Theater

Im Hier und Jetzt der blutrünstigen Kröte

d'Lëtzebuerger Land du 10.11.2017

„Jetzt!“, „Jetzt?“, „Jetzt!“ sagen, fragen, schreien die Schauspieler, die im Publikum Platz genommen haben. Der beeindruckende große Saal des Frankfurter Schauspielhauses ist völlig umgebaut, die Guckkastenbühne einer Art Arena gewichen, um einen Boxring in der Mitte, der bloß noch aus einem Haufen Kiesel besteht. Das Saallicht bleibt an, das Publikum wird mit einbezogen. Jeder muss „Haltung zeigen“ bei dieser Produktion, schreibt Bernd Noack in der aktuellen Ausgabe von Theater heute. Da ist kein diskretes Nickerchen während der fast vier Stunden Spielzeit möglich, denn es kann durchaus sein, dass die beiden netten Damen der Statisterie auf dem Nachbarsitz auf einmal zu sprechen anfangen, oder singen, summen, raunen... Dann – „Jetzt!“ – öffnet sich eine Seitentür, eine Hand greift herein, und das Publikum murmelt: „Das ist der Koch!“ Auch er ruft: „Jetzt!“ – und es beginnt ein Griff nach der Macht im wilden Blutrausch, der aus heutiger Sicht so absurd nicht ist.

Richard III., eines der frühesten Werke William Shakespeares, hat etwas Ungeschliffenes, etwas Krudes, Ruppiges. Als sei der ganze Shakespeare, seine Grausamkeit, sein Drang nach Liebe, sein Humor und seine Fantasiefiguren, schon schemenhaft darin enthalten. Das Stück, das den Aufstieg und Fall eines verhassten Tyrannen erzählt, eines Mannes, der der Macht wegen über Leichen geht, wird derzeit viel gespielt, weil es gleichzeitig allegorisch abstrakt ist und sich problemlos in unserer Zeit verankern lässt. Es ist zudem ein Filetstück für Schauspieler, Lars Eidinger tourt seit Monaten durch Europa mit seiner Interpretation des Monsters in der modern angelegten Ostermeier-Inszenierung. Wolfram Koch, den das luxemburgische Publikum aus den zahlreichen Gastspielen am Théâtre national kennt, ist Eidinger durchaus ebenbürtig. Sein Richard ist vielleicht noch furchteinflößender, weil er banaler ist. Trotz Buckel und verkrüppelter Hand ist er kein Freak, kein kranker Spinner. Wolfram Kochs Richard kommt ganz gewöhnlich daher, in einem schlecht geschnittenen, viel zu großen grauen Anzug, einer roten Krawatte, die zu binden er nicht mal im Stande ist. In einem außergewöhnlichen Kraftakt gibt Koch die Rampensau, brüllt, weint, schwitzt, spuckt, klettert und springt – und intrigiert was das Zeug hält. Einige Dutzend Kilometer Luftlinie von den Geburtsstädten der AfD entfernt, unter dem Schatten Trumps, zeigt Koch, wie zu wenig Liebe und Selbstvertrauen Hass entfachen: „Da ich als Verliebter eine Fehlbesetzung bin (...), bin ich entschlossen, den Bösewicht zu geben.“

Aber der Reihe nach: als sein Bruder, König ­Edward IV., kränkelt und melancholisch ist, sieht Richard Gloucester eine Chance, den Thron zu besteigen. Nur müssten noch einige Familienmitglieder – Brüder, Söhne, etc. pp. –, die in der Thronfolge vor ihm sind, dafür aus dem Weg geräumt werden. Richard scheut keine Mühe, um sein Ziel zu erreichen, hat keine Angst, sich mit allerlei komischen Gestalten einzulassen, um sie alle los zu werden. Das Podest in der Mitte wird immer und immer wieder zum Grab: Kiesel weg, Klappe auf, Körper rein, Klappe wieder zu, Kiesel drauf. Schnell könnte das Morden zur Karikatur werden, wären da nicht die Frauen: Königinnen, Königsmütter und -witwen: Sie wissen um den Fluch, der auf der Herrscherfamilie liegt; wissen, wer wo Schuld auf sich geladen hat oder noch auf sich laden wird. „Was mit Blut gewonnen, wird auch so verloren“, prophezeit Königin Margret (wunderbare Mechthild Großmann), und, später: „Elisabeth, du Zerrbild meines Schicksals.“

Königin Elisabeth wird hier gespielt von der Luxemburgerin Claude De Demo, die seit 2009 am Frankfurter Schauspielhaus am Ensemble ist. Auf Stöckelschuhen und im silbernen Overall verkörpert sie anfangs die Powerfrau, Richard in Wut und Intelligenz durchaus gewachsen. Sie weiß um die Schwäche ihres Mannes und die Perfidie ihres Schwagers, sie kennt die Blutrünstigkeit des Machtbesessenen und fühlt die Gefahr für ihre beiden Söhne. Man muss sie erleben, wie sie Richard durch den ganzen Saal anschreit, dass einem das Blut gerinnt. Man muss sehen, wie Claude De Demo mit nur einer kleinen Bewegung ihrer Mundwinkel ihre ganze Verachtung für Richard preisgibt, als ihr Mann beide um Versöhnung bittet. Katharina Bach steht Claude De Demo in nichts nach, als Lady Anne, die anfangs noch angeekelt von Richard, der ihren Mann und ihren Vater umgebracht hat, später seine Königin wird – im gleichen silbernen Overall.

Tabea Braun hat zeitgemäße, wenn auch abstrakte Kostüme entworfen, mit einem Königsgewand aus Spiegelestücken, die zur Waffe werden können. Dazu passend hat Jan Bosse zusammen mit Dramaturgin Gabriella Bußacker den Text für diese Produktion neu übersetzt und aktualisiert. So empfindet man Shakespeare als ganz modern, seine oft etwas verschnörkelte Sprache als ganz natürlich. Manchmal nur ist diese konkrete Verortung des Guten etwas zu viel, die Verweise zu offensichtlich, ein AfD-Spruch wie „wir werden sie jagen“ etwa, oder Edward inmitten einer Ku-Klux-Klan-Verschwörung.

Richard III. von William Shakespeare, in einer neuen Übersetzung von Gabriella Bußacker und Jan Bosse; Regie: Jan Bosse; Bühne: Stéphane Laimé; Kostüme: Tabea Braun; Musik: Arno Kraehahn; mit: Wolfram Koch, Mechthild Großmann, Katharina Bach, Claude De Demo, Heiko Raulin, Isaak Dentler, Sebastian Kuschmann, Peter Schröder, Samuel Simon und Sebastian Reiß; weitere Informationen und Daten: schauspielfrankfurt.de.

josée hansen
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