Kaum waren Anfang dieser Woche nach einer längeren Herbstwetterphase wieder hochsommerliche Temperaturen im Lande eingekehrt, kam die Kundschaft in die Freibäder zurück. Im einzigen Freibad der Hauptstadt, dem im Dommeldinger Parc Hotel, war das nicht anders: noch gegen 19 Uhr war es gut gefüllt. „Bei entsprechendem Wetter ist unser Bad überlastet“, sagt ein Vertreter der Hoteldirektion. Wieso auch nicht: Das vor 50 Jahren neben einem Campingplatz entstandene Freibad, das später modernisiert und dem Hotel angeschlossen wurde, bietet nur ein 25-Meter-Schwimmerbecken und ein Kinder-Bassin zum Plantschen. Da die meisten Badegäste Stadtbewohner sind, ist das ein nicht gerade großes Angebot für die rund 80 000 „Stater Biirger“.
Mehr als ein halbes Jahrhundert zurück liegt die Zeit, als es noch vier Freibäder in der Hauptstadt gab. Von dem vor 30 Jahren geschlossenen Bad an der Cloche d’Or künden heute nur noch Mauerreste nahe dem Bürogebäude von Pricewaterhouse in der neu entstandenen Gewerbezone. In dem ehemaligen Pool in Gantebeensmillen im Alzettetal, der vor ein paar Jahren außer Betrieb ging, wächst mittlerweile Unkraut. Musste das so sein? – Die wechselnden Gemeindeführungen der Hauptstadt sahen keinen Grund für den Bau eines neuen Freibads. „Das ist für uns nicht prioritär“, meinte Bürgermeister Paul Helminger im heißen Sommer 2002. Es gebe ausreichend viele Hallenbäder in der Stadt – im Gegensatz zu vor 50 Jahren –, die obendrein weitaus rentabler seien als ein Freibad, das in der laut Kalender warmen Zeit des Jahres summa summarum bestenfalls zwei Monate lang mit genügend vielen zahlenden Besuchern rechnen könne (d’Land, 26.7. 2002).
Ausgeschlossen ist es jedoch nicht, dass der nächste Schöffenrat der Stadt das anders sehen könnte: Im Mitte Juni vorgelegten Stadtentwicklungskonzept ist im Kapitel „Die Stadt Luxemburg als Kulturstadt, Freizeitstandort und Tourismuszentrum“ von drei potenziellen neuen Freibadstandorten die Rede: Cents, Kirchberg und Kockelscheuer. In den Bürgerversammlungen, die der Aufstellung des Stadtentwicklungskonzepts vorausgingen, war immer wieder der Wunsch nach einem weiteren Freibad laut geworden, und so schmunzelten die Schöffenratsvertreter zwar, wenn bei den beiden gut besuchten öffentlichen Konferenzen zur Vorstellung des Stadtentwicklungskonzepts im Großen Theater Ende Juni die Rede auf das Thema „Freibad“ kam, plädierten aber auch nicht dagegen. Immerhin sind ja auch bald Gemeindewahlen.
Allerdings wurden die Freibadstandortvorschläge nicht von Gemeindeverwaltung und Schöffenrat gemacht, sondern von den Architektur- und Stadtplanungsbüros, die das Stadtentwicklungskonzept und die dazugehörigen verschiedenen Stadtteilrahmenpläne bearbeitet hatten. Folglich sind diese Ideen noch eher vage.
Betrachtet man die das Stadtentwicklungskonzept illustrierenden Fotomontagen, dann würde ein neues Freibad auf dem Kirchberg gebaut. Für den Standort sprechen zweifellos die schon heute leistungsfähige Nahverkehrsanbindung, die sich ab 2009/2010 mit der Inbetriebnahme der Train-Tram-Linie noch verbessern wird, und die Aussicht, dass die Einwohnerzahl im Stadtteil selbst sich von heute noch bescheidenen 1 500 auf mittelfristig 10 000 erhöhen wird und die Zahl der Arbeitsplätze auf 30 000. Vielleicht könnten ja nicht nur die Kirchberg-Bewohner, sondern auch Pausengäste aus den Büros im Stadtviertel ein hohes Potenzial an Badegästen bilden.
