94,8 Prozent der Befragten seien der Ansicht, dass in Luxemburg „Änderungen“ notwendig seien, um die Lebensqualität aufrechtzuerhalten und das Land auf die Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten, triumphierten die Betreiber der Diskussionsrunde 2030.lu diese Woche in einer Mitteilung über die Ergebnisse einer von ihnen in Auftrag gegebene Umfrage: „Enorme consensus“.
Das kann in einem Land, dessen Premierminister seit 18 Jahren an der Macht ist und dem trotz Geheimdienstskandal bisher gute Chancen zugerechnet werden, weitere fünf Jahre dort zu bleiben, ein wenig überraschen. Dass die Teilnehmer der „repräsentativen“ Umfrage, sich dort massiv für Veränderungen aussprachen, liegt aber wahrscheinlich weniger daran, dass sie Jean-Claude Juncker und seine bisherige Politik des „sicheren Weges“ abwählen wollen, sondern eher an der plumpen Fragestellung. Denn wer würde umgekehrt schon behaupten, die Lebensqualität sei kein erhaltenswertes Gut? Oder dass zu ihrem Erhalt niemals Reformen notwendig sein werden?
Eben: niemand.
Wer solch banale Aussagen bestätigen lässt, kann sich großer Zustimmung gewiss sein. Besonders, wenn besagte „Änderungen“ vage, undefiniert und deswegen nicht als Bedrohung für die eigene Lebensqualität aufgefasst werden. Hätte 2030.lu die Teilnehmer gefragt, ob sie mit Einschnitten bei den Sozialtransfers, Kürzungen der Krankenkassendienstleistungen, der Renten oder gar der Abschaffung des Index’ einverstanden wären, sprich der Art von Strukturreformen, wie sie die Handelskammer, die 2030.lu logistisch unterstützt, zur Sanierung der Staatsfinanzen in ihren Veröffentlichungen fordert, hätte das den Enthusiasmus für den Wandel wahrscheinlich gedämpft.
„Assez frappant“ finden es die 2030.lu-Betreiber, wenn 78 Prozent der Befragten zustimmen, dass die Aufrechterhaltung der Lebensqualität nicht möglich sein wird, ohne Opfer zu bringen. Doch ob dieses Bewusstsein mit einer tatsächlichen Bereitschaft, selbst Opfer zu bringen, gleichzusetzen ist? Denn dass die reformorientierten Teilnehmer der 2030.lu-Umfrage es vorziehen, wenn andere statt ihrer selbst verzichten, um ihre Lebensqualität aufrechtzuerhalten, kann man aus den Ergebnissen schlussfolgern. Frauen, Männer, Junge wie Alte, Luxemburger oder Ausländer; bei den wenigsten Fragen gibt es nennenswerte Abweichungen in den Zustimmungsraten der verschiedenen Teilnehmergruppen. Doch wenn es darum geht, ob etwas in Sachen Solidarität zwischen den Reichen und den Ärmsten in der Gesellschaft geschehen muss, finden 70 Prozent der Erwerbslosen das sehr wichtig, aber nur 52 Prozent der Befragten, die eine Anstellung haben.
Den größten Reformbedarf sehen die Umfrageteilnehmer bei den öffentlichen Finanzen (69 Prozent), dem Wohnungsmarkt (73 Prozent) und dem Schul- und Bildungswesen (76 Prozent). Das ist allerdings „assez frappant“. Denn einerseits hatte selbst Jean-Claude Juncker in seiner Regierungsbilanz der vergangenen Legislaturperiode beim CSV-Kongress in Ettelbrück außer der Schulreform der sozialistischen Bildungsministerin kaum etwas Konkretes hervorheben können. In keinem anderen Bereich wurden in den vergangenen Jahren so viele Reformen umgesetzt wie im Schulwesen. Reformen, die bei gewichtigen Teilen der Wahlbevölkerung auf große Ablehnung stießen und immer noch stoßen. Und deshalb anderseits das beste Beispiel dafür sind, wie reformunfreudig besagte Bevölkerung mitunter sein kann, wenn die Vorstellungen darüber, welche Reformen notwendig sind, auseinandergehen.