Vor zwei Wochen widmete die Financial Times Deutschland dem Europaabgeordneten Claude Turmes einen längeren Artikel. „Umtriebig“ nannte sie ihn darin. Und sie beschrieb, wie der Luxemburger Grüne, der im Europaparlament Berichterstatter zur EU-Energieeffi-zienz-Richtlinie ist, seine Berliner Parteifreunde dafür mobilisierte. Weil Kanzlerin Angela Merkel im deutschen Bundestag für die Ratifizierung des EU-Fiskalpakts eine Zwei-Drittel-Mehrheit benötigte und auf Stimmen der Opposition angewiesen war, machten die deutschen Grünen ihr Ja abhängig von einer Zustimmung der deutschen Regierung zu der Energierichtlinie.
In der politisch entscheidenden Nachtsitzung von Mittwoch auf Donnerstag vergangener Woche zwischen dem Europaparlament und den Ständigen Vertretern der EU-Staaten stimmte Deutschland der Richtlinie tatsächlich zu. Frankreich mit seinem neuen Präsiden-ten hatte den unter Nicolas Sarkozy immensen Widerstand schon vorher aufgegeben. Wie es Turmes gemeinsam mit dem dänischen Energieminister als Ratsvorsitzendem gelang, die monatelang umkämpfte Richtlinie in einen Kompromiss zu retten, hatte aber auch Auswirkungen an der Heimatfront. Luxemburg hatte in den Text „mehr Flexibilität“ einfügen wollen. Diese Passagen fielen am Ende vollständig unter den Tisch. Damit könnte der „umtriebige“ Turmes die Energiepolitik daheim letzte Woche ein gutes Stück weit beeinflusst haben – stärker als der Wirtschaftsminister, wenn es um Effizienz geht.
Dass die Richtlinie auf so viel Widerstand stieß, lag vor allem an zwei Vorhaben darin. Zum einen sollte in jedem Mitgliedstaat ab 2014 der Energieverkauf an die Endkunden Jahr für Jahr um 1,5 Prozent reduziert werden. Zum anderen erklärte die EU-Kommission, gut die Hälfte aller Effizienzgewinne sei durch besser wärmeisolierte Gebäude zu haben. Weil Regeln für Neubauten, die zwischen 2019 und 2021 den Passivhausstandard zur Norm erklären, schon in Kraft sind, sollte die Effizienzrichtlinie sich des Altbaubestands annehmen. Die Staaten selbst sollten mit gutem Bespiel vorangehen und jedes Jahr drei Prozent der öffentlichen Gebäude „energetisch sanieren“.
Was daran Anstoß erregte, war die Verbindlichkeit. Von den Wärmedämm-Vorschriften für Neubauten abgesehen, ist Energiesparen in der EU bisher weitgehend fakultativ. Mit der neuen Richtlinie soll die EU ein rechtsverbindliches Einsparziel in Millionen Tonnen Rohöl-Äquivalen-ten erhalten. Verglichen mit dem Jahr 2005, soll der Energieverbrauch der 27 Staaten bis 2020 um mindestens 15 Prozent sinken. Doch: Sinkende Verkäufe an die Endkunden festzulegen, hieße immerhin, Absatzrückgänge der Energieversorger zu programmieren. Und gegen eine Sanierungsquote für öffentliche Gebäude, die einzuhalten öffentlicher Mittel bedarf, opponierten nicht nur Regierungen, die derzeit harte Austeritätsmaßnahmen durchsetzen, wie die spanische oder die portugiesische, sondern monatelang auch die in Berlin und Paris.
Und wahrscheinlich ging das auch Luxemburg zu weit. Wenngleich Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) heute so nachdrücklich er kann beteuert: Was die Diplomaten der Ständigen Vertretung bei der EU im März als Änderungsvorschlag in die Diskussion brachten, sei nur als Hilfestellung für „arme Staaten“ gedacht gewesen. „Auf keinen Fall“, sagt Schneider dem Land, habe man mit „mehr Flexibilität“ erreichen wollen, dass sich das kleine Großherzogtum mit dem vergleichsweise dicken Geldbeutel von seinen Energiesparpflichten freikaufen kann, falls sie ihm zu schwer würden. Claude Turmes habe alles „falsch ausgelegt“ – Mitte März, als er in einem Brief an Premier Jean-Claude Juncker vor einer „gefährlichen“ Rolle Luxemburgs in den Verhandlungen warnte, und Anfang letzter Woche, als er im Luxemburger Wort der Regierung noch einmal „Scheckbuchdiplomatie“ vorhielt.
