Nach der Finanz- und Wirtschaftskrise fanden die Regierungen der wichtigsten Staaten in Europa und Amerika, dass sie fürderhin nicht bloß auf irgendeinen Teil, sondern nun plötzlich auf den Großteil der diskreten Dienste von Steueroasen verzichten wollten. Weil sie eine Benachteiligung ihnen nahestehender Unternehmen im globalisierten Konkurrenzkampf befürchteten, weil sie angesichts des hohen Staatsdefizits jeden Euro oder Dollar Steuergelder brauchten und weil sie die in Verruf geratenen Wirtschaftsverhältnisse moralisch legitimieren mussten.
Seither muss Luxemburg unter dem gemeinsamen Druck der Europäischen Union und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) binnen kürzester Zeit die Sparte Steueroase seiner Volkswirtschaft, einen wichtigen Teil des Finanzplatzes, demontieren. Die bittere Ironie der Geschichte will es, dass mit Pierre Gramegna ausgerechnet ein liberaler Finanzminister und ehemaliger Direktor der Handelskammer es am Mittwoch vor dem Parlament „nicht in Ordnung finden“ musste, „dass die alten Regeln einem Unternehmen erlauben, in dem einen Land seine Aktivitäten zu haben und in einem anderen bloß einen Briefkasten, aber den ganzen Gewinn über diesen Briefkasten zu verrechnen und dadurch zu erreichen, dass es weder in dem einen noch in dem anderen Land fair Steuern zahlt“.
Nicht ohne gespielte Entrüstung entdeckte der Finanzminister, es sei „eine Realität, dass es eine Reihe Firmen in Luxemburg gibt, die nur ganz wenig Substanz hier im Lande haben, die keine oder kaum Angestellte haben, und die es bloß gibt, um an anderen Orten Steuern zu sparen. Das ist legal, aber nicht mehr tragbar. Auf dieses schnelle Geld muss das Land in Zukunft verzichten und sich deshalb neu aufstellen“. Denn „die Zeiten der aggressiven Steuervermeidung sind vorüber“.
Während Jahrzehnten hatten alle Regierungen gleich welcher Zusammensetzung nur auf den gesunden Steuerwettbewerb und die nationale Steuerhoheit gepocht. Doch nun versuchte Pierre Gramegna plötzlich, stolz darauf zu sein, dass er aktiv beim Kampf der OECD gegen die Verringerung der Bemessungsgrundlage und das Hin- und Herschieben von Profiten (Beps) geholfen habe (d’Land, 9.10.2015). Obwohl sie hierzulande von einer Steuerberatungsindustrie, größer als die Stahlindustrie, und gemeinsam mit der Steuerverwaltung organisiert werden. Gleichzeitig bereitete er die Öffentlichkeit darauf vor, dass die Steuervorentscheide von Amazon und Fiat für die Steuerverwaltung, die sie abgestempelt hatte, vielleicht „korrekt“ seien, dass die Europäische Kommission diese Rulings aber demnächst wohl „als illegale Beihilfen ansehen“ wird.
International gehe „der Trend ganz klar in Richtung Transparenz, automatischen Informationsaustausch“, so Pierre Gramegna, und „Luxemburg hat während der letzten Monate auf diesem Gebiet eine treibende Rolle gespielt“. Aber die Transparenz ging selbstverständlich nicht so weit, Angaben über den Anteil zu machen, den die Sparte Steueroase an den Staatseinnahmen hat – und der rapide abzunehmen droht.
Denn nach der Abschaffung der Holdings und des Bankgeheimnisses ist es nun an den Steuervorentscheiden und der Mehrwertsteuer auf dem Internet-Handel. Und mit dem Entwurf des Haushaltsgesetzes für nächstes Jahr muss die Regierung weitere Steuervergünstigungen für ausländische Firmen abschaffen, die oft nur wegen dieser Steuervergünstigungen Niederlassungen in Luxemburg unterhalten.
