Mädchen und Jungen, die fleißig ihre Köpfe in Bücher stecken, ein Lehrer, der an der Tafel eine mathematische Lösung erklärt. Das alles in hellen Klassenräumen mit großen Fenstern. Schüler, die noch nach Unterrichtsschluss noch in Eigenregie Projekte erfinden. Es ist ein schönes Bild, das das Magazin Hex in seiner neusten Ausgabe von der Nordstad zeichnet.
Das Magazin, das im Internet gelesen werden kann, hat es sich zur Aufgabe gemacht, über die sechs Gemeinden Bettendorf, Colmar-Berg, Erpeldange, Ettelbrück, Diekirch und Schieren zu informieren und so der Nordstad ein bürgernahes Gesicht zu geben. Die dritte Ausgabe widmet sich in ihrer Titelgeschichte ganz dem Schulstandort Nordstad. „Wir wollen zeigen, was für ein vielfältiges Angebot wir im Norden haben, mit unterschiedlichen Schulangeboten und -projekten“, beschreibt Nordstad-Koordinator Jean-Marc Friederici das Ziel.
Die Region kann sich in punkto Schulen sehen lassen: 8 000 Mädchen und Jungen gehen dort zur Schule. Die Mehrheit stammt aus der Region, aber es gibt auch Schüler, die aus anderen Teilen des Landes anreisen, etwa für die Berufsschulen. Je nach Schule beträgt der Anteil der Schulpendler zwischen acht (Lycée classique de Diekirch, LCD) und 23 Prozent (Lycée technique d’agricole, LTA), das geht aus aktuellen Zahlen des Bildungsministeriums hervor. Das LCD ist eines der ältesten und renommiertesten klassischen Lyzeen Luxemburgs. Mit der Ackerbauschule in Ettelbrück und der Hotelschule Alexis Heck in Diekirch beherbergt die Nordstad zwei der bekanntesten Berufsschulen im Land. Hier gingen Generationen von Landwirten und Landschaftsgärtnern zur Schule, werden Köche und Köchinnen ausgebildet. Daneben gibt es in Ettelbrück eine Schule für Gesundheitsberufe.
Doch die schulische Erfolgsgeschichte hat auch eine Kehrseite – und die sieht düster aus. Da wirkt das Thema Bildung in der Nordstad plötzlich wie das Stiefkind der Nation. Während in vergangenen Jahren im ganzen Land Neubauten entstanden oder Schulen generalüberholt und erweitert wurden, warten in der Nordregion noch immer Hunderte von Schülern und Lehrern darauf, aus ihrem Provisorium herauszukommen und endlich in ein voll funktionstüchtiges Gebäude zu ziehen.
Berühmtestes Beispiel ist die Ackerbauschule, die einst für 200 Schüler gebaut wurde, an der mittlerweile aber 650 Jungen und Mädchen unterrichtet werden. Das Hauptgebäude aus braunem Stein an der Avenue Salentiny in Ettelbrück platzt aus allen Nähten, die Klassenräume sind alt, die Turnhalle ebenso. Weil die angehenden Landwirte und Landschaftsgärtner Felder und Gewächshäuser zum Üben benötigen, hat die Schule Flächen in hinzugemietet. Auch dieses Jahr werden wieder Schulbusse zwischen Colmar-Berg, Bettendorf und Ettelbrück pendeln.
Immerhin: Mit der definitiven Zustimung der DP-LSAP-Grüne-Regierung, den geplanten Neubau in Gilsdorf unterzubringen, gibt es die Perspektive, dass die Raumnot bald Geschichte sein dürfte. Viele freuen sich auf den Umzug, auch wenn noch vereinzelt Lösungen, etwa für die Classes mosaïques und für das Internat, gefunden werden müssen. Das Pensionat Saint Joseph wird, nicht wie ursprünglich vorgesehen, in Gilsdorf untergebracht, sondern im Zentrum von Diekirch. Laut Nachhaltigkeitsministerium werden derzeit drei Standorte geprüft, darunter ein ehemaliges Altersheim.
Durch den Umzug der Ackerbauschule würde überdies das Gebäude an der Ettelbrücker Avenue Salentiny frei und die Räume könnten – nach einer Generalüberholung – vom Lycée technique d’Ettelbrück (LTETT) genutzt werden. Die Sekundarschule stößt mit rund 1 250 Schüler ebenfalls an die Grenzen ihrer Kapazität. Neben angehenden Technikern, Mechanikern, Kaufleuten, Frisören sind auch Rekruten der Militärschule in dem Gebäude untergebracht. Vor allem beim Sport macht sich die Enge bemerkbar: Es braucht schon besonderes Organisationstalent, damit jeder seine Fitnesseinheiten absolvieren kann. Als das Land 2008 über die Schulsportinfrastrukturen berichtete, fielen damals schon Kacheln von den Wänden, der Boden im Schwimmbad war an mehreren Stellen offen, Tischtennis wurde im Keller gespielt. Mittlerweile sind die Infrastrukturen so marode, dass sie generalüberholt werden müssen. Die Arbeiten sollen diesen Winter anlaufen, das Schwimmbad wird ab Mitte Mai geschlossen und renoviert.
