Kommenden Mittwoch, mitten in den Sommerferien, trifft sich das Direktorium der Pflegeversicherung. Es wird die Einnahmen- und Ausgabenbilanz des letzten Jahres gutheißen. Gewöhnlich konnte das immer bis zum Herbst warten.
Besteht diesmal eine Dringlichkeit? Vordergründig nicht: Die Gesundheitskasse CNS, von der die Finanzen der Pflegekasse verwaltet werden, hat personell aufgestockt und kann den Kassenabschluss nun früher vorlegen. Doch der Pflegeversicherung droht tatsächlich das Geld auszugehen. Nicht gleich, aber immerhin schon in zwei Jahren. Weil das keine allzu ferne Zukunft ist, könnten nächste Woche zumindest die Gewerkschaften darauf zurückkommen. Sie hatten in den letzten beiden Jahren immer wieder verlangt, dass die Regierung den Staatsbeitrag zur Pflegeversicherung wieder auf den „alten Umfang“ bringt.
Gemeint ist damit, dass der Staat laut Pflegeversicherungsgesetz eigentlich 40 Prozent der Ausgaben der Pflegekasse tragen müsste. Doch diese Regel hob die Regierung 2006 durch ein Tripartite-Gesetz auf und schrieb den Staatsbeitrag stattdessen auf 140 Millionen Euro jährlich fest. 2007 waren die Ausgaben der Pflegeversicherung noch klein genug, dass die neue Pauschale ihr 6,5 Millionen Euro mehr aus der Staatskasse einbrachte, als die anteiligen 40 Prozent ergeben hätten. 2008 dagegen waren die Pflegeausgaben schon so hoch, dass die Staatskasse entlastet wurde, wie die Regierung in der Tripartite gehofft hatte: um drei Millionen Euro in jenem Jahr und 2009 gar um 22 Millionen Euro. In den Jahresbudgets 2010 und 2011 der Pflegeversicherung schließlich wurden Ausgaben in einer Höhe veranschlagt, zu denen der Staatsbeitrag um 40 beziehungsweise 44 Millionen Euro höher ausfallen müsste, gälte die 40-Prozent-Regel. Wie die Dinge 2010 tatsächlich lagen, wird sich am Mittwoch klären.
Der OGBL hat nicht Unrecht, wenn er behauptet, 2010 und 2011 habe der Staat die Pflegeversicherung unterfinanziert: Die 140-Millionen-Pauschale war im Tripartite-Gesetz auf drei Jahre befristet. Dass Ende 2009 „neu verhandelt“ würde, steht im Koalitionsvertrag der neu-alten Regierung. Doch bisher konnte Sozialminister Mars Di Bartolomeo (LSAP) sich gegen Finanzminister Luc Frieden (CSV) noch nicht durchsetzen, um zum status quo ante zurückzukehren. Gegenüber dem Land erklärte Di Bartolomeo diese Woche: „Der Motor muss wieder anspringen!“ Ob das geschieht, wird sich spätestens am Budgetgesetzentwurf für 2012 zeigen: Falls darin der Passus aus dem Tripartite-Gesetz einfach fortgeschrieben wird wie in den letzten beiden Jahren, bleibt der Motor weiter stehen.
Aber je länger das dauert, desto mehr entsteht der Pflegeversicherung ein Strukturproblem. Um sie durch die kleine Defiskalisierung nicht in zu große Bedrängnis zu bringen, verfügte die Regierung für Anfang 2007 auch eine Beitragserhöhung. Sie betrug immerhin 40 Prozent und war eigentlich ebenfalls auf drei Jahre befristet. Doch sie verhalf der Pflegekasse nur bis 2008 zu einer höheren Reserve. 2009 sank die Reserve um neun Prozent, und im Pflege-Budget 2011 übersteigen die geplanten Ausgaben die Einnahmen derart, dass der Beitragssatz eigentlich 1,52 Prozent betragen müsste und nicht 1,4 Prozent. Damit sänke die Reserve weiter.
Letzten Endes könnte die Bilanz zwar günstiger ausfallen, weil die Beschäftigung und die Lohnmasse sich 2010 und 2011 vermutlich positiver entwickelt haben werden, als in den Krisen-Budgets angenommen. Doch die Pflegeausgaben wachsen rasch. Sie stiegen zwischen 2007 und 2009 um 20 Prozent, und wenn eintritt, was die CNS für dieses Jahr geplant hat, dann wird der Ausgabenanstieg gegenüber 2007 mehr als 38 Prozent betragen.
Mag sein, dass sich dahinter auch Kosten verbergen, die sich senken lassen – eine Reform der Pflegeversicherung, mit der auch überprüft wird, was unter Pflege zu verstehen sein soll, hat der Sozialminister sich vorgenommen, sobald die Pensionsreform unter Dach und Fach ist. Doch schon durch die demografische Entwicklung wird der Pflegebedarf weiter wachsen. 50 Prozent der Pflegebedürftigen in Luxemburg sind über 80 Jahre alt, der Anteil der 80-Jährigen an der Bevölkerung aber könnte sich in den nächsten 40 Jahren auf fast zehn Prozent verdoppeln. Und allein, weil in den OECD-Staaten an die zwölf Prozent der 80- bis 84-Jährigen an einer Altersdemenz leiden und fast ein Viertel der über 85-Jährigen, sind steigende Kosten programmiert. Die Pflegeversicherung „zukunftsfähig“ zu machen, hieße, die Finanzierung dieser Kosten abzusichern.
Zumal auf Luxemburg womöglich noch eine besondere Herausforderung wartet: Pflegeleistungen sind gegenwärtig nur eingeschränkt „exportabel“. Grenzpendler, die in ihrem Wohnsitzland pflegebedürftig werden, erhalten aus der Luxemburger Pflegekasse nur etwas, wenn sie ihr gesamtes Berufsleben im Großherzogtum verbracht haben und im Wohnsitzland keinerlei Pensionsanspruch geltend machen können. Und selbst ein Grenzpendler mit einer Vollrente aus Luxemburg hätte lediglich Anspruch auf Geldleistungen aus der Luxemburger Pflegekasse. Geldleistungen aber sind auf 10,5 Stunden Pflege pro Woche beschränkt, während Sachleistungen in Luxemburg für 24,5 Stunden oder mehr gewährt werden können. All diese Ungleichbehandlungen sind zwar durch EU-Regelungen gedeckt. Aber je älter die Frontaliers werden, desto wahrscheinlicher wird es, dass einer mit den Anti-Diskriminierungsprinzipien der Union in der Hand dagegen Klage führt. Je nachdem, wie ein Urteil ausfiele, könnte die Luxemburger Pflegeversicherung viel teurer werden, und man müsste das nur gerecht nennen.