Bei noch immer brütender Hitze irrten am Freitagabend nicht mehr ganz junge Männer in Polohemden und Turnschuhen durch das Bonneweger Eisenbahnerkasino und suchten ihre Bezirksversammlung. Dazwischen huschten Frauen barfüßig, fächerten sich Luft zu, ein Säugling schrie. An der Wand wiesen Schilder den Weg zum Norden, Süden, Osten und Zentrum. Dort hatten sie anderthalb Stunden Zeit, um die Kandidatenlisten ihres Bezirks zu verabschieden. Was nicht immer einfach war, da eine aus drei oder vier politischen Quellen gespeiste Partei wie déi Lénk auch ihre Querulantenquote achtet. Zudem war fast die Hälfte der Kandidaten abwesend. Ihre Urlaubsplanung hatte die Regierungskrise und die vorgezogene Wahlen nicht vorgesehen.
Irgendwie spürt die kleine Partei links von der LSAP Auftrieb. An dem mit der unvermeidlichen Verspätung beginnenden außerordentlichen Parteitag im großen Festsaal nahmen gut gelaunt fast 100 Leute teil. Das ist schon ein Unterschied zu Zeiten, da auf schlecht besuchten Versammlungen vor allem Durchhalteparolen auf der Tagesordnung standen.
Die vor zwei Monaten im Tageblatt veröffentlichte Wählerbefragung bescheinigte, „wenn am Sonntag Wahlen wären“, der Lénk drei Sitze im Parlament und machte sie damit zusammen mit der DP zur Wahlsiegerin. Würden die Prognosen sich bewahrheiten, wäre man links von der LSAP so stark wie seit 30 Jahren nicht mehr, seit die Kommunistische Partei bei den Wahlen von 1974 zum letzten Mal Fraktionsstärke erhielt.
Dass die Lénk selbst ohne ihre inzwischen in den Ruhestand getretene Galionsfigur André Hoffmann so viel Zuspruch erntet, erklärt sich vielleicht mit der „demokratischen und sozialen Krise von historischen Ausmaßen“, die der derzeit einzige Abgeordnete von déi Lénk, Serge Urbany, ausmachte, als er vor die Versammlung trat. Denn sie habe national wie international zu einer Machtverschiebung, zur Umverteilung und zu Sozialabbau auf Kosten der Erwerbstätigen geführt.
Das Ende des Kalten Kriegs hatte auch hierzulande seine politischen Spuren hinterlassen: Die LSAP begann, nur noch auf liberale Wirtschaftspolitik zu schwören, die Kommunistische Partei verschwand aus dem Parlament und spaltete sich, die trotzkistische RSP ging mit ihrem stalinistischen Feindbild unter. Doch seit der 2008 ausgebrochenen und nicht enden wollenden Finanz- und Wirtschaftskrise teilen breite Kreise die Kritik der Linken am „Kasinokapitalismus“, an den „Bankstern“ und am Neoliberalismus.
Hätten die nächsten Kammerwahlen, wie geplant, im Mai kommenden Jahres stattgefunden, hätten sich die CSV und LSAP den Wählern mit ihren Bilanzen als Regierungsparteien in der Krise stellen müssen. Das hätte sicher der Lénk genutzt, die insbesondere im Südbezirk mit Stimmen enttäuschter LSAP-Wähler rechnen konnte. Das wusste allerdings auch die LSAP, die erfahrungsgemäß befürchtete, die Zeche für Steuererhöhungen und Indexmanipulationen zahlen zu müssen. Deshalb kündigte sie die Koalition auf, um als Oppositionspartei verkleidet in den Wahlkampf gegen den CSV-Staat ziehen zu können. Glauben aber genug Wähler an den von LSAP-Spitzenkandidat Etienne Schneider versprochenen Neuanfang, dann ist der Traum der Linken von drei Sitzen ausgeträumt.
Für die Lénk ist es deshalb wichtig, an die Regierungsverantwortung der LSAP zu erinnern. „CSV-Staat“ sei vielleicht nicht der richtige Ausdruck, meinte Serge Urbany am Freitag. Schließlich habe die LSAP in den vergangenen 30 Jahren während 25 Jahren der Regierung angehört und die Politik der CSV mitgetragen, so dass es richtiger sei, von einem „CSV/LSAP-Staat“ zu reden, zu dem sich der CSV-Staat entwickelt habe. Gemeinsam hätten CSV und LSAP die Steuern der Unternehmen gesenkt und der Erwerbstätigen erhöht, den Index manipuliert, die Rentenversicherung verschlechtert, den öffentlichen Dienst geschwächt. Der neue LSAP-Spitzenkandidat Etienne Schneider habe als Wirtschaftsminister schon zu Lohnkürzungen bei Cargolux und Luxguard aufgerufen. CSV und LSAP hätten keine Meinungsverschiedenheiten in sozialpolitischen Fragen und inzwischen nicht einmal mehr in gesellschaftspolitischen Fragen.
