Unter den Wanderwegen, die von Bahnhof zu Bahnhof verlaufen, gibt es im Ösling einen von Goebelsmühle nach Kautenbach. Er führt zunächst entlang der Bahnstrecke und dann bergan in den Wald, und nach einem Wegdrittel vielleicht erblickt man rechter Hand eine weite Fläche, auf der kein Baum mehr steht. Schätzungsweise umfasst sie gut einen Hektar, wenn nicht mehr.
Einwohner des Ösling erzählen, sie hätten den Eindruck, dass solche Abholzungen in den letzten ein, zwei Jahren zugenommen haben – nicht nur auf kleinen Parzellen, sondern auf großen ebenfalls. Den Eindruck hat Jean-Jacques Erasmy auch: „Das erleben wir immer, wenn die Holzpreise gut sind, und derzeit sind sie gut.“ Doch wie es sich genau verhält mit den „Kahlschlägen“, kann Erasmy nicht sagen, obwohl er Direktor der Staatlichen Natur- und Forstverwaltung ist. Denn im Ösling, besser: im Forstbezirk Wiltz, befinden sich 80 Prozent des Waldes in Privatbesitz. Und während in den Staats- und Gemeindewäldern Kahlschläge verboten sind, geht, was Privatleute mit ihren Forsten tun, die Staatsverwaltung nach der geltenden Rechtslage nicht allzu viel an.
Bei Lëtzebuerger Privatbësch, dem Verband der Waldbesitzer, hat man allerdings ebenfalls keinen genauen Überblick über Kahlschläge. „Dazu liegen uns keine Zahlen vor“, sagt Winfried von Loë, der Assessor des Forstdienstes von Privatbësch. Aber dass auch immer mehr große Flächen im Ösling abgeholzt würden, treffe zu. Das liege zum einen an den „seit 2010“ gestiegenen Holzpreisen. Andererseits daran, dass die Forstverwaltung im Rahmen von EU-Programmen an Bachläufen Fichten fällen lasse. „Die Besitzer angrenzender Wälder fürchten dann, dass der Wind ihre Bäume umwerfen könnte, und fällen sie vorsichtshalber.“
Diese Behauptung weist Erasmy zurück. „Wir haben in den letzten zehn Jahren hundert Hektar an Bächen gefällt. Das ist nicht viel.“ Und wo gefällt wurde, sei es „immer direkt in die Hänge hoch gegangen“ und „Windwurf keine Gefahr“.
„Extrem zerstückelter Besitz“
Aber über die Rolle des Holzpreises sind die beiden Förster sich einig. Dass auch der Förster des Privatbesitzerverband die Lage nicht wirklich kennt, hat mit einem der großen Probleme im heimischen Forstwesen zu tun, der „extremen Zerstückelung“ der privaten Wälder, wie die Forstverwaltung es nennt. Die landesweit zuletzt gezählten 47 000 Hektar privater Forsten gehören 13 000 unterschiedlichen Besitzern. Über 9 000 von ihnen halten jedoch nicht mehr als drei Hektar. Die verteilen sich obendrein nicht selten auf mehrere Parzellen in unterschiedlichen Gemeinden. Und weil im Ösling über ein Drittel der Luxemburger Waldfläche konzentriert ist und dieses Drittel zugleich etwas mehr als die Hälfte allen Privatwalds ausmacht, müssen die Besitzungen dort besonders zerstückelt sein. Dazu passt, dass der Wiltzer Forstdienst ermittelt hat, dass rund um den Stausee etwa jeder Privatier im Durchschnitt nur einen halben Hektar Wald hält. 50 Ar also.
Ob so viel Zerstückelung dazu führt, dass Besitzer kleiner Flächen ihren Wald abholzen lassen, wenn die Holzpreise stimmen, ist schwer zu sagen mangels Zahlen. „Die Tendenz ist nicht einheitlich“, meint Forst-Assessor von Loë. Doch es könnte gut möglich sein, dass die Kahlschläge noch zunehmen. Das ergibt sich auch aus der besonderen Struktur der Forsten im Ösling. Die 30 000 Hektar sind überwiegend Nadelwälder aus Fichten und Douglasien, gefolgt von Lohhecken. Standortgerecht aus ökologischer Sicht ist weder die eine noch die andere Art – sondern das ist eigentlich die Buche, wie sie in den anderen Wäldern im Lande vorherrscht.