Fragt sich nur, wo konkret ein solches Bad errichtet werden sollte: „Im Umfeld der Coque (integriert in den leider kaum genutzten Landschaftspark)“, heißt es im Stadtentwicklungskonzept. Das aber könnte bedeuten, den schon fertig gestellten Landschaftspark mit seiner Liegewiese, dem künstlichen See, dem Arboretum, dem Rosengarten und dem Wildgarten auf dem künstlichen Hügel von Grund auf umzubauen. Versteht das Stadtentwicklungskonzept doch den Ausbau der Sport-, Kultur- und Freizeitangebote in der Hauptstadt auch als Marketingaufgabe gegenüber potenziellen Nutzern, sollen die Angebote sich stadtregional in den jeweils gewachsenen Charakter der Stadtviertel einfügen und diesen weiter stärken: Aus dem modernistischen und kühlen Charme des Kirchberg wurde das Label „Fun und Action“ abgeleitet. Das bedeutet, dass der Kirchberg mit einem Beachvolleyball-Feld und einer Skaterpiste auszustatten wäre – vielleicht in Verbindung mit einem Freibad und wieso nicht in Verbindung mit der Indoor-Sportstätte Coque. Ein solches Vorhaben aber benötigte Platz und ginge wahrscheinlich stark zu Lasten der Parkfläche.
Eine andere Perspektive böte die Einrichtung eines Freibads in Kockelscheuer, wo unter dem Label „Natur erleben“ die Freizeitangebote erweitert werden sollen. Für den Besitzer des Kockelscheurer Campingplatzes wäre eine Badestelle in nächster Nähe ein Segen fürs Geschäft: „Von den hier Anreisenden fragen viele, ob es hier ein Freibad gebe, und so manche fahren gleich weiter, wenn ich sage, dass es keines gibt.“ Ein „Waldschwimmbad“, wie es im Stadtentwicklungskonzept als Option angedeutet wird, dürfte jedoch auf den Widerstand der im Haus vun der Natur ansässigen Naturschützer stoßen.
„Zumindest, falls man zu diesem Zweck den Wald verkleinern würde“, sagt die Naturschutzberaterin Nora Welschbillig, die das Haus leitet. Der Rotbuchenbestand im Kockelscheurer Wald sei „unbedingt erhaltenswert“, gegenwärtig legen die Mitarbeiter des Haus vun der Natur mit Unterstützung des Umweltministeriums einen Lehrpfad im Wald an. Vielleicht könnte es ökologisch orientierte Freizeitsynergien geben zwischen einem Waldbad und den Aktivitäten des Haus vun der Natur – nicht nur Schulklassen, sondern auch immer mehr Familien mit Kindern besuchen seine Gärten, besichtigen die Waldbienenzucht, die Esel und Schafe. „Doch wenn man ein Freibad wollte, könnte die Lösung nur darin bestehen, die drei Seen an der Eissporthalle zu Badeseen umzubauen“, meint Nora Welschbillig. Technisch sei es kein Problem, in den stark nitratbelasteten Seen, in denen „biologisch nicht mehr viel los ist“, für eine Selbstreinigung durch Wasserpflanzen zu sorgen, durch Umwälzpumpen zusätzlich verstärkt. Und vielleicht sei diese Lösung sogar billiger zu haben als ein Freibad-Neubau.