Justin Turpel wunderte sich, dass LSAP-Minister Nicolas Schmit nun „wimmere“, er sei nach seinem Auftritt auf einem Polizeikommissar Opfer eines CSV-Komplotts geworden. Aber in Wirklichkeit wolle er wohl davon ablenken, dass er als Arbeitsminister nicht mehr aufzuweisen habe als seine christlich-sozialen Vorgänger Jean-Claude Juncker und François Biltgen.
Die Linke nennt sich die „Partei der Arbeiter und der Arbeit Suchenden“ und sieht in ihrem derzeit ausgearbeiteten Wahlprogramm die sofortige und vollständige Wiederherstellung des automatischen Indexsystems, eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns um 300 Euro, das Verbot von Entlassungen aus wirtschaftlichen Gründen und die Rücknahme von Privatisierungs- und Deregulierungsmaßnahmen im öffentlichen Dienst vor. Sie will sich nicht nur zur Fürsprecherin „der Bauarbeiter und Putzfrauen, der Grenzpendler ohne Wahlrecht“ machen, sondern auch der vielen gewerkschaftlich organisierten Wähler, seit sich die LSAP von OGBL und FNCTTFEL entfremdet. Nötig sei auf der Linken eine „neue Bündnispolitik, Allianzen mit den Gewerkschaften“, meinte Serge Urbany und wiederholte damit Vorwürfe, welche linke LSAP-Mitglieder in den vergangenen Jahren immer wieder an die Adresse ihrer Parteiführung richteten.
Kein Wunder, dass auf dem außerordentlichen LSAP-Parteitag vor drei Wochen Vorsitzender Alex Bodry den Militanten einbläute, es ändere nichts im Land, wenn déi Lénk einen, zwei oder drei Sitze bekäme, das seien verlorene Stimmen, von denen höchsten die Rechte profitierte. Und auch wenn die LSAP sich nicht auf eine künftige Koalition festlegen will, gibt sie doch auch zu verstehen, dass die Sitze der Lénk nachher vielleicht einer von einem Teil ihrer Wähler gewünschten Dreierkoalition fehlen könnten.
Um ihre linke Flanke nicht ungeschützt zu lassen, stelle die LSAP im Südbezirk sogar den als Sprecher des linken Flügels auftretenden Monnericher Bürgermeister Dan Kersch auf. Obwohl er es schon einmal 2004 versucht hatte, als er Drittletzter geworden war, und im Fall einer Wahl sein erst 2011 gegen allerlei Widerstand übernommenes Staatsratsmandat wieder aufgeben müsste. Aber Kersch hatte sich schon vor Wochen öffentlich für eine Spitzenkandidatur des alles andere denn linken Etienne Schneider ins Zeug gelegt.
Um den Vorwurf zu entkräften, dass Stimmen für déi Lénk nutzlos wären oder gar der Rechten dienten, erklärte Justin Turpel am Freitag, dass eine gestärkte Lénk notwendig sei, um Druck von links auf die LSAP auszuüben und so ihre Politik zu beeinflussen. Denn auch wenn er „Loscht op muer“ verspreche, werde Wirtschaftsminister Etienne Schneider keine andere Politik betrei-ben als während der vorigen Legislaturperiode; er habe schon angekündigt, den Umweltschutz und die Gemeindeautonomie beschneiden zu wollen. David Wagner glaubte gar, einen Putsch auszumachen, mit dem Fedil- und ABBL-nahe Kräfte in der LSAP den liberalen Wirtschaftsminister „aus dem Nichts zum Spitzenkandidat“ gemacht und die Parteibasis um ihre Partei betrogen hätten.
Serge Urbany hatte CSV und LSAP im Verdacht, vor den Sommerferien rasch vorgezogene Wahlen provoziert zu haben, „um danach wieder für fünf Jahre ihre Ruhe zu haben“. Denn Schneider habe schon vor Monaten bedauert, dass wegen der Sozial- und der Kammerwahlen bis Mai 2014 ein „verlorenes Jahr“ für liberale Reformpläne drohe. Doch auch von einer antiklerikalen Dreierkoalition, zu der sie nicht eingeladen ist, hält die Lénk wenig. Sie traut Schneider, der DP und den Grünen sogar eine liberalere, antisoziale Wende zu. Das Land brauche aber laut Urbany „Alternativen, keine Alternierung“.