Die Grundschulreform war nur der Anfang. Jetzt will sich die schwarz-rote Koalition den Sekundarunterricht vorknöpfen. Die Umstellung von Jahrgangsklassen auf Lehrzyklen mit kompetenzorientiertem Unterricht hatte das Pilotprojekt im unteren Zyklus des technischen Unterrichts (Proci) schon vorweg genommen. Ebenso das Prinzip, schwache Schüler nicht einfach die Klasse wiederholen zu lassen, sondern über Fördermaßnahmen aufzufangen. Nach dem Erfolg bei Pisa soll die Proci-Prinzipien auf sämtliche Schulen im Land ausgedehnt werden. Die Programme der 7e wurden schon auf Mindestkompetenzen umgestellt, es folgen 6e und 8e – die Richtung ist klar: Der gesamte Sekundarunterricht, vom cycle inférieur bis zum cycle supérieur, wird entlang der Kompetenzlogik umstrukturiert.
Die Änderungsabsichten der Unterrichtsministerin gehen noch einen Schritt weiter. Künftig sollen unterschiedliche Sprachniveaus erlaubt sein. Die Brandbriefe empörter Französischlehrer, die daraufhin durch die Presse gingen, sind nur ein Vorgeschmack auf das, was die Ministerin in den kommenden fünf Jahren an Gegenwind erwarten könnte. Als das Ministerium im Herbst ein Reflexionspapier zu unterschiedlichen Sprachanforderungen für die Berufsausbildung vorlegte, blieben derlei Proteststürme aus: Das klassische Gymnasium war ja nicht gemeint.
Doch die Zeiten haben sich geändert und inzwischen überwiegt die Sorge, Luxemburgs Schüler könnten dauerhaft ins Hintertreffen geraten. Da kommen alte Denkbarrieren ins Wanken. Im Kern bedeuten die Koalitionspläne eine – wenngleich äußerst zaghaft formulierte – Kritik an der Effizienz des zweigliedrigen Schulsystems, aber nicht am System selbst. Das Vorhaben, in klassischen Lyzeen auch technische Klassen anzubieten und mehr auf Allgemeinbildung denn auf Spezialisierung zu setzen, ist ein Schritt, die Durchlässigkeit zwischen den Schulzweigen zu erhöhen. Sogar das Teufelswort „tronc commun“ hat es irgendwie ins Regierungsabkommen geschafft – allerdings grob sinnverzerrt, als Forderung,„pour tous un tronc commun des compétences indispensables à la fin de l’enseignement secondaire“ einzurichten. Was sie damit meint, wird die Ministerin auf ihrer traditionellen Rentrée-Pressekonferenz erklären müssen. Gleiche Mindestanforderungen für alle und „gemischte Schulen“ (mit in ES und EST getrennten Klassen) werden kaum ausreichen, um die eklatante Bildungsungerechtigkeit zu beheben. Der Zugang zum classique und die Förderung der (sozial) schwachen Schüler bleiben das brennende Problem.
In der Aufregung um den schlechten Platz Luxemburgs beim Pisa-Ranking ging eine Frage unter: Wie gut bereitet unser Lyzeum die Schüler vor? Selbst die besten Sekundarschüler zeigen im OECD-Vergleich eher durchschnittliche Leistungen. Doch während anderswo das Schulangebot hinterfragt wird und sogar die Systemfrage kein Tabu mehr ist, tut sich Luxemburg noch immer schwer: Eine tiefgründige Auseinandersetzung über die Qualität unseres zweigliedrigen Systems und die soziale Segregation, die es reproduziert, ist bis heute ausgeblieben.
Daran trägt das Unterrichtsministerium Mitschuld. Denn obgleich Schulen via Protocole d’action qualité (Paqs) auf Herz und Nieren geprüft werden, dringen Informationen dazu kaum nach außen. Durch die Entscheidung, die Paqs-Ergebnisse der Öffentlichkeit vorzuenthalten, leistet das Ministerium Mythen Vorschub, wonach etwa Schulen in sozial benachteiligten Stadtteilen per se schlechter seien als namhafte Gymnasien. Insider aber wissen, dass beispielsweise Schüler des Lycée technique de Bonnevoie überdurchschnittlich gut in Französisch abschneiden. Andere Daten fehlen völlig, etwa welche Schüler aus welchen sozialen Milieus sich wie in welcher Schule entwickeln. Oder wie „objektiv“, zuverlässig und „sozial gerecht“ die Orientierung nach der 6e in der Grundschule wirklich ist. Es spricht einiges dafür, dass für Luxemburg dasselbe Phänomen gilt wie in anderen Ländern: und Lehrer wie Eltern dazu neigen, Schüler eher aufgrund ihrer sozialen Herkunft bestimmten Schulzweigen zuzuweisen und weniger aufgrund ihrer schulischen Leistung.
So bleiben erst einmal viele Fragezeichen: Anstelle von Kosmetik und symbolhafter Aktionen wird es darauf ankommen, den Zusammenhang zwischen Schulsystem, Unterrichtsqualität und Schülerherkunft und -leistung ehrlich und ohne falsche Tabus zu beleuchten – und Änderungen plausibel zu begründen. Eine Garantie, dass Reformen somit leichter durchzuführen sind, ist das nicht. Aber eine – unabdingbare – Argumentationsbasis gegen vorhersehbare Kritik.