Den Ausblick auf neue Räume haben Schüler und Lehrer des Nordstad-Lyzeums in Diekirch in absehbarer Zeit nicht. Obwohl die Schule ursprünglich als provisorische Erweiterung für das LTETT konzipiert wurde und dort inzwischen über 1 400 Schüler den Unterricht besuchen, ist die bauliche Zukunft der Ganztagsschule ungewiss. „Nein, ich weiß im Moment nicht, wann wir umziehen können. Da müssen Sie schon im Ministerium nachfragen“, beantwortet Jean-Paul Havé, Direktor des Nordstad-Lycée (NOSL) am Telefon Fragen zur Zukunft seiner Schule freundlich, aber auch etwas ratlos. Zwar ist sich die Politik einig, dass die Schule ebenfalls ein neues Zuhause braucht, die Jugendlichen sind in Mobilbauklassen untergebracht und verteilen sich auf drei Standorte, was die Unterrichtsorganisation nicht einfacher macht. Doch ein neuer Schulstandort ist noch immer nicht in Sicht. Inzwischen machen sich Eltern, Lehrer und Schüler Sorgen, dass ihre Schule zur nächsten Hängepartie in der Region werden könnte.
Eine Zeitlang war das alte LTA für das Nordstad-Lycée im Gespräch. Dann galt die große Brachfläche zwischen dem Laduno-Grundstück der Luxlait und dem Alzheimerheim in Erpeldingen, neben der geplanten Cité, als geeignet. Darüber verhandelten Regierungsbeamten dann auch mit den rund ein Dutzend Eigentümern. Einige waren bereit zu verkaufen, andere versuchten den Preis hochzutreiben. Zuletzt war von 25 000 Euro pro Ar die Rede. Man warte „auf eine definitive Entscheidung aus dem Bildungsministerium“, so Camille Gira. Der grüne Staatssekretär kümmert sich im Nachhaltigkeitsministerium unter anderem um die Nordstad. „Erpeldingen ist deshalb gut, weil es nahe der zentralen Verkehrsachse liegt, die wir im Norden planen. Eine Schule dort würde die Verkehrssituation in der Region insgesamt entlasten“, ist Gira überzeugt. Über 90 Prozent der Schüler des NOSL stammen aus Gemeinden, die im Einschreibungsbereich von Wiltz liegen, viele kommen mit dem Bus oder Auto zur Schule. Doch mit den Preisvorstellungen mancher Grundstückseigentümer hatte der Staat nicht mithalten können – und nicht wollen. Nachhaltigkeitsminister François Bausch wird deutlich: „Es geht nicht, dass ein Acker, der nicht einmal im Bauperimeter liegt, plötzlich fast so teuer ist, wie ein Grundstück in der Hautstadt“, sagt er. Man werde sich weiter bemühen, müsse aber „realistisch bleiben“. Das klingt nicht so, als würde dieses Jahr noch eine Entscheidung fallen.
Als 2009 die Idee erstmalig aufkam, das NOSL in Erpeldingen zu bauen, lagen die Baulandpreise deutlich niedriger, meint derweil André Bauler. Der DP-Abgeordnete fürchtet einen neuerlichen „schulpolitischen Stillstand“ in der Nordstad. Bauler hatte sich seinerzeit besonders für den Bau des Clerfer Lyzeums eingesetzt. Das Gesetz zum Bau der Sekundarschule wurde 2012 verabschiedet. Inzwischen arbeitet eine Arbeitsgruppe unter Hochdruck am pädagogischen Konzept der ebenfalls als Ganztagsschule geplanten Einrichtung. Auch dort hatte sich die Entscheidung für den Standort über mehr als zehn Jahre hingezogen. Anders als beim NOSL aber wurden nach der Entscheidung für Clerf Nägel mit Köpfen gemacht und das Grundstück gekauft, auf dem der Neubau stehen soll.
In Erpeldingen wurde dies versäumt. Die Schuld dafür allein dem Staat zuzuweisen, wird der Sache aber nicht gerecht. Denn die Gemeindepolitiker trifft eine Mitschuld daran, dass öffentliche Bauprojekte so lange brauchen. Viele Gemeinden betrieben viele Jahre keine vorausschauende Kommunalplanung und besitzen zudem wenig eigenes Bauland. An der Nordstad doktern Politiker schließlich seit vielen Jahren herum; der erste Masterplan stammt von 2006, Vorläuferpläne gehen sogar auf die 1970-er Jahren zurück. Dass die Umsetzung nur so langsam vorankommt, liegt nicht nur daran, dass sich die sechs Nordstad-Gemeinden koordinieren und abstimmen müssen und dies Zeit braucht, sondern auch am fehlenden Weitblick von Gemeindepolitikern, die lieber an ihre Wiederwahl denken, statt Entscheidungen im Sinne der ganzen Region zu treffen. Politische Ränkeleien, taktische Manöver und fehlende Expertise haben eine vernünftige Landesplanung in der Nordstad viele Jahre verhindert.
