Kommunale Rahmenwahlprogramme

Maison relais mit grünem Strom

d'Lëtzebuerger Land vom 02.06.2011

Die CSV sieht es erwartungsgemäß kosmologisch: „Jede Gemeinde ist eine Welt im Kleinen.“ So steht es in ihrem Rahmenwahlprogramm Mat kloerem Bléck no vir. Aber vielleicht ist ein nationales Rahmenprogramm für Kommunalwahlen ein Oxymoron. Denn CSV-Premier Jean-Claude Juncker meinte noch am Freitag, der „Respekt vor dem Wähler“ verlange, dass man ihn „lokale Politiker wählen“ lasse und dem „keine nationale Bedeutung“ beimesse. Aber dieses Jahr haben fast alle Parteien Rahmenprogramme für die Gemeindewahlen. Nur die ADR hat noch keins, sondern berät dieser Tage in einer ersten Sitzung über die Frage. Der ehemaligen Rentenpartei sind landesweit gerade vier Gemeinderatssitze verblieben, deshalb sind Gemeindewahlen keine politische Priorität für sie.

Dass sich alle Parteien Rahmenprogramme für die Gemeindewahlen geben, ist verhältnismäßig neu. Lange waren Gemeindewahlen tatsächlich lokale Ereignisse, bei denen die Sek­tionsvorstände der Parteien energisch darauf bestanden, dass sie am besten wüssten, was die Wähler in ihrer Gemeinde bewegten. Die Parteizentralen waren also gebeten, sich möglichst herauszuhalten, um so mehr, als kaum Geld von ihnen zu erwarten war, sondern sie vielmehr einen Teil der Mitgliedsbeiträge verlangten.

Das hat sich aber geändert, seit die Basismilitanten seltener werden, die nach Feierabend Wahlzeitungen austeilen, und auch der Gemeindewahlkampf professioneller wird. Selbst das Parteienfinanzierungsgesetz trägt neuerdings zur Zentralisierung bei. Die kommunalen Rahmenwahlprogramme sollen zudem in Kernfragen peinliche Widersprüche zwischen den Positionen der Lokalsektion und ihrer Gesamtparteien verhindern. So ermahnt die CSV ihre Kandidaten im Programm ausdrücklich: „Lokale kommunalpolitische Programme der CSV stehen daher im Einklang mit dem Grundsatzprogramm und dem Wahlprogramm und werden laufend angeglichen.“ Während die Partei aber im Kammerwahlprogramm von 2009 verspricht, „den einheitlichen Wasserpreis einführen“ zu wollen, geht für die Gemeindewahlen nur noch von einem „kostendeckenden Wasserpreis” und einer sozialen „Abfederung” durch eine entsprechende Hilfestellung, z. B. über die Teuerungszulage” die Rede. Das versprechen übrigens die Grünen ebenso, während der Wasserpreis für LSAP und DP kein Thema mehr ist.

Nicht alle Parteien verstehen genau dasselbe unter einem Rahmenwahlprogramm. Während das CSV-Programm eher eine Checkliste für die Lokalsektion ist, stellt das DP-Programm ein kohärentes nationales Programm dar, als könnte die Liberalen die Parlamentswahlen nicht abwarten. Auch müssen die Rahmenprogramme vage genug bleiben, um den lokalen Gegebenheiten der einzelnen Gemeinden Rechnung zu tragen. Trotzdem sind sie politischer als die lokalen Wahlprogramme, die mehr Trottuarspolitik enthalten. Unterschiede zwischen rechten und linken Parteien gibt es schon in der Wortwahl: Die Kapitel über Wirtschaftspolitik heißen bei der Arbeiterpartei LSAP „Arbeiten“, bei der Wirtschaftspartei DP „Wirtschaften“ und bei den kommunotaristischen Grünen „lokale Wirtschaft“. Die Sozialpolitik heißt bei der Volkspartei CSV „soziale Integration“ und bei der für Umverteilung kämpfenden déi Lénk „soziale Gerechtigkeit“. Demokratie heißt bei der CSV kuschelig „Bürgernähe“, bei der DP dienstleistungsgerecht „Bürgerorientierung“, bei der LSAP halbherzig „Beteiligung“ und bei der KPL syndikalistisch „Mitbestimmung“.

