Ziemlich zeitgleich könnte im Herbst über den Index und die Wettbewerbsfähigkeit, aber auch über den Klimaschutz diskutiert werden

Ein Volksfest

d'Lëtzebuerger Land vom 27.05.2010
Das hörte sich nach einer Veranstaltung an, wie der Mouvement écologique sie gern hat: Nach einer groß angelegten Politik-Debatte mit allen forces vives de la nation, die zum Schluss sogar „nah beim Bürger“ ankommen sollte.

Ungefähr so hatten Nachhaltigkeitsminister Claude Wiseler und sein Sozius Marco Schank, kaum waren sie in der Vorweihnachtszeit 2009 vom Kopenhagener Klimagipfel zurückgekehrt, den Weg skizziert, auf dem Luxemburg zu einem „Klima und Nachhaltigkeitspakt“ gelangen sollte. Zur Diskussion werde alles gestellt, was CO2-emissionsrelevant ist, gaben die beiden CSV-Minister bekannt: Transport und Mobilität, Wohnungsbau, Energie, Forschung und die Perspektive „grüner Jobs“ hierzulande. Zunächst würde in Arbeitsgruppen mit den Gemeinden, den Gewerkschaften und dem Patronat, mit Umwelt- und Entwicklungshilfe-NGOs diskutiert, im kommenden Herbst die Öffentlichkeit beteiligt. Bis Jahresende sollten die Prinzipien für den Zweiten nationalen Klimaschutz-Aktionsplan feststehen.

Doch wer sich beim Nachhaltigkeitsminister erkundigt, wie weit die Vorbereitungen zum klimapolitischen Volksfest gediehen sind, erhält keine Antwort. Und jene, die vorab bevorzugt mitdiskutieren sollen, wundern sich, dass sie noch nicht zu Arbeitsgruppen-Gesprächen der „Multipartite“ eingeladen wurden. Das geht den im Votum Klima zusammengeschlossenen NGOs nicht anders als der Fedil.

Dabei gibt es schon einen konkreteren Fahrplan. Marco Schank stellte ihn am 7. April dem parlamentarischen Nachhaltigkeitsausschuss vor. Aber wie es aussieht, wird alles etwas länger dauern, als im Dezember gedacht. Der „Synthesebericht“ von sechs Arbeitsgruppen– von Mobilität über Energie bis hin zu einem „Kommunalpakt“ – soll nicht schon kommenden Herbst fertig sein, sondern erst Anfang 2011. So lange werden die Bürger sich gedulden müssen.

Das muss nicht schlecht sein. Immerhin wurde ein derartiger Versuch an Politikgestaltung hierzulande noch nie unternommen. Und dass es nicht schaden kann, klimapolitische Entscheidungen sorgfältig vorzubereiten, ehe man sie der Öffentlichkeit unterbreitet, hat der erste Aktionsplan gezeigt. Aufgestellt wurde er im April 2006. Seine öffentlichkeitswirksamste Neuerung war die CO2-abhängige KFZ-Steuer. Deren wenig professionelle Einführung führte zum jahrelang anhaltenden Zorn von Autofahrern und Automabilclub.

Doch wenn erst im Herbst über Klimaschutz und Nachhaltigkeit diskutiert wird, ergibt sich ein terminliches Zusammentreffen, mit dem noch niemand rechnen konnte, als Schank am 7. April im Nachhaltigkeitsausschuss gefragt wurde, wie weit der politische Einfluss der Klima-Multipartite reichen werde. Würden die wesentlichen Entscheidungen nicht schon bis Ende April von der Tripartite getroffen?

Nur zwei Tage später fand jene Tripartite-Samstagsrunde statt, auf der die Sparvorschläge der Regierung, einschließlich einer Änderung am Index-Warenkorb, vorgestellt wurden. Eine Gewerkschafts-Einheitsfront, eine Koalitionskrise und eine vom Premier abgebrochene Tripartite später sieht es so aus, als könnte die Tripartite, wenn sie sich im Herbst erneut trifft, etwa zeitgleich mit den Klimaschutz-Arbeitsgruppen tagen.

Aber würde es die Regierung als Chance verstehen, wenn die beiden Gremien einander beeinflussen? Die Sozialpartner sind auch in der Klima-Runde vertreten, und während die Tripartite die Wettbewerbsfähigkeit und den Index erörtern wird, geht es der anderen Runde um Zusammenhänge, die durchaus Index-relevant sein können. Das wäre zum Beispiel dann der Fall, wenn ernsthaft in Erwägung gezogen würde, in Luxemburg, dem weltweit größten Pro-Kopf-Emittenden, eine CO2-Steuer oder eine allgemeine Energieverbrauchssteuer einzuführen.

Oder falls man beschlösse, sich auf geringere Akzisen- und Mehrwertsteuereinnahmen aus dem Tankstellengeschäft einzustellen, damit nach und nach auf den Tanktourismus verzichtet werden kann, der zu über 40 Prozent zu den nationalen Treibhausgasemissionen beiträgt. In Frage stünden dann auch Staatseinnahmen von an die 1,5 Milliarden Euro jährlich, und schon ein paar hundert Millionen davon abzuschreiben, würde an anderer Stelle entweder Sparmaßnahmen oder Steuererhöhungen voraussetzen.