Das kurze Leben der Patent Boxes Er wurde nur acht Jahre alt: Ende 2007 hatte das Parlament einen neuen Artikel 50bis des Einkommenssteuergesetzes gestimmt. Bis dahin hatten viele internationale Gruppen ihre Marken, Patente und andere immaterielle Güter in Luxemburger Briefkastenfirmen gesammelt, um Steuern zu sparen und sie bei Bedarf Tochterfirmen zu überhöhten Preisen zu verrechnen und so den besteuerbaren Gewinn in anderen Ländern senken zu können. Als die Europäische Union dann für 2010 das Ende der Holdings erzwang, von denen viele das geistige Eigentum von Firmen steuergünstig in Luxemburg sammelten, konnten durch den neuen Gesetzesartikel ab 2008 Firmeneinkommen aus Computer-Programmen, Erfinderpatenten, Marken, Logos und sogar Internet-Adressen bis zu 80 Prozent von der Einkommenssteuer befreit werden. Dadurch erhoffte sich die damalige CSV/LSAP-Koalition mit Zustimmung der DP nicht nur, die bestehenden Firmen im Land zu halten, sondern auch Portefeuilles von Internet-Adressen aus exotischeren Steueroasen nach Luxemburg zu locken (d’Land, 12.12.2014).
Doch nun muss auch diese Bestimmung über die steuerliche Bezuschussung von Patent Boxes oder IP Boxes für „Intellectual Property Boxes“ „an die neuen Regeln“, vor allem das OECD-Abkommen vom Ende vergangenen Jahres, „angepasst“, so Pierre Gramegna, das heißt abgeschafft werden. Ab Juli nächsten Jahres verschwinden Artikel 50bis und sechs Monate später auch Artikel 60bis des Bewertungsgesetzes, nach dem die Betriebsvermögen bewertet werden. Gleichzeitig wird die im OECD-Abkommen vorgesehene fünfjährige Übergangsregelung bis Juni 2021 geschaffen. Bis Mitte nächsten Jahres können auch noch neue Firmen von Artikel 50bis und anschließend den Übergangsbestimmungen profitieren.
Gleichzeitig sieht der Entwurf des Haushaltsgesetzes vor, dass die Steuerverwaltung den ausländischen Steuerämtern die Namen ihrer Steuerpflichtigen mitteilt, die in Luxemburg in den Genuss der Steuererleichterungen auf seit Februar dieses Jahres eingetragenem geistigem Eigentum kommen. Finanzminister Gramegna stellte am Mittwoch in Aussicht, dass mit der für 2017 angekündigten Steuerreform ein Ersatz für die bisherige Bezuschussung von Patent Boxes eingeführt werde. Ob der Ersatz schon gefunden wurde, sagte der Minister nicht.
Das noch kürzere Leben der Mindestkörperschaftssteuer Das Ende 2010 verabschiedete Spar- und Steuerpaket, das die CSV/LSAP-Regierung mühsam mit Gewerkschaften und Unternehmern ausgehandelt hatte, führte 2011 einen Mindestbetrag für die Körperschaftssteuer von Beteiligungsgesellschaften ein. Doch inzwischen entdeckte die Europäische Kommission in dieser als Beitrag zur Steuergerechtigkeit gefeierten Regelung ein übertriebenes Schachtelprivileg, weil dadurch verschiedene Mutterfirmen keine Steuern auf Dividenden zahlen müssen, die sie von ihren Tochterfirmen erhalten.
Da dies nach einer Klage wegen Verstoßes gegen die Europäische Richtlinie über die Besteuerung von Mutter- und Tochterfirmen aussieht, brachte Finanzminister Pierre Gramegna diese Woche einen Gesetzentwurf im Parlament ein, mit dem Artikel 174 Absatz 6 des Einkommensteuergesetzes nächstes Jahr abgeschafft und die Mindeststeuer für Beteiligungsgesellschaften einschließlich der Solidaritätssteuer bei gleichbleibenden Beträgen von der Körperschaftssteuer auf die Vermögenssteuer übertragen werden soll.
Da es sich bei der Operation um eine bloße Umschichtung handele, meinte der Finanzminister, dass sie keine Auswirkungen auf die Steuereinnahmen haben werde. Der Haushaltsentwurf sieht für nächstes Jahr einen Anstieg der Vermögenssteuereinahmen von 285 auf 430 Millionen Euro bei einem gleichzeitigen Rückgang der Körperschaftssteuereinnahmen von 1 592 auf 1 569 Millionen Euro vor.