Als Partei des Innenministers bekennt sich die CSV feierlich zu Gemeindefusionen, während die LSAP und die DP bloß vor den Risiken und Nebenwirkungen warnen und Einschränkungen und Vorbehalte aufzählen. Für die global denkenden und lokal handelnden Grünen sind Fusionen nicht der Erwähnung wert, sie plädieren stattdessen für die Zusammenarbeit der Gemeinden. Für die nur in großen Proporzgemeinden des Südens existierenden Kommunisten und Lénk ist das alles gar kein Thema.

Wer glaubte, dass das IVL ein nationales Konzept zur Landesplanung darstellt, wird bei der Lektüre der Rahmenwahlprogramme eines Besseren belehrt: Das Integrative Verkehrs- und Landesentwicklungskonzept ist ein rein christlich-sozialer Plan. Denn im CSV-Programm taucht das Kürzel direkt 17 Mal auf, bei den anderen Parteien überhaupt nicht. Dem Wohnungsbaupakt geht es nicht viel besser: nur die CSV erwähnt ihn zweimal, die LSAP gar nicht und die anderen Parteien bloß, um auf seine Unzulänglichkeiten hinzuweisen.

In der Asylpolitik verpflichtet die Partei der Familienministerin kühn ihre Gemeindepolitiker: „Christlich-sozia­le Gemeinderäte werden die staatlichen Stellen bei der Unterbringung von Hilfesuchenden unterstützen.“ Bei den Grünen heißt es: „Die Gemeinde übernimmt Verantwortung im Bereich der Asylpolitik, arbeitet eng mit den staatlichen Behörden zusammen und stellt geeignete Wohnräume für Asylbewerber und Asylbewerberinnen zur Verfügung.“ LSAP, DP und déi Lénk halten sich da lieber vorsichtig heraus, die KPL bemüht sich um die Integration der Asylsuchenden mittels Kultur und Sport.

Fast alle Parteien verlangen eine „grundlegende“, eine „tiefgründige“ oder eine „nationale“ Reform der Gemeindefinanzen, die laut DP mittelfristige Planungssicherheit gewährleisten und die Lage, Funktion und regionale Zusammenarbeit der Gemeinden berücksichtigen soll. CSV und Grüne sind sich einig, dass die jährliche Schuldentilgung einer Gemeinde unter 20 Prozent der ordentlichen Einnahmen liegen soll. Déi Lénk verlangt, dass die Gemeindefinanzen sozialen Kriterien unterliegen.

Die DP spricht sich wiederholt für Public Privat Partnerships (PPP) und die Beteiligung der Gemeinden an Privatfirmen aus. Eine grün geführte „Gemeinde ist selbst als Wirtschaftsakteur aktiv und setzt, even­tuell in Partnerschaft mit privaten Wirtschaftsakteuren, innovative und nachhaltige Projekte um.“ Für die CSV ist das kein Thema. „Die Privatisierung bzw. Auslagerung von kommunalen Dienstleistungen ist für die LSAP daher keine Option“. So denken auch die KPL und déi Lénk, die PPP ausdrücklich ablehnen.

Die CSV verspricht „ein aktives Engagement im Bereich der Arbeitslosen- und Beschäftigungsinitiativen“. Für die DP ist Arbeitslosigkeit irgendwie ein soziales Problem, zusammen mit Gewalt und Drogen, für die LSAP zusammen mit Behinderung. Die Sozialisten sprechen sich aber auch für Beschäftigungsinitiativen aus; bei den Grünen heißt das „neue Beschäftigungsmodelle im Bereich der Sozial- und Solidarökonomie“. Déi Lénk will die Arbeitslosigkeit durch den Ausbau des öffentlichen Dienstes bekämpfen; die KPL will bei kommunalen Arbeiten vor allem lokale Arbeitslose beschäftigen.