Ein Teil der Antwort, welche Steuern denn erhöht werden könnten, wären möglicherweise verbrauchsabhängige CO2- oder Energiesteuern. Doch abgesehen davon, dass Verbrauchssteuern tendenziell sozial ungerecht sind, wüchse zwangsläufig das Gewicht der Energieprodukte im Index-Warenkorb – und eine CO2-Steuer- oder Tanktourismus-Debatte wäre nicht zu haben ohne Konflikt um den Index.

Dass die Multipartite fürs Klima auf solchen Ideen kommen könnte, ist von vornherein erschwert. Dass sie eine Arbeitsgruppe „Fiskalpolitik“ erhalten sollte, war nie vorgesehen. Obwohl Claude Wiseler und Marco Schank im Dezember noch mutig erklärt hatten, bei den Diskussionen werde „nichts tabu“ sein, und falls nötig, würden in Zukunft zum Klimaschutz auch Zwangsmaßnahmen ergriffen.

Überdies scheint noch nicht ganz klar zu sein, wie verbindlich die Beschlüsse aus der Multipartite sein sollen: War im Dezember noch von einem „Pakt für Klima und Nachhaltigkeit“ die Rede, trug Marco Schank dem Parlament im April die Grundzüge eines „Partenariat national pour l’environnement et le climat“ vor. Ob das etwas anderes ist als der „Kommunalpakt“, der zwischen Staat und Gemeinden angeschlossen werden soll, zu dem die Gespräche bereits begonnen haben und der „Rechte und Pflichten“ für beide Seiten fixieren soll, ähnlich wie der Wohnungsbaupakt? Man wird sehen.

Die Frage ist nur, welcher Beitrag aus einem Gesprächskreis mit eingeschränkten Aktionsradius wird kommen können. Der nächste Klimaschutz-Aktionsplan wird vor allem für die Zeit nach Außerkrafttreten des Kioto-Protokolls geschrieben. So lange es kein internationales Nachfolgeabkommen gibt, gelten ab 2013 für Luxemburg die Klimaschutzziele, die die EU sich 2008 im Klima- und Energiepaket gegeben hat. Das hieße, bis zum Jahr 2020 den CO2-Ausstoß um 20 Prozent gegenüber 2005 zu senken.

Das ist ein bequemeres Ziel als die minus 28 Prozent aus dem Kioto-Protokoll, die bis Ende 2012 im Vergleich zu 1990 zu erreichen sind und fast vollständig durch Einkäufe auf dem internationalen Markt der „flexiblen Instrumente“ realisiert werden. Der Kölner Finanzwissenschaftler Dieter Ewringmann, der seit acht Jahren Expertengutachten zu Klima und Energiefragen geschrieben hat, geht davon aus, „dass Luxemburg die EU-Ziele bis 2020 mit einiger Zuversicht anzusteuern“ könne – weitgehend durch Maßnahmen daheim, und ohne den Tanktourismus in Frage stellen zu müssen.

Doch innerhalb der EU wird diskutiert, das gemeinsame Ziel auch ohne Kioto-Nachfolgeabkommen auf minus 30 Prozent zu ändern. Dass Luxemburg diese Position unterstützt und sich in diesem Fall ein „identisches Ziel“ geben werde, steht sogar im Koalitionsvertrag von CSV und LSAP. So deutlich hat bisher keine Luxemburger Regierung sich zu mehr Klimaschutz bekannt. Ein Reduktionsziel von minus 30 Prozent aber werde Luxemburg „meiner Ansicht nach nicht erbringen können, ohne im Verkehrssektor abzuspecken“, meint Ewringmann. Vor allem dann nicht, wenn Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum wieder anzögen und die Pendlerströme wieder wüchsen. Dann stelle sich „die bekannte Problematik der Spritakzisen“.

Aber es ist nicht sicher, inwiefern die Regierung sich diesen Zusammenhängen wirklich stellen will. Ganz ohne Klimaschutz-Engagenemt ist absehbar, dass gegen 2015 durch weit reichende Harmonisierungen der Diesel-Akzisen für LKW-Kunden in der EU die Tanktourismuseinnahmen einzubrechen drohen. Aber dass die Frühjahrs-Tripartite die Staatsfinanzen, den Arbeitsmarkt und die Wettbewerbsfähigkeit noch nicht mit dem Klimaschutz zusammendachte, lässt sich daran ablesen, dass der Nachhaltigkeitsminister an keiner einzigen Tripartite-Runde teilnahm. Derweil hat die Regierung dem Büro der UN-Klimarahmenkonvention einen Bericht übersandt, in dem mit viel Aufwand nachzuweisen versucht wird, dass der Umfang der Treibstoffexporte aus Luxemburg allein von der Akzisenpolitik der Nachbarländer abhänge. Zu vermuten ist also doch, dass es der Regierung am liebsten wäre, wenn die Klima-Multipartite so wenig wie möglich über Geld spricht.
Peter Feist
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