Das Ringen um den Standort für die Ackerbauschule ist da bestes Beispiel: Als die Pläne konkreter wurden, dass der Neubau nach Gilsdorf kommen könnte, verweigerte die Anrainergemeinde Diekirch die Genehmigung. Ein einjähriges Moratorium wurde 2013 mit Verweis auf den noch nicht fertig gestellten allgemeinen kommunalen Bebauungsplan sowie des Quellenschutzprogramms verlängert. Die Bedenken hätten bei einer konstruktiven Planung sicher zügiger ausgeräumt werden können, doch der Diekircher Bürgermeister Claude Haagen (LSAP) wollte um jeden Preis eine Gegenleistung für das LTA. Die bekam seine Gemeinde kürzlich zugesichert: In einer parlamentarischen Anfrage bestätigte Landesplanungsminister François Bausch, dass der Staat die Kosten für eine neue Turnhalle sowie für die Teilerneuerung der Rue Kneppchen in Gilsdorf übernehmen werde. Grünes Licht gibt es zwar weiterhin nicht, aber laut Bausch ist das eine Frage „von Tagen“. Vorsichtshalber hat er dieser Tage aber einen Brief an die Diekircher Gemeinde geschickt, in dem die Zugeständnisse schriftlich festgehalten sind.
An der Regierung liegt es also eher nicht, dass die Entwicklungen in der Nordstad so langsam von Fleck kommen. Vor einem Jahr hatten der Agrar-, der Bildungs- und der Landesplanungsminister ihre Pläne für die Nordstad auf einer gemeinsamen Pressekonferenz vorgestellt, darunter das Mobilitätskonzept für die zentrale Achse, die von Ettelbrück bis hinauf nach Diekirch führen soll. Die Eisenbahnstrecke scheint demnach erhalten zu bleiben, zumindest vorläufig, ein weiteres Zugeständnis an lokalpolitische Interessen? Das Mobilitätskonzept spielt zudem eine wichtige Rolle bei der Schulentwicklung in der Nordstad. Doch obwohl für den Masterplan Nordstad eigens eine Arbeitsgruppe zur Schulentwicklung ins Leben gerufen wurde, ist von einem gemeinsamen Vorgehen derzeit nicht viel zu sehen. Ein damaliger Zusammenschluss der Nordstad-Schulen tagt nicht mehr.
Eigentlich wäre es für ein stimmiges Schulkonzept in der Nordstad wichtig, wenn auch der Bildungsminister, gemeinsam mit seinem Kollegen der Landesplanung, eine klare Richtung vorgeben würde. Im Erziehungsministerium würden derzeit Schülerzahlen in der Region analysiert, um den Plan sectoriel Lycées zu aktualisieren; man sei im Gespräch, erklärte Claude Meisch auf Nachfrage.
Darüber hinaus wäre gut, wenn die Gemeinden sich einig wären, wie etwa das Areal Walebruch zwischen Erpeldingen und Diekirch genutzt werden soll. Werden dort eines Tages Betriebe aus dem Bereich der Umwelttechnologien angesiedelt, wie es der Nachhaltigkeitsminister vorschlägt? Oder doch eher IT? Als der IT-Riese Apple sich im Großherzogtum nach einem geeigneten Standort für seine Europa-Niederlassung umschaute, soll Clerf im Gespräch gewesen sein. Doch aus dem erhofften Deal wurde nichts, weil den Apple-Leuten die Energieversorgung nicht nachhaltig genug war. Der Traum vom IT-Standort in der Nordgemeinde scheint aber nicht ausgeträumt: Im Clerfer Lyzeum sollen IT-Klassen eingerichtet werden.
Damit aus der Vision eines dezentralen Luxemburgs mit einem starken Wirtschaftsstandort in der Nordstad etwas werden kann, muss mehr geschehen als bisher. Anders als der Süden, wo der neue Uni-Standort Belval hoffentlich für Dynamik sorgen wird, fehlt ein vergleichsbares Zugpferd im Norden. „Um mit der Hauptstadt konkurrieren zu können, müssen die Nordstad-Gemeinden mehr zusammenarbeiten“, mahnt François Bausch. Als ehemaliger erster Schöffe der Hauptstadt weiß er, was es bedeutet, Entscheidungen zu treffen, die auf den ersten Blick vielleicht verwegen wirken: Gemeinsam mit der DP hatte der Grüne gegen kritischen Stimmen aus der eigenen Partei den Kauf von Flächen am Centre Hamilius für 50 Millionen Euro vorangetrieben. Dort soll ab 2016 ein riesiger Komplex aus Geschäften, Wohnungen und Büros entstehen – was die Attraktivität und die Sogwirkung der Hauptstadt vermutlich verstärken wird.