Freischaffende KünstlerInnen in Zeiten der Krise

„Wie eine Klammer in unserem Leben“

Luc Schiltz im Schutzanzug hält Frédérique Collings Hund Botas in den Armen – visionäre Werbekampagne des Escher Theater für die
Foto: Patrick Galbats
d'Lëtzebuerger Land vom 20.03.2020

Als wir Frédérique Colling anrufen, führt sie gerade ihren Hund Botas Gassi. „Ich glaube, das ist noch erlaubt – oder?“ Colling, 32, ist Schauspielerin. Sie sollte am Wochenende in der Philharmonie im Stück „D’Loopino an d’Spéngel am Hee“ auftreten. Doch wie sämtliche kulturellen Veranstaltungen ist auch dieses Stück abgesagt worden. Die Philharmonie hat sich – erfreulicherweise für Colling und ihre KollegenInnen – dazu entschieden, die Gagen der Künstler trotzdem auszubezahlen. Doch das ist nur ein schwacher Trost, denn freischaffende KünstlerInnen stehen vor ungewissen Zeiten. Alle kulturellen Veranstaltungen sind bis mindestens 31. März abgesagt worden. Manche gehen davon aus, dass die gesamte Kultursaison vorbei ist, und der Betrieb frühestens im September wieder beginnen wird.

Für Colling wäre das, wie für viele andere Kulturschaffende auch, eine Katastrophe. Denn sie hat seit einigen Jahren als freischaffende Künstlerin den Status intermittent du spectacle. Zu Deutsch: Kurzzeit-Beschäftigte des Kulturbetriebs. Hinter diesem sperrigen Begriff versteckt sich eine staatliche Stütze für freischaffende KünstlerInnen oder Bühnentechniker in Luxemburg. Laut Kulturministerium sind es rund 300 Personen aus Film, Theater, Musik oder sonstigen audiovisuellen Produktionen, die als Intermittents gelten. Für sie gilt: Ihre berufliche Tätigkeit reicht nicht aus, um jeden Monat davon zu leben. Deshalb hat die Regierung vor wenigen Jahren eine staatliche Hilfe geschaffen, die jede(r) individuell beantragen kann. Das Verfahren, um von den Hilfen zu profitieren, ist dabei kompliziert: Jeder muss unter anderem mindestens am Ende des Jahres 80 Arbeitstage und ein Mindesteinkommen von jährlich 8 000 Euro nachweisen können. Der Staat zahlt dann bis zu 121 weitere Tagessätze.

Falls jedoch die gesamte Theatersaison ausfallen wird, wie manche befürchten, wird es für viele Intermittents schwierig, auf 80 offizielle Arbeitstage zu kommen. Denn es sind nicht nur die Veranstaltungen an sich, die ausfallen, sondern auch die Proben, der Bühnenbau und alles weitere, was zu einer Produktion gehört. „Aktuell ist an Proben nicht zu denken“, sagt Luc Schiltz, Vizepräsident der Schauspielvereinigung Actors.lu. Und zurzeit sei kaum absehbar, wie lange sich dieser Ausnahmezustand noch hinziehen würde. „Im besten Fall wird diese Phase wie ein Klammer in unserem Leben sein, wie eine Zeit, die es nie gab“, so Schiltz. Doch wann diese Klammer sich schließt, ist unklar. Es ist wahrscheinlich, dass die derzeitige Krise auch Auswirkungen auf die kommende Saison haben wird. Das Ausmaß ist noch nicht abzuschätzen.

Die Regierung hat deshalb zu Beginn der Woche schnell reagiert, um den Kulturschaffenden vorübergehend eine finanzielle Sicherheit in Aussicht zu stellen. Sie garantiert für jeden Intermittents und professionellen Künstler den qualifizierten Mindestlohn über das volle Jahr, sofern die Betroffenen nachweisen können, dass sie auch tatsächlich von ausfallenden Produktionen betroffen sind.

Die Krise geht dabei quer durch alle Kultursparten. Der Musiker Goerges Goerens (Bartleby Delicate, Seed to tree) musste ebenfalls seine ganz Tour absagen. Auch er gilt wie Colling als Intermittent. Goerens will sich dabei nicht beklagen, geht davon aus, dass Künstler im Ausland möglicherweise noch vor schwierigeren Zeiten stehen. Goerens selbst nutzt die Zeit der Quarantäne nun, um an neuem Material zu arbeiten. „Ich will die Isolation als kreative Schaffensphase nutzen“, so der Musiker. Er arbeitet an einer neuen EP für sein Soloprojekt Bartleby Delicate. Die Proben mit der Band Seed To Tree sind allerdings auch erst einmal alle abgesagt.

Eine andere Idee, um die Musiker in Luxemburg zu unterstützen, hat Tun Tonnar. Er gilt wie Vater Serge als Verfechter der Luxemburger Musik im Radio. „Ich kann nicht nachvollziehen, dass lediglich 0,5 Prozent der Songs im Radio von Luxemburger Künstlern stammen.“ Sein Appell an RTL, Eldoradio, L‘Essentiell Radio und 100,7: „Spielt mehr Luxemburger Songs!“ Gerade jetzt in der schwierigen Corona-Zeit sei das für Tonnar ein wichtiger solidarischer Akt, um den Luxemburger Künstlern unter die Arme zu greifen. Und das Schöne daran: Es kostet niemanden etwas. „Die Radiostationen müssen sowieso Geld an die Verwertungsgesellschaften Gema und Sacem zahlen, am Ende würde es dann lediglich bei einem Luxemburger Künstler landen und nicht etwa bei Rihanna.“ Die Idee scheint dabei auf Gehör gestoßen zu sein: Sowohl RTL als auch Radio 100,7 wollen mehr Luxemburger Songs, wie es aus dem Kulturministerium heißt. Yves Stephany, musikalischer Verantwortlicher von Radio 100,7 bestätigt das auf Nachfrage. „Wir planen eine zusätzliche Stunde täglich mit Musik aus Luxemburg“, so Stephany. Man sei sich bewusst, dass aktuell mehr Menschen Radio hören und wolle auch den Luxemburger Künstlern eine weitere Plattform geben. Stephany erinnert daran, dass der Anteil von Luxemburger Musik im Flächenprogramm von 100,7 bereits bei 10 Prozent liegt.

Pol Schock
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