Nadelwälder und Lohhecken aber sind ein wirtschafts- und sozialhistorisches Erbe im Ösling. Bis ins 18. Jahrhundert hinein waren die Wälder auch hier überwiegend Buchenwälder. Dann aber kam die Ledergerbung mit Eichenrinde auf, und der Waldbestand im Ösling wurde nach und nach zum größten Teil auf niedrig wachsende Eichen umgestellt. Die Rinde der so genannten Louhecken aber bildete nicht nur die Grundlage für die Gerberlohe, sondern auch für die erste Industrie in Luxemburg: 1741 wurde in Clerf die erste Gerberei eröffnet.1830 gab es im Großherzogtum an die 100 Gerbereien, die hauptsächlich im Norden lagen. Allein 16 befanden sich in Wiltz. Bis zur Wende zum 20. Jahrhundert waren im Ösling von 30 000 Hektar Buchenwälder 26 000 Hektar in Louhecken verwandelt worden.
Ende des 19. Jahrhunderts aber war die chemische Gerbung aufgekommen. In den Jahren danach fielen die Preise für Eichenrinde, und eine Gerberei nach der anderen verschwand. Als in den 1950-er Jahren nur noch sechs Betriebe in Luxemburg bestanden, hatten die Öslinger Waldbesitzer schon begonnen, die Lohhecken abzuholzen und durch Fichten und Douglasien zu ersetzen. Heute dominieren diese beiden Nadelholzarten, neben rund 11 000 verbliebenen Hektar Lohhecken, den Wald im Ösling.
Dass ab den 1950-er Jahren der Ersatz der Lohhecken im großen Stil durch Nadelbäume einsetzte, ist heute durchaus ein Problem: Das von 1951 datierende Waldschutzgesetz gestattet es, dass Nadelbäume, die wenigstens 50 Jahre alt sind, ohne Limit gefällt werden dürfen. Das heißt: Bleiben die Preise „gut“, wie derzeit, sind womöglich nicht nur weitere Kahlschläge in den Nadelwäldern im Ösling absehbar. Sondern vielleicht sogar ein beschleunigter Rhythmus der Abholzungen, weil laut Kalender mehr und mehr Nadelwälder reif zur Fällung werden.
Fichtenholz wird exportiert
Natürlich fragt sich, ob die Preise gut bleiben werden. Was Carlo Brever berichtet, der in Huldange eine der wenigen verbliebenen Sägereien im Lande betreibt, klingt nicht danach: „Ab Sägewerk sind die Preise derzeit im Keller, der Markt ist voll mit Holz.“
So sieht das auch Jos. Heidesch, der Vorsitzende des Zimmererverbands. Das liege unter anderem an einem leichten Rückgang der Bautätigkeit in Deutschland. „Aber leichter Rückgang dort heißt, dass wir mit deutschem Holz regelrecht überschwemmt werden.“ Einen Luxemburger Holzmarkt gebe es ohnehin nicht; der Markt sei europäisch: „Wir Zimmerleute importieren all unser Holz. Wir beziehen viel aus Deutschland, aber zum Beispiel auch aus Norwegen und aus Schweden.“
Solche Einschätzungen sind von Bedeutung für die Waldwirtschaft im Ösling. Denn sie beziehen sich auf „Bauholz“, wie es aus Fichten und Douglasien hergestellt wird. Und weil der größte Teil der Nadelholzstämme Luxemburger Herkunft zunächst zur Weiterverarbeitung nach Belgien und Deutschland exportiert wird, um von dort anschließend als geleimtes Verbundholz für Schreinereien oder als getrocknetes und gehobeltes Konstruktionsholz für Zimmerleute vielleicht wieder reimportiert zu werden, müssten die europäischen Marktpreise, die weiter hinten in der Verarbeitungskette gebildet werden, sich irgendwann auch in dem Preis bemerkbar machen, den ein Waldbesitzer erzielt, wenn er einem Holzhändler einen Baum oder schon gefällte Stämme verkauft.
Andererseits habe der Holzpreis „immer wieder etwas Unerklärliches an sich“, erzählt Sägereibesitzer Brever aus seiner 35-jährigen Erfahrung. Die Preise ab Wald seien in den letzten Jahren stetig gestiegen. Nach starken Schwankungen in den Krisenjahren 2008 und 2009 hätten sie sich auf recht hohem Niveau stabilisiert. „Schon möglich“, meint er, „dass die Holzpreise im Herbst, wenn große Verkäufe anstehen, nur leicht sinken.“
Das freilich würde weitere Kahlschläge begünstigen. Weil die Natur- und Forstverwaltung das fürchtet, ist geplant, über eine anstehende Reform des Naturschutzgesetzes die Kahlschlags-Bestimmungen im Waldschutzgesetz zu ändern: Jegliche Abholzung ab einem Hektar Fläche soll genehmigungspflichtig werden, auch für ältere Nadelbäume.