Gesetzt den Fall, der Umbau zu Badeseen wäre in Kockelscheuer tatsächlich möglich, wäre dieser Standort in vielerlei Hinsicht ideal: Als Erholungsgebiet populär ist Kockelscheuer längst, die Liegewiesen an den Seen sind groß; es gibt Parkplätze und eine Busverbindung im Zehn-Minuten-Takt. Und wenn die Erschließung des Ban de Gasperich nicht nur zu vielen Tausenden neuer Einwohner und Arbeitsplätze im Süden der Hauptstadt führen wird, sondern auch zu einer noch besseren Nahverkehrserschließung der Gegend, wird die Nutzung des Naherholungsgebiets Kockelscheuer ohnehin zunehmen. Fragt sich nur, ob die Gemeinde diesen Weg zu gehen bereit wäre: Als Eissporthalle und Seen angelegt wurden, war sie es nicht. Damals gab es bereits ein Projekt, das Badeseen in Kockelscheuer vorsah, weiß der Leiter des hauptstädtischen Service des sports, Georges Welbes. „Es wurde aber nicht ernsthaft diskutiert und verschwand schließlich in einer Schublade.“
Am weitesten ausformuliert im Stadtentwicklungskonzept und in den Stadtteilrahmenplänen Cents, Hamm, Pulvermühle bzw. Grund, Clausen, Pfaffenthal ist die Idee, in unmittelbarer Nachbarschaft des Institut national des sports ein „Panoramabad“ zu errichten. Entstehen würde es unmittelbar westlich vom INS in einem Park, der auf einem Plateau der alten Festung liegt und einen herrlichen Blick über die Festungsanlagen und auf die Oberstadt bietet. So herrlich, dass Bürgermeister Helminger sich auf der Pressekonferenz zum Stadtentwicklungskonzept am 21. Juni zu der Bemerkung hinreißen ließ: „Ich halte ein zweites Freibad in der Stadt ja nicht für nötig, aber gäbe es das in Cents, wäre das toll!“
Vorteile hätte die Idee des Architekten Romain Schmitz in mehrerer Hinsicht. Zum einen ist der Park am INS derzeit weitgehend ungenutzt. Der Panorama-Ausblick würde ein Freibad wahrscheinlich nicht nur für Stadtbewohner attraktiv machen, sondern wäre wohl auch ein touristisches Plus. Umso mehr, da der Standort unmittelbar ans Rham-Plateau grenzt, das in den kommenden Jahren zu einer Mischnutzung umgebaut werden soll: Die riesige Anlage des Seniorenheims Centre du Rham soll um Wohnungen, Läden und Cafés erweitert werden, um sie urban und touristisch aufzuwerten und ihr den Charakter einer Alten-Insel zu nehmen.
Hinzu kommt, dass der frühere aktive Leichtathlet Schmitz dafür plädiert, die Sportstätten des INS stärker als bisher nutzbar für die Öffentlichkeit zu machen, wodurch Cents zum Sportstandort würde. Dass der Architekt vorschlägt, die Tennisplätze, die am INS brach liegen, seitdem es die Mondorfer Tennisschule gibt, in Parkplätze zu verwandeln, würde nicht nur Badegästen zu Abstellflächen verhelfen, sondern auch den Besuchern des INS, die zurzeit noch regelmäßig weite Teile von Cents zuparken, wenn am INS große Sportveranstaltungen stattfinden. Schmitz ist außerdem der Vordenker jener drei talüberspannenden Fußgänger- und Radfahrerbrücken, die den Stadtteil Cents mit Hamm und dem Kirchberg verbinden sollen. Würden sie realisiert wie das Panoramabad, rückte dieses dem mittelfristig bevölkerungsreichen Kirchberg und via Hamm dem am stärksten besiedelten Stadtteil Bonneweg verkehrstechnisch nah genug, dass Badelustige auch mit dem Rad nach Cents gelangen könnten.
Bleibt abzuwarten, ob ein Freibadneubau oder die Umgestaltung der Seen in Kockelscheuer zu den Prioritäten zählen wird, die der aus den Wahlen am 9. Oktober hervorgehende neue Schöffenrat aus dem Stadtentwicklungskonzept ableitet, und welche Positionen im Gemeinderat der Hauptstadt bezogen werden, in dem das Konzept im Herbst erstmals auf der Tagesordnung stehen soll. Zwar verpflichtet ein Stadtentwicklungskonzept einen Schöffenrat zu nichts, ist aber eine Richtlinie zur Erreichung eines Ziels. Und das für Luxemburg-Stadt formulierte Ziel ist es nicht nur, die stagnierende Entwicklung der Einwohnerzahl zu brechen und in 15 bis 20 Jahren um rund 30 000 Einwohner zu wachsen, sondern sich darüber hinaus besser einzustellen auf den Zuzug von Ausländern, die auch im Freizeitbereich ein großstädtisches Angebot gewohnt sind. Und womöglich sind ja einem neu an die Uni Luxemburg berufenen Professor die Argumente gegen ein Freibad ähnlich schwer verständlich wie etwa der Hinweis, dass es in Luxemburg-Stadt leider noch immer an attraktiven Wohnformen fehlt, in Frisingen aber noch Bauland für Einfamilienhäuser zur Verfügung stehe.