Um den damaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy gegen Kritiken an seinem Hang zum Luxus in Schutz zu nehmen, hatte der Werbeunternehmer Jacques Séguéla 2009 in einem Fernsehinterview gemeint: „Si à cinquante ans on n’a pas une Rolex, on a quand même raté sa vie !“ Knapper lässt sich der scheinbare Widerspruch von Luxus als etwas Überflüssigem von existenzieller Bedeutung kaum zusammenfassen.
Man kommt nämlich fünfzig Jahre und länger recht gut durchs Leben und erfährt sogar die Zeit, wann es abgelaufen ist, ohne eine Armbanduhr, deren billigste Ausführung drei bis vier Mindestlöhne kostet, die es aber auch zum zehn- und zwanzigfachen Preis gibt. Gleichzeitig erscheint sie für Jacques Séguéla unumgänglich, um die im Laufe dieses Lebens verteidigte oder erkämpfte gesellschaftliche Position zu belegen. Den Widerspruch hebt auf und die Verbindung zwischen dem existenziell Überflüssigem und dem gesellschaftlich Notwendigem stellt her der von Jacques Séguéla nicht erwähnte Fetischcharakter der Luxusware, das Vergnügen an der ansprechenden Form, der sorgfältigen Fertigung, der renommierten Marke, dem wertvollen Schein.
Luxus muss überflüssig sein, weil er der Konsum des über das Lebensnotwendige Hinausgehenden darstellt. Damit etwas luxuriosus, überschwänglich, ist, muss es zuerst luxus sein, wie ein Knochen verrenkt, den Äppelchen aus der Pännchen, nicht mehr an seinem normalen, in diesem Fall gesellschaftlich normalen Platz.
Das Lebensnotwendige änderte mit der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung. Vor einem Jahrhundert gehörten fließendes Wasser und elektrische Beleuchtung zum Bewunderung auslösenden Luxus wohlhabender Schichten, heute rechnet das Statec sie zum minimalen Wohnkomfort. Vor 20 Jahren waren Mobiltelefone ein Luxus, heute hat jeder Gymnasiast ein Handy.
Somit gibt es keinen Luxus, sondern nur das, was als solcher angesehen wird: Was hierzulande Luxus ist, muss in den Golfstaaten keiner sein, was hierzulande lebensnotwendig ist, muss es in Zentralafrika nicht sein.
Doch unabhängig von Ort und Zeit, besteht der im Luxus ausgedrückte gesellschaftliche Erfolg darin, nicht nur zu arbeiten, um sich das Lebensnotwendige zu kaufen, sondern sich darüber hinaus leisten zu können, was überflüssig ist. Das Gefallen, das man an einer Luxusware findet, bezieht sich deshalb weniger auf die Ware selbst als auf das Gefühl des Überflusses, das man mit ihr verbindet.
Was auch ein erotisches Gefühl ist, das die Fahrer von Luxuswagen immer wieder zum Streicheln der Karosserie verführt. Luxuria heißen die überschäumende Fruchtbarkeit, die Hemmungslosigkeit und der Übermut. Das Schöne am Gefühl des Überflusses ist selbstverständlich die Sünde, der Verstoß gegen die christlichen Tugenden der Bescheidenheit und Mäßigung. Der Verstoß gegen die Todsünde der Luxuria, der Wollust, der Genusssucht und der Begierde. Wohl nicht selten ist der Luxus ein Ersatz für Luxuria.
Der Luxus ist der Beweis für den gesellschaftlich gehobenen Status des Konsumenten. Wo genau er gesellschaftlich angekommen ist, lesen die fachkundigen Rivalen, die die Preisliste der Hersteller verinnerlicht haben, am Modell einer Luxusuhr oder Luxustasche ab. So setzt der Luxus die Tradition des aristokratischen Machtsymbols fort, von in Echternach gefertigten Goldenen Evangeliarien für ausländische Fürsten über die Skulpturen des Mansfeld-Schlosses bis den mannshohen Ziervasen im großherzoglichen Palais. Sie alle sollten bezeugen, dass die Kaufkraft und damit die Macht ihrer Besitzer unerreichbar blieben. (In Wirklichkeit ging die Geschichte immer anders aus.)
Aus diesen aristokratischen Glanzzeiten des Luxus stammt die Abneigung gegen die industrielle Massenware: Luxus muss immer einmalig sein. Oder wenigstens handwerklich hergestellt. Oder wenigstens in geringer industrieller Stückzahl.
Das hat nichts mit der Qualität zu tun. Andernfalls wäre ein Taschenbuch mit einem Text von Sophocles oder Shakespeare Luxus, weil es das Größte enthält, was Menschen geschrieben haben. Aber zur Luxusware wird das Buch höchstens durch den handgefertigten Schmuckeinband eines international bekannten Buchbinders, der es in die Kategorie der knappen oder verknappten Kunstwerke und Antiquitäten führt und dann vielleicht im Freeport auf dem Findel verschwinden lässt.
Was im bürgerlichen Zeitalter und in der Epoche des Massenkonsums das Paradox der Demokratisierung aristokratischen Konsums, des Massenluxus schafft und des sehr erträglichen, vor allem französischen Wirtschaftszweigs, der Luxusindustrie. Das einst den Adeligen, dann den Schmelzherren und Bankiers vorbehaltene Gefühl des Luxus wollen nun auch die Mittelschichten demonstrieren, um Karl Marx Unrecht zu geben, der im zweiten Band des Kapital von „Luxus-Konsumtionsmittel[n]“ schreibt, „die nur in den Konsum der Kapitalistenklasse eingehen, also nur gegen verausgabten Mehrwert umgesetzt werden können, der dem Arbeiter nie zufällt.“
Auch die leitenden Angestellten, hohen Beamten, Geschäftsanwälte und Fachärzte können sich zwar nicht die 80 Meter lange und auf 150 Millionen US-Dollar geschätzte Luxusyacht Amevi von Arcelor-Mittal-Besitzer Lakshmi Mittal leisten. Aber sie strapazieren doch gerne ihre Gold- und Platin-Kreditkarten „fir eng Folli“, weil sie ihren Machiavelli verinnerlicht, ohne ihn je gelesen zu haben: Ihr gesellschaftlicher Erfolg ist, lieber das Objekt von Neid als von Mitleid zu sein.
Im Ringen mit diesem Paradox bemüht sich die Luxusindustrie, Waren anzubieten, die durch ihren Preis so erlesen sind, dass nur eine kaufkräftige Minderheit sie sich leisten kann, und gleichzeitig so wohlfeil, dass möglichst viele Verbraucher sie erstehen können, beispielsweise die Massentouristen in der Groussgaass und der Neipuertsgaass. Die Lösung liegt gemeinhin in der Konzentration auf den Fetischcharakter, das heißt die Marke und das unübersehbare Logo der Luxusware. Aber den Umsatz über die Menge, statt über den Preis zu steigern, allzu viel Demokratisierung des Luxus, allzu wohlfeile Billigmodelle der edlen Auto-, Taschen- oder Uhrenmarke drohen, den Fetisch der Marke zu entzaubern, die Kunden zur Abwanderung zu exquisiter klingenden Namen zu bewegen.