Wirtschaftlich muss das kein Nachteil sein: Ein Baum, der länger wächst, nimmt an Stärke zu. Dadurch gewinnt er an Wert für die spätere Nutzung, „Wenn wir ganz gutes Fichten- und Tannenholz benötigen, kaufen wir im Schwarzwald ein“, erläutert Georges Reckinger, der Präsident des Schreinerverbands. die Praxis seines eigenen, in Pommerloch ansässigen Betriebs. Im Schwarzwald stünden die Bäume 80, manchmal hundert Jahre bis zur Fällung. „Das ist eine Qualität Holz, die nicht zu vergleichen ist mit der aus dem Ösling, wo die Anpflanzung von Nadelbäumen im großen Stil ja erst in der Nachkriegszeit begann.“
Die Sache so zu sehen, könnte jedoch Waldbesitzern abverlangen, sich ganz anders um ihren Forstbesitz zu kümmern als derzeit. Schätzungen von Privatbësch nach wird rund ein Drittel der Waldfläche in Privatbesitz gar nicht bewirtschaftet. Forst-Assessor von Loë und seine drei Kollegen haben im vergangenen Jahr mit 220 der 13 000 Besitzer Beratungsgespräche geführt: „Da ist also noch Potenzial da“, bemerkt von Loë lakonisch. Dem Nachhaltigkeitslabel PEFC, das Privatwaldbesitzer im Allgemeinen gegenüber FSC bevorzugen, sind hierzulande bisher 76 Besitzer mit insgesamt 2 200 Hektar Fläche beigetreten. Aber darunter ist Großherzog Henri mit 700 Hektar, und die verbleibenden 75 Privatiers machen mit 1 500 Hektar nur drei Prozent der Luxemburger Privatforsten aus.
Überdies scheint das Engagement im eigenen Wald eine Generationenfrage zu sein. Im Forstbezirk Wiltz lag das Durchschnittsalter jener Besitzer, die einen staatlichen Zuschuss für Neuanpflanzungen beantragten, bei 66 Jahren.
Das ist nicht gut. Denn wie die Neuanpflanzungen im Ösling gelingen, ist ein Problemkreis für sich. Es entscheidet nicht nur über den Ersatz von Kahlschlägen, sondern auch über die künftige Gestaltung der Wälder im Norden. Und wenngleich der Förster der Privatwaldbesitzer, „weil uns die Daten fehlen“, nicht sagen kann, ob der Wald im Ösling durch die Kahlschläge an Substanz zu verlieren droht, ist er sich sicher: „Nachgepflanzt wird bisher nur teilweise.“ Ein „nicht unerheblicher Teil“ der in den vergangenen Jahren gefällten Flächen liege brach.
Das muss noch nicht besorgniserregend sein. Laut Naturschutzgesetz muss spätestens drei Jahre nach einem Kahlschlag nachgepflanzt werden. Und eigentlich ist von der Natur- und Forstverwaltung im Ösling sogar eine „Entfichtung“ gewollt. Denn die Fichte ist nicht nur nicht ideal für die Böden im Norden. Sie wird überdies stark unter dem Klimawandel zu leiden haben, wie wissenschaftliche Studien über dessen langfristige Auswirkungen auf heimische Naturräume vorhersagen.
Doch die Entfichtung soll kontrolliert verlaufen und nicht durch Kahlschläge. Im Schatten der großen Nadelbäume sollen Laubbäume gepflanzt werden und durch jene vor Sonnenlicht geschützt heranwachsen, so lautet der Plan. Die Nadelbäume würden dann Schritt für Schritt bei Durchforstungen gefällt. Deshalb fördert der Staat die Wiederanpflanzung von Buchen und Eichen mit bis zu 45 Euro pro Ar und die mit Nadelbaumarten nur mit zehn Euro.
Das Problem ist nur: Die Laubbaum-Wiederanpflanzung erfordert so viel forstliches Knowhow, dass sie sogar in professionell geführten öffentlichen Wäldern nicht immer glückt. Pragmatiker aus der Holzbranche, wie Sägereibesitzer Brever, sagen deshalb: „Lasst uns weiterhin auch Fichten pflanzen, wenn wir weiter Holz produzieren wollen.“
Über diese Empfehlung gehen die Meinungen weit auseinander. Aber selbst wenn man sich darauf einigte, und daraufhin vielleicht sogar die Staatsbeihilfe für Neuanpflanzungen von Nadelbäumen etwas erhöhte – für den Besitzer einer relativ kleinen Fläche muss sich das noch lange nicht rentieren. Weshalb im Ösling letzten Endes nicht einfach nur mehr Engagement vieler privater Besitzer für ihre Wälder gefragt ist, sondern Kooperationen über die vielen kleinen Flächen hinweg.