David Geckeler und Frank Michels

Technopoesie

d'Lëtzebuerger Land vom 08.08.2014

„Trashed Memories“. So heißt ein Ordner auf dem Rechner von Frank Michels. Weggeworfene Erinnerungen. Darin Fotos von Schuhen, T-Shirts, Gegenständen. Dinge, die Frank Michels einmal besessen hat. Damals. Einst. Früher. Dinge, von denen er sich getrennt hat, die aber dennoch in seiner Erinnerung, bei ihm bleiben sollen. Bunte Fotos, die auf den unbeteiligten Betrachter wahllos, ziellos und vielleicht auch belanglos wirken mögen, die für den Industriedesigner Michels eine stille, kleine, feine Schatztruhe der Erinnerungen sind. Gute Gedanken. Man merkt es daran, wie liebevoll er die Fotos betrachtet und zu jedem der Fotos, zu jedem einzelnen entsorgten Schuh, abgelegten T-Shirt eine Geschichte erzählen möchte, die mehr Worte braucht, als das „Gekauft am, dort und zu dem Preis“, sondern das jede Erinnerung eine Wertschätzung birgt, die sie zu einem Foto in dem Ordner „Trashed Memories“ macht. Wertschätzung. Das ist ein zentraler Begriff in der Arbeit des Designers Frank Michels. Und die absolute Verliebtheit ins Detail.

Gerade darin zeigt sich der Unterschied zwischen zeitloser Eleganz und einfallsloser Nüchternheit. Überlegte Details, beiläufige Nuancen, kleine Dinge entscheiden darüber, ob aus dem Design ein Klassiker wird oder es einfach nur Kitsch bleibt, ob Kunst oder Klamauk. Michels und sein Kompagnon David Geckeler verorten sich auf die Seite der Memories, nicht des Trash. Seit einem Jahr unterhalten die beiden ein Studio für Industriedesign im Berliner Stadtbezirk Neukölln. Der Bezirk vibriert zwar im Clash der Kulturen, wird aber bisher kaum als ein Born von Stil wahrgenommen und gefeiert. Hier haben sich beide in einem Ladenlokal nur wenige Meter von der früheren Mauer entfernt eingerichtet, der noch immer sichtbaren Sollbruchstelle zwischen Ost und West. Der Laden ist ihr Labor, der Spiegel ihres Verständnisses von Design und ihrer Auffassung von Stil. Funktionalität einerseits. Die Geschichte hinter den Dingen andererseits. Die Reduzierung auf das Wesentliche wird begleitet von einem Bricolage an unvermuteten Stilbrüchen.

So ist es mit dem Regal Ossa Storage, das ein Meisterstück aus der Geckeler-Michels-Schmiede ist. Es ist aus Metallblech. Einfach, schlicht, robust. Unzerstörbar. Und doch eben nicht nur ein Regel aus Metallblech, sondern auch filigran, schlicht, zeitlos. Es ist ein stapelbares Regal, ein stabiles, stapelbares Regal, das sorgfältig und sorgsam erdacht und verarbeitet ist, das in seiner Funktionalität um die Ecke denkt. Ein Regal, das klaren Linien folgt, symmetrisch, ausgewogen, ausbalanciert, austariert, harmonisch in der Formensprache. Das seine Feinheit – im Gegensatz zur Robustheit des Materials – in Details findet. Etwa in der Griffverstärkung oder in der Ausgestaltung der Oberseite, die die Funktion eines Tabletts übernimmt und der Form der Unterseite folgt, um dem Regal Stabilität zu geben. Es ist in klassischen Farben gedacht, kein bunter Kirmesrummel. Kein Schnickschnack. Die Größe der einzelnen Regalladen orientiert sich an DIN-Normen, damit Ordner und gängige Größen darin Platz finden. Größere Bücher. „Die kann man quer legen. Sieht auch gut aus“, erklärt Geckeler. Noch ist Ossa Storage ein Unikat.

Design und Ideen sind eine Sache für die beiden Jungdesigner, die Vermarktung ihrer eigenen Produkte und Entwürfe eine andere. Es braucht wesentlich mehr Zeit, ihre Vision von Stil in die Läden und zu den Menschen zu bringen – an Produzenten und Verkäufer. Design zu Stil zu machen, der sich verkaufen lässt und den Lebensunterhalt sichert. Verhandlungen, Gespräche, Messen, die Zeit in Anspruch nehmen, viel Zeit. Dann wird das Neuköllner Ladenlokal zu ihrem Refugium, in dem auch manchmal Technomusik läuft. Es sei eine Reminiszenz an ihren Designstil, erklärt Frank Michels. Denn schließlich sei diese Musik auch industrielle Musik, die dem harten Beat folgt. Der Rhythmus obsiegt in seinem Purismus. „Wir machen Technopoesie“, sagt Michels. Eine Musikrichtung, in der man eigentlich weniger Poesie erwartet, denn harte Realität.

Doch auch die Poesie ist nur eine Frage der Herangehensweise. Der Entdeckung. Der Auseinandersetzung mit Materie und Material. Sie zeigt sich im Tee-Set Ataya. Es wirkt beinahe wie die Sollbruchstelle in der Stilgeschichte von Geckeler-Michels. Das Set aus und in verschiedenen Materialien erklärt seine Herkunft und seine Idee im Senegal, vielmehr aus der senegalesischen Alltagskultur. Diese wird in reduzierter Formensprache auf europäisches Industriedesign übertragen, bleibt aber im Dekor wie in den Materialien seiner Herkunft und seinem Ursprung treu, übernimmt sogar in Zeichnungen deren Mythen und Märchen.

Dieses Spiel mit Symbolen und deren Inhalten führen sie beim Peace-Zeichen fort, der Ikone des Hippietums. Frank Michels und David Geckeler transformieren es zum Tafelaufsatz Hollow Centerpiece. Halbiert wird dem Friedenszeichen Funktionalität zugestanden, aus dem politischen-gesellschaftlichen Statement ein nützliches Gadget für Nüsschen, Obst und Kekse. Die vermeintliche Sollbruchstelle wird zur ironischen Brechung. Vordergründig. Hintergründig wird es reduziert in seiner Form. Nicht mehr das überfrachtete Symbol gibt den Inhalt, sondern das in die Dreidimensionalität übertragene Zeichen wird nutzbar.

Martin Theobald
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