Luxemburg hatte vorgeschlagen, dass Staaten Energie nicht unbedingt daheim einsparen müssten. Sie sollten auch einen „statistischen Transfer“ nutzen können, in dem ein Staat Maßnahmen in einem anderen finanziert und den Effizienzgewinn seiner Bilanz anrechnen lässt. In jedem EU-Staat sollte für solche Investitionen im Ausland ein spezieller Fonds geschaffen werden. Für den Ausbau der erneuerbaren Energien in der EU gibt es ein Regime dieser Art.
Eine Woche nach der Einigung über die Richtlinie ist es im Grunde müßig, über die Motive der Regierung zu spekulieren. Nun fragt sich vor allem, wie Luxemburg die Effizienzziele erreichen soll. Denn wenngleich der Kompromiss vom Donnerstag so manche Möglichkeit für Buchhaltungstricks enthält und es erlaubt, sich „früher“ realisierte Energieeinsparungen zu bis zu 25 Prozent anrechnen zu lassen: Das Ziel, die Energieverkäufe um 1,5 Prozent jährlich zu senken, ist geblieben. Neu hinzu kam die Verpflichtung der Staaten, bis zum nächsten Frühjahr Einsparpläne aufzustellen, die die EU-Kommission darauf abklopft, ob sie dem kollektiven Ziel genügen. Falls nicht, muss nachgebessert werden. So weit hatte die Kommis-sion selber in ihrem Entwurf nicht gehen wollen.
Auch das Drei-Prozent-Ziel für jährliche Sanierungen öffentlicher Gebäude steht nach wie vor im Text. Allerdings mit der Einschränkung, nicht öffentliche Gebäude schlechthin zu sanieren, sondern die der „Zentralregierungen“. Das ist ein wichtiges Zugeständnis an Bundesstaaten wie Deutschland, aber auch an Kleinstaaten wie Luxemburg mit seinen vielen Gemeinden.
„Ich wollte“, sagt Claude Turmes dem Land, „den Kompromiss letzte Woche in drei Hinsichten prägen. Ich wollte Schlupflöcher begrenzen, einen Freikauf, wie Luxemburg ihn wollte, unmöglich machen und drittens Ansätze für eine energetisch orientierte Wachstumspolitik bieten.“ Die Richtlinie sei „mindestens so sehr ein Text zur Verringerung der Abhängigkeit von Öl- und Gasimporten wie einer für mehr Beschäftigung“.
Dem Vernehmen nach sollen die Energiewirtschaft und die Effizienzrichtlinie eine große Rolle spielen, wenn nächste Woche die EU-Staats- und Regierungschefs über eine Wachstumsstrategie für die EU diskutieren. Vielleicht ist das auch ein Grund dafür, dass Etienne Schneider verspricht, „wir werden nicht darauf warten, bis die Richtlinie umgesetzt ist, um uns zu überlegen, was wir konkret tun werden“. Und dass die drei Prozent jährlicher Sanierung von Staatsgebäuden die öffentliche Hand zwar „teuer“ zu stehen kommen, aber schon deshalb stattfinden werde, „weil das Geld im Land bleibt, wir damit das Handwerk stärken und neue Arbeitsplätze schaffen“.
Andererseits hatte Schneider sich Anfang letzter Woche noch weit aus dem Fenster gelehnt, als er versprach: Scheitere die Effizienzrichtlinie, werde Luxemburg seinen Energieverbrauch „unilateral“ um 1,5 Prozent im Jahr senken. Wie ernst gemeint das war, weiß der Minister allein.
Klar ist dagegen, dass allen bekenntnissen zu Energieeffizienz ein ziemlich umfangreiches Energie-Konjunkturpaket nachgereicht werden müsste. Schätzungen der Handwerkskammer zufolge erreicht der Staat derzeit eine jährliche Sanierungsrate seiner Gebäude von 0,5 Prozent. Angaben der Bautenverwaltung im Infrastrukturministerium beziffern den Aufwand für energetische Sanierungen auf rund 17 Millionen Euro im Jahr 2010. Diese Beträge können von Jahr zu Jahr erheblich streuen, und enthalten keine Groß-Renovierungen. Wahrscheinlich aber müsste künftig ein Vielfaches von 17 Millionen aufgewandt werden, um das Drei-Prozent-Ziel erreichen zu helfen. Im Grunde müsste der Staat dem Handwerk bis 2020 jedes Jahr eine Konjunkturspritze zukommen lassen wie 2009 und 2010, als die Realisierung von Projekten im Wert von bis zu 70 beziehungsweise 80 Millionen Euro vorgezogen wurde.