Wenn sie gezwungen werden, Steuervergünstigungen für internationale Gesellschaften abzuschaffen, versuchen die Regierungen, sie durch neue Bestimmungen zu ersetzen. Aber diese werden immer kurzlebiger, fallen ihrerseits wieder den Kritiken von EU und OECD zum Opfer.
Aufgeblähter Buchwert In den Gesetzentwurf über den Mindestvermögenssteuerbetrag hat das Finanzministerium eine neue Regelung gepackt, um hierzulande nicht wohnhafte Steuerpflichtige zu ermutigen, sich in Luxemburg niederzulassen. Dazu sollen sie die Besteuerung eines Teils des Mehrwerts geschenkt bekommen, den sie beim Verkauf alter Beteiligungen erzielen.
Zu diesem Zweck soll die in anderen Ländern bestehende Möglichkeit des Step-up, der künstlichen Erhöhung des Buchwerts von Beteiligungen, in das Steuerrecht eingeführt werden. Der Mehrwert wird nicht als Differenz zwischen dem Verkaufspreis und dem Kaufpreis einer Beteiligung berechnet, sondern zwischen dem Buchwert der Beteiligungen zum Umzugsdatum und dem Verkaufspreis. Dadurch fällt die Differenz, der besteuerbare Mehrwert, deutlich geringer aus.
Amnestie für Steuerbetrüger Durch den am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getretenen automatischen Informationsaustausch muss die Luxemburger Steuerverwaltungen ausländischen Steuerämtern künftig Mitteilungen über die Vermögens- und Einkommensverhältnissen von Ausländern machen, die Geld in Luxemburg halten. Dadurch droht eine auf der Beihilfe zur Steuerhinterziehung gründende Geschäftsnische des Finanzplatzes zu verschwinden. Aber als ungewollte Begleiterscheinung erhält die Luxemburger Steuerverwaltung ab nächstem Jahr auch Mitteilung über die Vermögens- und Einkommensverhältnisse von Luxemburgern, die Geld im Ausland versteckt haben.
So bekommt die Steuerverwaltung die Möglichkeit, die Strafverfolgung gegen die enttarnten Steuerhinterzieher und Steuerbetrüger einzuleiten und sie nach den Absätzen 396 und 402 der Abgabenordnung sowie Artikel 29 des Gesetzes über die Steuereintreibung zu bestrafen oder bestrafen zu lassen – neben Geldbußen von bis zu 1 000 Prozent der Steuerschuld drohen ihnen bis zu zwei Jahre Gefängnis. Eine Strafverfolgung dienst selbstverständlich auch dem Vertrauen der Steuerzahler in die Steuergerechtigkeit und der Glaubwürdigkeit des Rechtsstaats.
Doch die Regierung beschloss nun eine Steueramnestie. Der Entwurf des Haushaltsgesetzes für 2016 sieht einen Zusatz zur Abgabenordnung vor, der Steuerhinterziehern und Steuerbetrügern keinen Erlass der Steuerschuld, aber Straffreiheit anbietet, wenn sie vor Ende 2017 der Steuerverwaltung die Einkommen und Vermögen mitteilen, die sie bis dahin verheimlicht hatten.
Auf der Grundlage einer „berichtigten Steuererklärung“ müssen die überführten Steuerbetrüger dann ihre Steuerschuld rückwirkend bis zur Verjährungsfrist begleichen sowie ein zehnprozentiges Aufgeld zahlen, wenn sie sich nächstes Jahr melden, und ein 20-prozentiges Aufgeld, wenn sie sich erst 2017 melden.
Sicher gibt es mehrere Gründe dafür, dass der Finanzminister so viel Nachsicht gegenüber Steuerhinterziehern und Steuerbetrügern zeigt: Wenn diese ihr Schwarzgeld selbst melden, bleiben der ohnehin überlasteten Steuerverwaltung die aufwändigeren Prozeduren der Strafverfolgung erspart. Für eine liberale Regierung ist Steuerhinterziehung villeicht auch ein Kavaliersdelikt, und sie möchte weder bei ausländischen Investoren noch bei den wohlhabenderen Wählern der traditionellen Steuersenkungspartei DP den Eindruck erwecken, dass sie von der für Luxemburg typischen Kulanz in Steuerfragen abrückt.