Kino

Weiße Zähne, again

d'Lëtzebuerger Land du 21.07.2023

Eigentlich steckt die Lüge ja bereits im Titel: Mission Impossible. Keine Mission, die der Superagent Ethan Hunt (Tom Cruise) zu bestreiten hat, ist am Ende des Tages unlösbar. Kein Schurke am Ende zu groß oder unüberwindbar für das IMF - die Impossible Mission Force. Mit Dead Reckoning ist nun der siebte Eintrag in der langlebigen Franchise in den Kinos angelaufen, die 2024 mit einem weiteren, achten Film nach nunmehr rund 28 Jahren zu seinem vermeintlich fulminanten Abschluss finden soll.

Regisseur Christopher McQuarrie hat diesen Film in enger Zusammenarbeit mit Tom Cruise ganz auf den explosiven und exotischen Reizen des Agententhrillers aufgebaut und auf seinen Star zugeschnitten. Dead Reckoning ist ein Schaulaufen schöner Sehenswürdigkeiten, die besonders der europäische Tourismuskatalog zu bieten hat: Von Rom nach Venedig, dann quer durch die österreichischen Alpen – immer wieder werden Schauplätze geboten, die mit ungemeiner Geschwindigkeit durchquert werden, in Autos, auf Motorrädern und mit Speedboot. Im Geiste der Hitchcock-Reverenz, die Brian de Palma 1996 mit dem ersten Teil in die Reihe einfließen ließ, darf da ein Zug natürlich nicht fehlen. Immer schon setzten die Filme des Franchises, in Anlehnung an James Bond, auf eine Mischung aus Paranoia der Spionagefilme der Sechziger und der Selbstironie des actionbetonten Spektakels der Neunziger. Nahezu rankenförmig schlängelt sich die Handlung entlang der Action-Setpieces – spätestens seit Ghost Protocol (2011) ist dies zum Erkennungszeichen und Vermarktungszweck der Reihe geworden. Jetzt, da der Siegeszug von ChatGPT unaufhaltsam scheint, wirkt die grobe Storyline beinahe beängstigend: Eine künstliche Intelligenz nämlich ist es, die die globalen Sicherheitssysteme unter ihre Kontrolle bringen, den Informationsfluss selbst bestimmen und in letzter Konsequenz die Vorstellung von wahr und falsch neu verhandeln möchte. Deutlicher als in einem anderen Mission Impossible-Film beharrt Dead Reckoning nun darauf, dass diese Agentengruppe tatsächlich eine freie Wahl besäße, sie sich alle aus freien Stücken der Sache hingeben – das ist dann doch sehr verwunderlich.

Hier werden freilich die dramaturgischen Schwachstellen eines derart langlebigen Franchises ersichtlich. Nicht nur scheint die Figur der Julia (Michelle Monaghan), die ehemalige Lebenspartnerin Hunts, willkürlich dramaturgisch nützlich zu sein: in Dead Reckoning ist sie wieder vergessen, wo sie doch im Vorgängerfilm Fallout (2018) nachdrücklich auf das Martyrium des Ethan Hunt verwies. Mehr noch: Auf einer Makroebene ist damit der gesamte dritte Teil der Reihe gleichsam negiert, der ja bekanntlich den Rückzug ins Private ausschloss. Darin lag gerade das fatalistische Moment des Helden, die freie Wahl, die diesem Hunt vor jeder Mission angekündigt wird – „Your mission, should you choose to accept it“ – ist per se keine. Das machte ihn tragisch. Diese Inkonsequenzen scheinen sich zuvorderst aus einer sich jedem Film neu stellenden dramaturgischen Notwendigkeit heraus zu ergeben. In Dead Reckoning gilt es den Einstieg einer neuen Frauenfigur, die Diebin Grace (Hayley Atwell), zu begründen. Der Film betont vielmehr ihre freie Wahl, für die Hunt lediglich Vehikel ist, wohingegen seine Seelenpein nur weiter vertieft wird – dies wiederum ist ganz folgerichtig, Hunt und mithin Cruise sind umso mehr an die Filmreihe gebunden. Ja, man merkt Dead Reckoning die ungemein einnehmende Präsenz Tom Cruises‘ deutlich an, die Strahlkraft – seine weißen Zähne sind da wie gewohnt überaus hervorstechend – ist es, die alle filmübergreifenden dramaturgischen Widersprüche überblenden will. Die Mission Impossible-Filme und ihr Hauptdarsteller stehen in einem Verhältnis des gegenseitigen Evozierens. Damit ist die Reihe sowohl für Cruises Star-Image – mehr noch als etwa Top Gun (1986, 2022) – bedeutsam als auch für die Entwicklung des Actionkinos.

Marc Trappendreher
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