Andererseits geht die Handwerkskammer auch davon aus, dass jeweils hundert Millionen Euro, die im Energiebereich umgesetzt werden, tausend Arbeitsplätze absichern und weitere hundert Millionen tausend neue Jobs schaffen. Und wenngleich das Resultat einer Studie für die deutsche Förderbank KfW, nach dem jeder Förder-Euro den öffentlichen Haushalten später vier bis fünf Euro an neuen Einnahmen aus Steuern, Sozialabgaben und vermiedenen Aufwendungen für Arbeitlosengeld bringt, vermutlich nicht im selben Umfang auch auf Luxemburg zutrifft, dann aber vielleicht im Prinzip.
So dass die Regierung, wenn sie tatsächlich schon im Herbst über die praktische Umsetzung der Effizienzrichtlinie nachdenken lässt, vor einer größeren Aufgabe steht als nur einen Fahrplan für die Verbesserung der Wärmeisolation von Staatsgebäuden mit 60 000 Quadratmetern Bruttofläche zu entwerfen und das Geld dafür zu beschaffen: Im Grunde geht es um den Entwurf einer Energiedienstleisterbranche. Zumal die Effizienzrichtlinie die Mitgliedstaaten auch darauf festlegt zu planen, wie mit dem Altbaubestand an Privathäusern umgegangen werden soll – wenngleich auf längere Sicht. „Das ist unbedingt nötig“, sagt Patrick Koehnen, stellvertretender Direktor des Handwerkerverbands, „wir müssen auch an den Privatbestand ran, der Staat hat nur 1 500 Gebäude.“ Und dass es um die Altbauten hierzulande energetisch nicht zum Besten steht, hat eine vergleichende Analyse ergeben: Einfamilienhäuser hierzulande verbrauchen im Schnitt 131 Kilowattstunden Energie pro Quadratmeter. Häuser in Österreich sind zwar nicht besser, aber in der Schweiz werden 95 Kilowattstunden pro Quadratmeter verbraucht und in Deutschland 99.
Ob eine Altbau-Sanierungsoffensive für die öffentliche Hand teuer wird? Sehr wahrscheinlich. Um Anreize für energetische Sanierungen von Altbauten zu schaffen, liegt ein Gesetzentwurf für eine raschere Abschreibung von Sanierungsarbeiten durch Investoren im Parlament. Der super-reduzierte Mehrwertsteuersatz von drei Prozent gilt auch für energetische Sanierungen von Gebäuden, die jünger sind als 20 Jahre, und im Herbst will der Wohnungsbauminister den Gesetzentwurf für einen zinslosen Kredit für Wärmedämm-Investitionen auf den Instanzenweg schicken. Fehlt, wenn es nach der Handwerkerföderation ginge, nur noch die öffentliche „Klimabank“, die energetische Sanierungen regelrecht vorfinanziert und den Aufwand später über die eingesparten Energiekosten wieder eintreibt.
Es ist jedoch gar nicht so unwahrscheinlich, dass sich bei all den Kostenbetrachtungen, die für die nähere Zukunft absehbar sind, die Frage stellt, was Luxemburg eigentlich gewinnt, wenn es sich von seinen Klimaschutzverpflichtungen und seinen Investitionen in erneuerbare Energien daheim mehr oder weniger freikauft. „Flexibilität“, wie sie auch beim Energiesparen noch bis letzte Woche gewünscht war, ist schließlich keine neue Erfindung. Und im staatlichen „Kioto-Fonds“ für flexible Maßnahmen in Sachen CO2 und grünem Strom werden mit 88 Millionen Euro im vergangenen Jahr und 107 Millionen dieses Jahr respekteinflößende Beträge veranschlagt. Kann schon sein, dass sich am Ende die Frage stellt, welche Rolle staatliche Führung in solchen Bereichen spielen soll; inwieweit es wirklich eine gute Idee ist, Klimaschutz und energetische Modernisierung den Märkten zu überlassen statt Industrie und Haushalte längerfristig neu aufzustellen. Politisch ist das die Grundsatzfrage hinter allen Energie- und Klimadebatten.