Weil alle Gemeinden sichere und saubere Mittelschichtenparadiese sein wollen, taucht das Wort „Armut“ selten auf. Die CSV will den Sozial- und Einkommensschwachen, wie sie die Armen vorsichtig nennt, Teuerungszulagen gewähren; die LSAP will arme Kinder in Ferienkolonien schicken, aber auch „Unterstützung in den Bereichen Sozialhilfe, öffentlicher Unterricht, Wohnungshilfe und Integration anbieten“. Für die DP existiert das Thema gar nicht, und die Grünen haben die „Energiearmut“ entdeckt. Während déi Lénk den Armen zuerst Ämter mit qualifiziertem, also gut verdienendem Personal in Aussicht stellt, verspricht beziehungsweise droht die KPL, „bis zu einem gewissen Maß auf kommunaler Ebene eine Umverteilung vorzunehmen”.

Dabei trennt auch das leidige Wohnungsproblem Arme und Reiche, so dass es unlösbar zu bleiben scheint. Die CSV verspricht deshalb möglichst unverbindlich: „Ein ganz besonderes Augenmerk schenken wir auch den Projekten des sozialen Wohnungs- und Eigenheimbaus“, die LSAP will sich für die „öffentliche Erschließung von Bauland, sozialen Wohnungsbau, den Bau öffentlicher Mietwohnungen und die Förderung von Mietkauf- bzw. Erbpachtverträgen starkmachen“. Das sieht die DP ähnlich. Die Grünen und déi Lénk wollen mit dem Wohnungsbaupakt gegen die Bodenspekulation vorgehen, und die Kommunisten versprechen armen Mietern sogar Mietzuschüsse.

Das Symbol des aktuellen Wahlkampfs in den Gemeinden könnte die mit „grünem Strom“ versorgte Maison relais sein. Denn zwei Themen scheinen die Parteien und möglicherweise auch die Wähler bei den nächsten Gemeindewahlen besonders zu bewegen: Die Kinderbetreuung und die Energieversorgung. Deshalb „befürworten Sozialisten Ganztagsschulmodelle“ und wollen, dass „Kinderbetreuung flächendeckend ausgebaut und kostengünstig angeboten“ wird. Letzteres versprechen auch die Grünen und die DP, welche aber auch „klare nationale Vorgaben und Kontrollen“ zur Qualitätsverbesserung der Betreuung in Aussicht stellt. Während die Grünen den Kleinen zudem „biologische Nahrungsmittel und Transfair-Produkte“ vorsetzen wollen. Sogar die CSV ist vom Ideal der frommen Hausfrau und Mutter abgerückt und erklärt: „Kinderbetreuung ist der Pfeiler einer modernen Familienpolitik“. Deshalb verspricht sie, dass bis 2014 „75% der Kinder in den Grundschule einen Platz in den ‚Maison Relais’ finden“. Dass Jean-Claude Juncker und danach alle anderen Parteien vor den Parlamentswahlen die kostenlose Kinderbetreuung versprochen hatten, daran erinnert sich aber bloß déi Lénk.

Alle Parteien wollen Energie sparen, Häuser isolieren und erneuerbare Energie nutzen, DP und Grüne wollen auch „grünen Strom“ kaufen. Die DP verspricht weiter eine Klimabank, die Isolationskosten vorschießt, welche dann aus den Einsparungen bei den Energiekosten abgezahlt werden. Wer nach dem Atomunglück von Fukushima bis zum 9. Oktober der Grünste im ganzen Land ist, lässt sich, wie mit dem Geigerzähler, messen: In den Programmen von CSV und LSAP fällt das Wort „Energie“ je dreizehn Mal, bei der DP 38 Mal und bei den Grünen 48 Mal.

Romain Hilgert
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