Der 1913 im Frankfurter Verlag Rütten [&] Loening erschienene Fenn Kaß. Der Roman eines Erlösten von Batty Weber ist einer der ersten Luxemburger Romane überhaupt. Der Chefredakteur der liberalen Luxemburger Zeitung erzählt darin die Ende des 19. Jahrhunderts spielende Geschichte des Dorfjungen Fenn Kaß, der zuerst in den bischöflichen Konvikt kommt, wo er "aus goldener Freiheit und schöner, großer, gesunder Natur in blödsinnigen Zwang und verkrüppelnde Unnatur gestoßen war" (S. 75). Unter dem Druck seiner Umwelt tritt er ins Seminar ein und wird Kaplan in einem Dorf, das er energisch modernisieren will. Doch er weiß, dass er nicht zum Priester berufen ist, sondern schon immer dazu bestimmt war, Ingenieur zu werden. Er folgt seiner wirklichen Berufung bis in die Großstadt München. Statt der alten klerikalen und obskurantistischen Religion des 19. Jahrhunderts wird Kaß ein Priester der neuen liberalen Religion des technischen Fortschritts und des Rechts des Stärkeren. Am Ende des Romans fordert er lauthals "Bahn frei!" (S. 333) in der späteren Hauptstadt der Bewegung.
Auch wenn Ton und Thema von Fenn Kaß inzwischen reichlich verstaubt wirken, so ist es doch ein wichtiges literarisches Zeugnis des bis heute immer wieder aufflackernden Kulturkampfs zwischen klerikaler Rechten und liberalem Bürgertum, zwischen Landwirtschaft und Industrie, Dorf und Stadt sowie des gesellschaftlichen und politischen Klimas der damaligen Jahrhundertwende. Deshalb ist das Nationale Literaturzentrum in Mersch nur dafür zu loben, dass es ihn als Band neun seiner Lëtzebuerger Biblothéik wieder in den Handel bringt. Der Frakturtext des Originals wurde in Antiqua neu gesetzt und mit einigen zeitgenössischen Fotos aufgelockert.
Das Verdienst kommt aber vor allem Josiane Weber zu, die in einem Anhang von der halben Länge des Romans diesen in seinen sozial-und literaturgeschichtlichen Zusammenhang stellt. Sie verweist auf die autobiografischen Momente in dem Roman, und wohl nicht zufällig ist der erste Teil, für den der 50-jährige Autor auf Kindheitserinnerungen zurückgreifen konnte, der gelungenste. Die Herausgeberin zählt die je nach politischer Gesinnung unterschiedlichen Kritiken von Zeitgenossen auf - einschließlich der Verdammung durch das Luxemburger Wort -, untersucht das Frauenbild des Romans und fasst die bis heute nicht abgeschlossene Diskussion über seine literarische Einordnung zusammen. Schließlich ist Fenn Kaß ein Entwicklungsroman, in dem der schon als liberaler Ingenieur geborene Held gar keine Entwicklung durchmacht, eine Mischung aus antiklerikalem Tendenz- und fortschrittsfreundlichem Heimatroman.
Ausführlich sammelt Josiane Weber Indizien dafür, dass das Vorbild für den verfehlten Kaplan Fenn Kaß der aufgeklärte Pfarrer aus Webers Heimatdorf Stadtbredimus Franz Gaspar (1826-1909) war. Verdient hat Gaspar jedenfalls das literarische Monument. Denn mit seinem 1883 beim Hofbuchhändler L. Schamburger veröffentlichten Der Vernunftstaat nach seinen Rechten und Pflichten ist er einer der wenigen Luxemburger, die es jemals auf den Index librorum prohibitorum der katholischen Kirche brachten.
Batty Weber: Fenn Kaß. Der Roman eines Erlösten. Studienausgabe, vorgestellt und kommentiert von Josiane Weber. Édition du Centre national de littérature, Mersch 2001, 474 S.