Thema Klimawandel. „Mir däerfen d’Auswierkungen vum Klimawandel an Europa a weltwäit net ënnerschätzen. Ech war kierzlech zu Valencia, ech hunn déi Schied gesinn, dat ass enorm, wat do geschitt ass.“ Und die Naturkatastrophen werden künftig nicht abreißen, davon ist Hansen überzeugt. Bauern seien Opfer des Klimawandels, gleichzeitig aber halte die Landwirtschaft viele Lösungen für den Klimaschutz bereit. Christophe Hansen belegte bereits ab seinem ersten Studienjahr in Straßburg Kurse über den Klimawandel. Gegenüber dem Land sagte er vor einem Jahr: „Das war eines der Fächer, in denen ich meine besten Noten bekommen habe.“ Doch das Green Bashing ist ihm nicht fremd. Er stimmte gegen das EU-Renaturierungsgesetz und warf den Initiatoren des Gesetzesvorschlags im Lëtzebuerger Bauer „Gutmenschentum“ vor; sie seien die „Totengräber unserer produktiven Landwirtschaft“.

Nun will sich Christophe Hansen jedoch gegen eine Polarisierung in der Landwirtschaft einsetzen. Er orientiert sich am EU-Bericht von Peter Strohschneider, der in Zusammenarbeit mit 29 Akteuren aus dem Agrarsektor, der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft erarbeitet wurde. Der Bericht sieht Bezahlungsinstrumente für öffentliche Leistungen vor, um Wirtschaftlichkeit und Ökologie effizient miteinander zu verknüpfen. Am Montag in der Chamber sprach Christophe Hansen sogar von Renaturierungsprojekten, um den Wasserschutz zu verbessern und den Wasserzugang für die Landwirtschaft zu sichern. Im Vergleich zur Farm-to-Fork-Strategie aus der ersten Amtszeit von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen enthält der Strohschneider-Bericht jedoch weniger konkrete Zielvorgaben – insbesondere in Bezug auf den Pestizideinsatz. Ende 2024 äußerte Marco Koeune, Präsident der Bauernallianz, Zweifel daran, dass Agrarkommissar Hansen die Empfehlungen des Strohschneider-Berichts und das Mercosur-Abkommen umsetzen kann, ohne dass Widersprüche aufklaffen. An diesem Mittwoch sagte er im RTL-Radio, es sei bekannt, dass in südamerikanischen Ländern Hormone und Antibiotika in Feedlots häufig eingesetzt würden: „An déi wëlle mir hei net um Teller.“ Das wäre ein Rückschritt und ein Affront gegenüber der heimischen Landwirtschaft. Der geopolitische Druck hoch sei, das verstehe er, dennoch hofft der Präsident der Bauernallianz, dass dennoch ein „faires Abkommen“ möglich ist.

Auf Juristen-Blogs werden Bedenken geäußert, ob die EU tatsächlich gleiche Tierhaltungsstandards einfordern kann. Brasilien habe sich bereits bei der Welthandelsorganisation über die strengen europäischen Normen beschwert. Zudem seien viele Bestimmungen nicht rechtlich abgesichert. Wie die Tageszeitung Le Monde berichtet, gilt das Verbot von Antibiotika zur Wachstumsförderung bei Nutztieren nicht für Importe. Falls die EU nun auf Reziprozität poche, beschränke sich diese auf die Selbstdeklaration – ohne rechtliche Absicherung. Mit anderen Worten: Man müsste den Produzenten blind vertrauen. Das ist beim Cactus-Convis-Label anders: Liegt das Fleisch einmal im Regal ist eine Rückverfolgung auf das einzelne Tier durch eine Nummer möglich; auch der Name des Rinderhalters ist auf der Etikette vermerkt. Hohe Standards dürften somit nicht das Problem sein, wie es Luc Frieden vergangenen Herbst insinuierte, sondern Kunden binden.

Stéphanie Majerus
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